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DIE ERRICHTUNG VON LEHRLINGSWOHNHEIMEN NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG: EINE ANTWORT DER DEUTSCHEN PROVINZ AUF DEN RUF DER STUNDE

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DEM ZWEITEN WELTKRIEG: EINE ANTWORT DER DEUTSCHEN PROVINZ AUF DEN RUF DER STUNDE

Johannes Wielgoß * Abkürzungen:

B R D - B undesrepublik D eutschland D D R - D eutsche D em okratische R epublik PAM - P rovinzarchiv M ünchen

1. Die Lehrlingswohnheime: Aufbau aus Trümmern und Verheerungen

E rstm als nach dem Z w eiten W eltkrieg konnte am 15. und 16. O ktober 1946 w ieder die nach A rtikel 41 der dam als geltenden K onstitutionen vorge­

schriebene D irektorenkonferenz der deutsche Provinz tagen. U nter dem Vor­

sitz des Provinzials Dr. T heodor S eelb ac h 1 w ar sie in B enediktbeuern zusam ­ m en g etreten . A lle M itg lied e r des P ro v in z ia lra te s u n d die D ire k to re n der H äuser der Provinz m it A usnahm e der H äuser in B erlin und Trier haben teil­

genom m en.

Das Program m der K onferenz gibt eine M om entaufnah m e zur Situation der Provinz und spiegelt die problem atischen politischen und gesellschaftli­

chen V erhältnisse D eutschlands wider, das von d en S iegerm ächten U dSSR, U SA , G roßbritannien und schließlich auch F rankreich besetzt war. N ach einer einleitenden D arstellung des Provinzials über den Verlust von M itbrüdern und H äusern durch den K rieg und Enteignungen w urden in Form von R eferaten m it anschließenden A ussprachen folgende T hem en behandelt:

* Salesianer D on Boscos. O berstudienrat i.R. (Kath. Religion, Geschichte, Politik) am Don-Bosco-G ym nasium in Essen-Borbeck (Deutschland).

1 Dr. Theodor Seelbach (1883-1958), Provinzial der deutschen Provinz von 1941 bis zu seiner A bsetzung im Jahre 1949; erster Provinzial der norddeutschen Provinz nach der Teilung der deutschen Provinz ab 1954 bis zu seinem Tod.

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I. Ü ber die W eckung und P flege der Berufe.

II. D er D irektor und die vom M ilitär zurückgekehrten M itbrüder.

III. D ie salesianische Armut.

IV. W ir Salesianer und die N ot der Zeit.

V erschiedene w irtschaftliche F ragen schlossen sich zum Ende der K on­

ferenz a n 2.

A u f das innere L eben der Provinz gerichtet verfolgte die D irektorenkon­

ferenz das Z iel, die durch nationalsozialistische H errschaft und K riegsfolgen in U nordnung geratene O rdensdisziplin w ieder aufzurichten. Z ugleich doku­

m entiert sie den au f die soziale S ituation der Jugendlichen gerichteten B lick in einer historischen S tunde, die geprägt w ar von einem L and in Trüm m ern.

S chon der Titel des R eferates, das der W ürzburger D irektor Philipp H oller- b ac h 3 hielt, zeigt den herausfordernden A nspruch der Z eitsituation an die S a­

lesianer an: „Wir Salesianer und die N ot der Z e it.”

D er R eferent verm ittelte zunächst ein B ild der gegenw ärtigen Jugendsi­

tuation. D iese Jugend sei belastet durch K riegserlebnisse, durch die national­

sozialistische Jugenderziehung, durch das L eben in einer Trüm m erlandschaft und in sanitär m angelhaften, unhygienischen und engen überfüllten R äum en, die aggressives V erhalten auslösten. V iele F am ilien seien zerstört oder E ltern vernachlässigten ihre Kinder. Bei ihnen herrsche ein M angel an religiöser B il­

dung, sie fänden keinen R ückhalt in den Erw achsenen.

H ollerbach w eist dann a u f eine „Verordnung zum Schutz heim atloser Ju gen d­

lich er” vom 18. M ai 1946 hin, die au f eine A nw eisung der am erikanischen B esatzungsbehörde zurückging und nur von regionaler B edeutung war.

A u sfü h rlich b ehandelte er die H erausforderun g, in die die S alesian er nun gerufen seien. E r rief zur E rrichtung von W ohnheim en auf, die v o m „ sa- lesianischen F am ilienbew usstsein” geprägt sein m üssten. Z uerst sei für das äußere, das leibliche W ohl der Jugendlichen zu sorgen, die Stelle der E ltern sei zu vertreten; „helfen, A rbeit verm itteln, fernhalten vom schw arzen M ark t”

seien ein G ebot der Stunde. D ann m üsse das religiöse L eben im H ause ju ­ gendgem äß gepflegt werden. Schließlich hob er einige G edanken zur W erte­

verm ittlung hervor: die Ü bernahm e sozialer Verantwortung, R ücksichtnahm e und A chtung der A rbeit und des Eigentum s.

2 Vgl. Protokoll der Direktorenkonferenz 1946. Provinzarchiv M ünchen (PAM).

3 Philipp Hollerbach (1905-1988). 1931 A bitur in Essen-Borbeck, Studium der Philoso­

phie und Theologie in B enediktbeuern und Würzburg. Priesterweihe 1935 in Würzburg.

Katechet und Studienleiter in W ürzburg; 1945-1949 D irektor in W ürzburg; 1949-1951 Direktor, dann Pfarrer und ab 1979 Krankenhausseelsorger in Mannheim.

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In der anschließenden A ussprache w ies der Provinzial au f den W unsch des G eneraloberen hin, den F lüchtlingen in D eutschland zu helfen. Es sei an den Plan gedacht, ein eigenes H eim zu errichten. D ie A usführungen von P.

P h ilip p H o llerb a ch sind le id e r nur in F o rm des P ro to k o lls erhalten , d o ch selbst aus dieser W iedergabe durch eine zw eite P erson spricht die hohe K om ­ petenz, die E rfahrung und m ehr n och das innere A nliegen un d die B ere it­

schaft eines Salesianers, um notw endende M aßnahm en für eine kriegsgeschä­

digte und gefährdete Jugendgeneration au f den W eg zu bringen. D er R eferent w ar ein b etroffener Priester, der in schw eren Z eiten m it den Jugendlichen lebte und litt. So entstand im S pannungsfeld von Treue zum U rsprung der sa- lesianischen G em einschaft und O ffenheit für die G egenw art in der deutschen Provinz m it dem B etreiben von L ehrlingsheim en ein neuer S chw erpunkt von Jugendarbeit, der m it dem w irtschaftlichen A ufschw ung ebenso rasch w ieder niederging oder in andere F orm en der Jugendhilfe mündete.

Philipp H ollerbach hatte 1939 die S chließung und 1941 die Enteignung des W ürzburger H auses „B urkardushof” durch die N ationalsozialisten erlebt.

Er konnte in der S tadt bleiben und versah w ährend des Z w eiten W eltkrieges das A m t eines S tandortpfarrers4. Im M ärz 1945 w urde nach schw eren B om ­ benangriffen au f W ürzburg auch der B urkardushof völlig zerstört. Sogleich nach der K apitulation am 8. M ai 1945 begann P. H ollerbach V erhandlungen m it dem Z iel, den B urkardush of w ieder aufzubauen. Sie führten n icht zum Erfolg, aber er konnte nach langw ierigen V erhandlungen m it den B esatzungs­

behörd en und der lokalen V erw altung erreichen, dass „R uinen und G ru n d ­ stücke des ehem aligen K losters am Schottenanger für die Schaffung eines Ju ­ g e n d h e im e s” d en S a le sia n e rn ü b e rla sse n w urde. E in T eilstü ck des K o m ­ plexes, der sogenannte Fürstenbau, konnte sow eit hergerichtet w erden, dass am 1. A pril 1946 der B etrieb des W ohnheim es m it 26 Jungen aufgenom m en w erden konnt e 5.

A m 1. M ai 1949 w urde P. Philipp H ollerbach beauftragt, in M annheim unter ähnlich w idrigen U m ständen ein Jugendw ohnheim zu errichten6.

4 Vgl. Biographisches L exikon der K atholischen M ilitärseelsorge D eutschlands 1848­

1945, herausgegeben von Hans Jürgen Brandt und Peter H äger im A uftrag des K atholischen M ilitärbischofsamtes Berlin. Paderborn 2002. s.v. Hollerbach.

5 Vgl.: Einw eihung des Jugendheim es D on Bosco in Würzburg. Sonntag, den 17. Juni 1951. H erausgegeben vom Jugendheim der Salesianer D on Boscos, W ürzburg am Schotte­

nanger. S. 14-16.

6 Vgl. Georg Söll, Die Salesianer Don Boscos (SDB) im deutschen Sprachraum (1888­

1988). M ünchen 1989. S.325 f. (Söll).

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Eine m it W ürzburg vergleichbare E ntw icklung bahnte sich im Som m er 1945 in der N iederlassung E ssen-B orbeck an. A uch hier ging eine Initiative zur B eh eb u n g k o n k reter Ju g en d n o t von ein em S alesian er aus: P. T heo do r F ennem an n 7. D ieser S alesianer w ar im Som m er des Jahres 1941 O pfer der staatspolizeilichen V ertreibung der S alesianer aus E ssen gew orden, der G e­

bäudekom plex w urde zugunsten des D eutschen R eiches enteignet. Er diente bis zu diesem Z eitpunkt der H eranbildung des O rdensnachw uchses. P. F enne­

m ann versah w ährend des K rieges seinen priesterlichen D ienst in einer G e­

m einde in Franken. Sogleich nach der W affenruhe 1945 gab ihm der P rovin­

zial den A uftrag, das im B om benkrieg stark zerstörte G ebäude bald w ieder seiner alten B estim m ung zuzuführen. Seine ersten Sondierungen in E ssen im Juni 1945 w aren entm utigend. Er fand einen Z ustand des G ebäudes vor, der ein „W ohnen” unter N achkriegsbedingungen nur im M itteltrakt zuließ, dort aber hatten die B ehörden etw a 50 bom bengeschädigte Personen eingew iesen und w eitere O bdachlose hatten sich durch E igeninitiative einen W ohnraum verschafft.

Z uerst bem ühte sich P. F ennem ann um die K lärung der B esitzverhält­

nisse. D ie V erw altung der L iegenschaften und der G ebäude lag beim O berfi­

nanzpräsidenten in D üsseldorf, der sich a u f A nordnung seiner vorgesetzten B ehörde, des O berpräsidenten der R hein-Provinz in K oblenz, sehr kooperativ zeigte und der einstw eiligen N utzung des G ebäudes durch die Salesianer zu­

stimm te. P. F ennem ann hatte gegenüber dieser B ehörde argum entiert: „Es ist sicherlich im Interesse der A llgem einheit, dass diese A rbeit an der Jugend ge­

rade in diesen schw eren Z eiten bald w ieder einsetzt. Das kann aber nur der Fall sein, w enn der A ufbau der A nstalt durch K larstellung der E igentum sfrage b e sc h le u n ig t u n d die A u fb a u a rb e it v o n der Z iv ilv e rw a ltu n g u n te rstü tz t w ird” 8. Z ugleich richteten sich seine Initiativen au f die notw endige Sicherung der bestehenden G ebäudesubstanz. Das war ohne B aum aterial nicht m öglich, auch n ich t ohne die d eutsche S tadtverw altu ng u nd die en g lisch en M ilitär­

behörden. Seine W ege blieben erfolglos. Eine W iedererrichtung der ehem a­

ligen Spätberufenenschule lag nicht in Interesse der B esatzungsm acht.

P. F ennem ann hat nach einem zeitlichen A bstand von etw a 25 Jahren E rinne­

ru n g en an d en W ied erb eg in n salesian isch er A rb eit in der zerstö rten S tad t E ssen aufgeschrieben. Sein B ericht zeigt, w ie dieser S alesianer die Z eitum ­

7 Theodor Fennemann (1901-1978). Volksschule in G elsenkirchen, Spätberufenenschule, Philosophie und Theologie in Bamberg; Priesterweihe 1934 in Bamberg. Präfekt in Bamberg und Essen-Borbeck; 1951 in die Erzdiözese Bamberg gewechselt, dort Pfarrer bis 1970.

8 PAM, Essen.

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stände w ahrgenom m en und eine A ntw ort im G eiste Johannes B osco gegeben hat. U n v e rk en n b ar ist der A n k lan g an die B eru fu n g sg esch ich te Jo h an n es Boscos: „Und bei vielen W egen durch die Stadt sah ich: Jugend - Jugend und nochm als Jugend, ohne A rbeit, ohne U nterkunft, au f dem Schw arzm arkt, in den Schlupfw inkeln der R uinen, au f den P lätzen und Straßen und in den L uft­

schutzbunkern.

Ein großes Erbarm en m it dieser Jugend m usste je d e n erfassen, der sich der Jugend verpflichtet fühlte. W ieder m achte ich m ich au f den Weg. Ich kam bis zum k o m m issarischen O b erbürgerm eister, der v on G n ad en d er B e sa t­

zungsm acht für E ssen zuständig war. M eine Frage an ihn: „W elches U nter­

neh m en für die obdach lo se Ju g en d w ird g efö rd ert?” D ie A n tw o rt lautete:

„H eim e für B erglehrlinge” . „W enn ich ein solches einzurichten versuche?”

„D ann können sie sogleich zum R eferenten gehen, er w ird tun, was er kann” . Ich m achte eine schriftliche A nfrage beim Provinzial, und dann kam der A u f­

trag: „Fangen Sie an, denn w ir sind für die Jugend da” 9.

D ieses Z itat legt zw ei D inge offen: den p rag m atisch en S inn des P. F en n e­

m ann zum einen; zum anderen seinen B lick für die N ot der Jugend, die er als eine H erausforderung der Z eit an den S alesianer annim m t.

D ie G eburtsstunde des B erglehrlingsheim es der Salesianer in E ssen-B orbeck liegt also irgendw o au f den W egen dieses Salesianers zw ischen der deutschen kom m issarischen Stadtverw altung, der englischen B esatzungsm acht und dem Schw arzm arkt.

In einem S ch reiben vom 12. O k to b er 1945 an das W irtsch aftsam t in E ssen bat F ennem ann um K ohlen-und K okslieferungen für das St. Johannes­

stift. Er begründete seinen A ntrag m it der optim istischen Angabe, in w enigen W ochen w erde das H aus 75 L ehrlinge und Jungarbeiter aufnehm en, es beher­

berge überdies noch 50 P ersonen der oben genannten B om b eng eschäd ig ten 10.

Tatsächlich aber konnte erst am 1. F ebruar 1947 die erste G ruppe von B erg­

lehrlingen in das im m er noch von K riegsfolgen gezeichnete H aus einziehen, da die bom beng esch äd ig ten F am ilien no ch k ein en an deren W ohnraum g e­

funden hatten. So konnte auch die K üche nicht in B etrieb genom m en werden.

D ie V erpflegung für die ju g en d lich en B ew ohner w urde von der L ehrküche der benachbarten Z eche W olfsbank angeliefert. Im m erhin w ar für 30 Jugend­

liche ein Platz geschaffen w orden, der „gegenüber den B aracken und R uinen

9 Theodor Fennem ann, Das St.-Johannes-Stift der Salesianer in Essen-Borbeck (1945­

1951), in: 50 Jahre Salesianer D on Boscos in E ssen-B orbeck, herausgegeben vom St.-Jo- hannes-Stift der Salesianer D on Boscos, Essen-Borbeck 1971. S. 8-11. Zitat S. 9.

10 A rchiv St. Johannesstift der Salesianer, Essen-Borbeck.

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als h erv o rrag e n d zu b ez e ic h n e n war. D u rch V erm ittlu ng d er B e sa tz u n g s­

behörde bekam en w ir E isenbettstellen und N achtkästen und auch M atratzen sollten geliefert werden. D iese aber ließen a u f sich w arten, bis schließlich ein L astw agen der E ngländer kurzerhand bei der L ieferfirm a vorfuhr, die M a­

tratzen auflud und ins St. Johannesstift brachte” 11.

D iese le tz te B em erk u n g ze ig t au ch , n ac h w e lc h e n G e se tz e n der S chw arzm arkt funktionierte: es verm ochte nur der etw as zu erreichen, der dem A nbieter ein Z ahlungsm ittel offerieren konnte, das diesem im A u gen­

blick nützlich war.

2. Die Situation der deutschen Nachkriegsjugend - eine H erausforde­

rung an die Salesianer

D iese beiden B eispiele zeigen, w ie aus d en Z eitum ständen heraus der deutschen P rovinz eine neue A ufgabe der Ju g en dso zialarb eit zugew ach sen war. D ie B etreu u n g von b e ru fstä tig e n Ju n g en in W o h nh eim en nahm bald einen beträchtlichen U m fang des salesianischen A rbeitsfeldes an. W ährend A nfang 1947 die S alesian e r in den N ied e rlassu n g en B erlin (G roß e H a m ­ burger Straße), B erlin-Siem ensstadt, Essen-B orbeck, Sannerz und W ürzburg in diesem D ienst an der Jugend tätig w aren, w uchs ihre Zahl bis 1957 au f 20 an. F olgende salesianische N iederlassu ng en w erd en m it der Z w eck b estim ­ m ung eines Ju g endw ohn heim es neu gegründet: B erlin-G run ew ald , B erlin- W annsee, B o c h u m 12, D u isb u rg , F o rch h e im (G rü n d u n g 1964), H ann ov er, K onstanz, M annheim , N ü rnberg (1962 ü bern o m m en ), S aarbrück en , Trier, Velbert und W aldwinkel.

Z ehn Jahre nach Ende des Z w eiten W eltkrieges in E uropa betreuten die S ale­

sianer in nunm ehr zw ei deutschen P rovinzen in d en H eim en nach v orsich­

11 Theodor Fennem ann, a.a. O., S. 9.

12 Das kurze Leben des W ohnheimes unter salesianischer Leitung in Bochum muss als Sonderfall gew ertet werden. Die Ü bernahm e der Leitung des C aritas-H eim es scheiterte, weil der P rovinzleitung die U m setzung pädagogischer Z iele in einer vom C aritasverband fest­

gelegten ungegliederten Zielgruppe von B ew ohnern zw ischen dem 14. und 25. L ebensjahr nicht realisierbar erschien.

Vgl. zum Problem: Johannes Wielgoß, 60 Jahre im D ienst an der Jugend. Die Salesianer Don Boscos im Ruhrgebiet, in: Steh auf und geh. Vergangenheit und G egenwart kirchlicher Ju­

gendarbeit im Bereich des Bistums Essen. Herausgegeben vom Bund der Deutschen K atholis­

chen Jugend und Bischöflichen Jugendam t im Bistum Essen. Essen 1981. S. 79-99. D er er­

wähnte Vorgang S. 97.

Siehe auch: Bistumsarchiv Essen, P 200, Bl. 337-372.

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tig en S chätzungen etw a 1.600 L ehrlinge zw isch en 14 un d 18 J a h re n 13. Im Jahre 1953 gab es in der B undesrepublik D eutschland (BRD) 390 H eim e in K atholischer T rägerschaft, die 24.000 Jugendliche beherbergten. D er Anteil der B ew ohner in salesianischen H eim en m acht 6,6% , der A nteil an H eim en der S alesianer 5,6% , das bedeutet, dass die Salesianer-H eim e im Vergleich zu anderen eine höhere B elegungsquote hatten.

D er rasante A nstieg an N eugründungen zeigt an, w ie gefragt und no t­

w endig auch zehn Jahre nach dem W affenstillstand diese A rbeit der Salesi­

aner in der B R D war. M it der M ehrung dieser H eim plätze und d en N eugrün­

dungen w irkten die Salesianer der „Jugendberufsnot” entgegen. M it diesem zeitgenössischen B egriff w urde die Folge der K rise au f dem A rbeitsm arkt b e­

schrieben, die sich in den F ünfzigerjahren für junge M enschen in der B RD ergab. Z um einen bestand ein akuter M angel an A usbildungs- und A rb eits­

plätzen, zugleich w aren die G eburtsjahrgänge zw ischen 1933 und 1942 ü b er­

d u rc h sc h n ittlic h h o c h 14. A u ß e rd em fü h rte ein e B ev ö lk eru n g sb e w eg u n g großen A usm aßes aus den G ebieten östlich von O der und N eiße seit 1944 und aus der S ow jetisch B esetzten Zone (S B Z )15 als lang anhaltende K riegsfolge­

erscheinung ständig w eitere Jugendliche in die BRD. B is 1950 w aren durch Flucht und V ertreibung nach den E rm ittlungen des S tatistischen B undesam tes 7,9 M illionen M enschen in die B R D geström t. Sie m achten einen A nteil von 16,6% der G esam tbevölkerung a u s 16. N och 1950 hatten viele keine fam ilien­

gerechte W ohnung erhalten können, sie w aren in Sam m elunterkünften unter­

gebracht, w o im K rieg K riegsgefangene und Z w angsarbeiter hausen mussten.

D ie B ehörden belegten Luftschutzbunker, Schulen, Säle und Turnhallen m it F lü c h tlin g en und V ertriebenen. Im V ergleich m it d iesen statistisch en H in ­ w eisen zeigt ein B lick au f die H erkunft der H eim bew ohner noch deutlicher die Veränderung in der B evölkerungsstruktur der ju n g en BRD.

Vom W ohnheim in W ürzburg liegen nur w enige Z ah len vor. Das H eim w ar zum D atum der Einw eihung im Juni 1951 m it 200 L ehrlingen belegt, von

13 D iese Zahl konnte annähernd erschlossen werden. Zahlenangaben befinden sich ver­

streut in B erichten über die E inw eihung der W ohnheim e. Vgl. Salesianische N achrichten, Jahrgänge 1951-1957 und bei Söll, a.a. O. unter den Geschichten der einzelnen Häuser.

14 Der Anstieg der G eburtsrate war ein Ergebnis einer aktiven Bevölkerungspolitik der Z w isch en k rieg szeit in E uropa und w urde seit 1933 vom n atio n also zialistisch en Staat im M utter-Kult m it N achdruck propagiert.

15 Sow jetisch B esetzte Z one (SBZ), seit O ktober 1949 D eutsche D em okratische Re­

publik. D ie BRD und die W estmächte erkannten die D DR nicht als zw eiten deutschen Staat an, weil ihre Bürger sich nicht „frei und rechtm äßig” an der Regierungsbildung beteiligen konnten.

Die politische Sprachregelung lautete in der BRD weiterhin „SBZ” .

16 Statistisches Jahrbuch für die B undesrepublik Deutschland, 1957, S. 46.

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denen 85 aus F lüchtlings- und V ertriebenenfam ilien stam m ten, 75 w aren ohne Vater, 28 eltern lo s17.

Im A rchiv der N iederlassung E ssen befinden sich interne M eldeunter­

lagen, die m it dem E inzug in das Heim erm ittelt wurden. H ier sind die Z u ­ gänge zw ischen 1951 und 1960 nach ihren G eburtsorten aufgeschlüsselt, es handelt sich um die G eburtsjahrgänge zw ischen 1935 und 1945.

G esam tzahl der Z ugänge zw ischen 1951 und 1960: 548 A ufgliederung nach Geburtsorten:

1. Östliche der Oder-Neiße-Linie Geborene: 189 (34%)

2. In der CSSR Geborene: 9

3. In der UdSSR Geborene: 1

4. In Rumänien Geborene: 6

5. In der Sowjetisch Besetzten Zone Geborene: 23

6. Im Ruhrgebiet Geborene: 93 (davon 60 in Essen) 7. An anderen Orten der BRD Geborene: 144

8. Im Emsland Geborene: 60

9. Im Oldenburgischen und Raum Osnabrück Geborene: 13 10. Im Kreis Lichtenfels (Franken) Geborene: 6

11. In Belgien Geborene: 1

12. In den Niederlanden Geborene: 3

A uffällig ist der im Vergleich zur G esam tbevölkerung deutlich höhere A n­

teil der Flüchtlinge und V ertriebenen (P osition 1, zu der noch die P ositionen 2 bis 4 hinzugerechnet w erden m üssen).

Die unter Position 5 aufgeführten Jugendlichen haben in der R egel über W est­

B erlin die SBZ verlassen. A usschlaggebend für die Flucht w aren die politische oder w irtschaftliche E ntw icklung in diesem Gebiet. Seit Ende 1957 hatte die D D R die „R epublikflucht” unter Strafe gestellt, eine R ückkehr w ar nicht m ehr ratsam , es drohte eine G efängnisstrafe bis zu drei Jahren.

Die im R uhrgebiet G eborenen (Position 6) kam en in der Regel aus einem W ohn­

ort in G ebieten, die in den K riegstagen nicht so sehr von Luftangriffen bedroht waren. Ihre Fam ilien w aren im K rieg aus dem R uhrgebiet nach Bayern, T hürin­

gen, O stw estfalen, Lippe, O stfriesland oder ins E m sland evakuiert. Z u zu g s­

verbote in w estdeutsche G roßstädte - w egen der W ohnraum not ausgesprochen - verzögerten eine R ückkehr ins R u h rg eb iet18. Viele V äter w aren im K rieg ge­

fallen, m anche alleinstehende F rau w ar eine neue B eziehung eingegangen oder lebte in einer sogenannten „O nkelehe” 19.

17 Salesianische N achrichten, A ugust 1951, S. 7. Aufschlussreiches Archivm aterial war nicht m ehr auffindbar. Es könnte bei Renovierungsarbeiten verloren gegangen sein.

18 Vgl. H elga M ohaupt, Kleine G eschichte Essens, Bonn 1991. S. 243-244.

19 Es handelt sich um einen umgangssprachlichen Begriff: Eine K riegerwitw e lebte mit

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D ie P ositionen 8-10 führen gesondert strukturschw ache G ebiete in der B R D auf, die v orw iegend du rch L an dw irtschaft geprägt w aren und Jugendlichen kaum andere B erufschancen boten.

F ür alle P ositionen ist im Falle des B erglehrlingsheim es in E ssen au f die g ezielten A n w erb eak tio n en des R uhrb erg bau es seit 1948 h inzuw eisen. Der R uhrbergbau nahm beim w irtschaftlichen W iederaufbau eine Schlüsselstellung ein, litt aber m it dem Ende des K rieges durch die B efreiung der Z w angsarbei­

ter und K riegsgefangenen an A rbeitskräftem angel. D ie verbliebenen B ergleute w aren überaltert und durch die schlechte V ersorgungslage anfällig für K rank­

heiten. B eim A nw erben griff dieser W irtschaftszw eig au f Flüchtlinge und Ver­

triebene und Jugendliche zurück, die in landw irtschaftlich geprägten R egionen w ohnten und dort keine A usbildungs- und A rbeitsplätze finden konnten.

H inter d iesen Z ah len stehen die L ebensgeschichten, die vielen E in zel­

schicksale der jungen H eim bew ohner. Sie hatten einen A lltag zu bew ältigen, der sich in der W ahrnehm ung nur in einem Punkt vom K riegsalltag unterschied, dass näm lich keine B om ben m ehr fielen. Es ging diesen M enschen um die S i­

cherung von Elem entarbedürfnissen, noch w ie in den letzten W ochen des K rie­

ges, zuerst um W ohnraum und um N ahrung, d an n um d en L eben su n terh alt durch A rbeit und A usbildung, also um die G rundlage für eine Lebensexistenz.

Viele dieser M enschen leb ten an einem für sie frem den O rt, entw urzelt, ge­

trennt von der Fam ilie, m it den E rfahrungen von Evakuierung, F lucht und Ver­

treibung. D ie R ealität des K rieges blieb im L eben der ju n g en M enschen als b e­

stim m ende und belastende G röße gegenw ärtig. In der W ahrnehm ung dieser M enschen w ar das Jahr 1945 m it der Einstellung der K riegshandlungen keine

„Stunde N ull”, ein neuer A nfang m it anderen Vorzeichen. Was sich den S ale­

sianern, die sich spontan au f die Seite dieser Jugendlichen stellten, zunächst als M itarbeit an der Lösung eines sozialen Problem s w ie die B ereitstellung von W ohnraum aufdrängte, w urde von ihnen bald als pädagogische und pastorale H erausforderung im D ienst an der Jugend begriffen und in ihrer P ädagogik für Jugendw ohnheim e um gesetzt. D ie H eim e füllten sich m it ju n g en M enschen, deren L ebensgeschichten geprägt w aren vom H intergrund des K rieges, von F a­

m ilien, die zerstört w aren durch K riegstote, Verm isste, kriegsgefangene V äter oder traum atisierte H eim kehrer aus K riegsgefangenenlagern, einer Ju gendge­

neration also, die unvergleichbar w ar m it denen, die traditionell zur Z ielg ru p­

pe der deutschen S alesianer zählte. A uch die V erschiedenheit in der K onfessi­

on und der landsm annschaftlichen H erkunft forderte neben den individuell n ie­

m als aufgearbeiteten E rlebnissen von Flucht und Vertreibung ein besonderes

einem M ann zusam m en, ohne eine Ehe geschlossen zu haben, um den A nspruch auf ihre staatliche R ente nicht zu verlieren.

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pädagogisches G eschick der Erzieher in den H eim en heraus, eine A ufgabe, die sich der salesianischen A rbeit in diesem U m fang und dieser H ärte bisher noch nicht so drängend gestellt hatte.

3. Pädagogische und pastorale Ziele in Jugendwohnheim en der Salesi­

aner

D ie protokollarischen A ufzeichnungen über die A usführungen von P. P hi­

lipp H ollerbach w ährend der D irektorenkonferenz im H erbst 1946 stellen deut­

lich heraus, dass die A nnahm e der H erausforderung der Jugendnot sich nicht in der Linderung des konkreten m ateriellen N ot erschöpfen kann, sondern im K on­

text der salesianischen Sendung geschehen m usste. D as bedeutete die W ahr­

nehm ung eines um fassenden Erziehungsauftrages nach den salesianischen Prin­

zipien, die - aus der Tradition vorgegeben - bereits im A lltag anderer E inrich­

tungen w ährend der Vorkriegszeit praktiziert wurden. Es w urde also kein eige­

nes, neues K onzept zur Führung dieser H eim e entw ickelt oder gar in der P ro­

vinzgem einschaft abgestim m t, sondern m an ging m it dem B lick au f die örtlich gegebene Situation m it ihren M öglichkeiten nach dem geläufigen salesianischen M odell vor. Dies w ird in der H ausordnung erkennbar, die differenziert nach Werk- und Sonn- und Feiertagen den Tagesrhythm us für die Lehrlinge v orgab20.

Sie legte die Z eiten für die gem einsam en M ahlzeiten, das M orgen- und A bend­

gebet, den freien A usgang, den Sonntagsgottesdienst und die N achtruhe fest. In einem Vertrag zw ischen der K rupp Bergw erks A G und den Salesianern in Es- sen-Borbeck w ar festgelegt worden, dass die „Betreuung und Erziehung der Ju ­ gendlichen, außer der beruflichen Ausbildung, von den Salesianern übernom m en wird. D ie Erziehung ist ausgerichtet nach den beigefügten Erziehungsgrundsät­

zen der S alesianer”21. D iese aber w aren in einzelnen Punkten m it der Z w eck­

bestim m ung des H auses und der B enennung eines Erziehungszieles, das sich an der A uflösung von bisher konfessionell ho m ogenen R egionen D eutschlands durch Zuzug von Flüchtlingskontingenten ergab, auch der aktuellen Situation der Jugend angepasst: „Vor allem soll das H aus ein Heim sein für arm e und h ei­

m atlose H andw erkslehrlinge, Jungarbeiter und Jungbergleute. D ie Jugendlichen dieses H eim es w erden zur gottesfürchtigen, christlichen H altung angehalten.

( ...) A lle aber haben die Pflicht, E hrfurcht zu haben vor der religiösen Ü ber­

20 Im A rchiv des St.-Johannesstiftes liegt die „H ausordnung für die Berglehrlinge” aus dem Jahre 1947 vor.

21 Ebd.

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zeugung ihrer K am eraden und diese Ehrfurcht bei öffentlichen religiösen H and­

lungen zum A usdruck zu b rin g en ”22.

Das Q uellenm aterial von der Außendarstellung dieser Heim e, das in der lo­

kalen P resse entstand und häufig von d en „S alesianischen N achrichten” ü ber­

nom m en w urde, betont vor allem den erzieherischen W ert vo n Spiel, Sport, M usik und T heater in der Pädagogik D on Boscos. D as G enre der Fotos zu den B eiträgen m acht diesen in den W ohnheim en verw irklichten G rundsatz augen- fä llig 23. P. F ennem ann verfasste im Jahre 1951 einen kurzen E rfahrungsbericht für die H eim stattb ew eg u n g 24, in dem er als erstes M ittel zur F örderung der pädagogischen Intention des H eim es die gute B ibliothek nannte. Er m erkte im folgenden an, dass „ die Jungen w eitgehend selbst solche W erte schaffen und setzen ” m üssten, deshalb m üsse m an die G elegenheit zum T heaterspiel, zum M usizieren und Singen schaffen25.

D iese M erkm ale kennzeichnen die ausgesprochen traditionell-salesiani- sche Prägung der Lehrlingsw ohnheim e, sie zeigen ein S tück der schablonen­

haften Ü bernahm e der Praxis D on B oscos und der salesianischen Tradition.

Im gleichen B ericht sprach P ater Fennem ann die E inrichtung eines W ohn­

heim es an: Er schloss acht Personen zu einer W ohngem einschaft zusam m en, die zw ei Schlafzim m er und ein W ohnzim m er belegen sollten. D er Speiseraum w ar

22 Ebd.

23 Vgl. zum Beispiel: Salesianische N achrichten, Januar 1991 (Regensburg), S. 7; ebd., A ugust 1951 (Einweihung W ürzburg), S. 7; ebd., November 1951 (Einweihung M annheim), S.

9; ebd., Januar 1953 (Hannover), S. 15. Siehe auch Anm. 5.

Im B ergbauarchiv B ochum befin d et sich ein F otoalbum m it einer F o to serie des Berglehrlingsheim es der Salesianer in Essen-Borbeck. Im A nschluss an zwei Außenaufnahm en des G ebäudes kurz nach seiner F ertig stellu n g sind F otos eingeordnet, die F re iz e it­

m öglichkeiten im H eim zeigen. L eider sind diese Fotos nicht beschriftet. Sie dienten der Z echenverw altung wohl zur A nw erbung jugendlicher A rbeitskräfte, sie dokum entieren aber auch den W illen der salesianischen Heimleitung, den Jugendlichen mit dem Wohnraum eine U m w elt zu schaffen, die ihren Bedürfnissen in der Freizeit entsprach. Vgl. Bergbau-Archiv Bochum, B estand 20/4607.

24 Die Heim stattbew egung ging auf eine Initiative der K atholischen Jugend und des Ca­

ritasverbandes im R heinisch-W estfälischen In d u strieg eb iet und des A ufbauw erkes ju n g er C hristen in B ayern unm ittelbar nach dem Zw eiten W eltkrieg zurück. Sie nahm en sich der heim at- und berufslosen Jugendlichen an. M itinitiator für die Lehrlingsw ohnheim e w ar P Theodor Fennemann.

Vgl. die Teilnehmerliste der 1. Konferenz „H eim statt” am 13. N ovem ber 1947 in Köln, in: A nfänge der H eim statt im Rheinischen Raum. Eine Dokumentation. Herausgegeben von Karl H ugo Breuer, Köln 1968.

Zur G eschichte und Bedeutung der katholischen H eim stattbew egung siehe: Elisabeth Graf, D ie K atholische Heimstattbewegung. Geschichte und Zielsetzungen einer jugendsozialen Initiative in N ordrhein-W estfalen, in: Steh auf und geh. Vergangenheit und G egenw art ..., a.a.O., S. 152-194.

25 Theodor Fennem ann, Erfahrungsbericht aus einem Berglehrlingsheim , in: A nfänge der Heim statt im Rheinischen Raum, a.a.O., S. 47-49.

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allen gem einsam . A ußerdem gab es ein größeres Spielzim m er für Tischtennis und B illard, einen U nterhaltungsraum m it R adio und einen R aum der S tille26.

D iese H inw eise sind nicht nur als praktische R atschläge eines erfahrenen E r­

ziehers zu lesen, sie spiegeln vielm ehr die D ynam ik salesianischer Erziehung wie der Intuition des salesianischen Erziehers wider, die aus der Z eitsituation entstanden waren. Bei allem M angel m usste in der W ohnsituation verm ieden w erden, was die Jugendlichen an N otunterkünfte und Lagererfahrung erinner­

te. So m usste die gem einsam e U nterbringung in S chlafsälen aufgegeben w er­

den, geschützte R äum e und M öglichkeiten individueller E ntfaltung und B etäti­

gung m ussten gew ährleistet sein. So kam es in E ssen zum B eispiel dazu, dass sich die Lehrlinge schon A nfang der Fünfzigerjahre in einer G ruppe des K a­

tholischen P fadfinderverbandes (D PSG ) engagieren konnten, die traditionellen B ündnisse in den salesianischen H äusern hatten unter diesen Jugendlichen k ei­

ne C hance mehr.

M it diesen Veränderungen, um die unter den M itbrüdern gestritten wurde, kündigte sich auch ein A bschied von der schablonenhaften Ü bernahm e sekun­

därer R egeln aus der E rziehungspraxis D on B oscos und der salesianischen T ra­

dition an, eine bisher w enig beachtete Tatsache in der D ynam ik der deutschen Salesianergeschichte. D iese durch die S ituation in D eutschland in G ang ge­

setzten V eränderungen w urden von der G eneralleitung in T urin m it M isstrauen begleitet.

E in V isitationsbericht des M itgliedes des O berkap itels27, don A lbino Fe- drigotti (1902-1986), enthält einige A ndeutungen für dieses M isstrauen, das von der in W ohnheim en geübten Praxis herrührte oder für die Pädagogik in W ohnheim en bedeutend war. D on Fedrigotti w eilte vom 18. Februar bis zum 3.

M ai 1949 zu einer außerordentlichen Visitation in der deutschen Provinz und be­

suchte m it dem P rovinzial Dr. Seelbach alle Häuser. In seinem V isitationsbe- richt28 hielt er G ründe fest, die nach seiner W ahrnehm ung dazu beitrugen, dass die Treue zu salesianischen P rinzipien in D eutschland zur D isposition stand.

D ieser beobachteten Tendenz zur A blösung von der salesianischen Tradition glaubte er durch eine stärkere A nbindung an den zentralen O rt T urin entgegen­

w irken zu m üssen. So w ies er darauf hin, dass schon siebzehn Jahre lang - be­

dingt durch nationalsozialistische H errschaft und K rieg - keine Studenten nach T urin geschickt w orden seien. D ie P riesteram tskandidaten b eschäftigen sich w enig m it salesianischen Fragen, sie befassen sich m ehr m it der liturgischen B e­

26 Ebd., S. 48 und 49.

27 Heute: Generalrat.

28 Visita C anonica straordinaria alle Case della Germania, 1949.

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w egung und den katholischen Jugendverbänden, die er abw ertend als lokale E rscheinungen d eu tete29.

D esw eiteren m achte der V isitator unter der G ruppe der siebzehn D irekto­

ren einen M angel an W issen über den salesianischen G eist aus, nur sechs von ihnen seien in Italien gew esen, die übrigen könnten die B riefe der G eneralobe­

ren und andere D okum ente der salesianischen Tradition nicht lesen 30. Schließ­

lich m achte er unter den d eutschen M itbrüdern starke Spannungen aus zw i­

schen der ersten Salesianergeneration, die ab 1916 das W erk D on B oscos in D eutschland aufgebaut hatte, und der jüng eren G eneration, die in D eutschland ausgebildet, zum Teil m it ihren K riegserfahrungen heim gekehrt w ar und nun in den H äusern arbeitete31. D er Streit ging um die Interpretation D on B oscos, um die Treue zu den Z ielen D on Boscos. D ie kom plexen H intergründe dieser A us­

einandersetzungen blieben dem V isitator w ohl verschlossen, er konnte w egen seines zentralistischen D enkansatzes den W eg der jün geren S alesianergenera­

tion nicht begreifen, dass näm lich die Treue zu D on B osco nicht m it seiner fo r­

m alen K opie gesichert ist, sondern nur in einer au f die Z eitum stände und Ju ­ gendsituation eingehenden reflektierten Ü bernahm e der Z iele D on B oscos ge­

lingen k a n n 32.

D er vom O berkapitel im Som m er 1949 eingeschlagene W eg, m it der A b­

setzung des Provinzials Dr. T heodor Seelbach eine Ä nderung des K urses zu er­

reichen, weil er - wie m an aus D eutschland kolportiert hatte - den „N euerungen”

zu verständnisvoll gegenüberstehe, hat sich in der G eschichte nicht als w ir­

kungsvoll erw iesen 33.

U nberührt von diesen internen A useinandersetzungen in der K ongrega­

tion blieb das öffentliche A nsehen dieses salesianischen A rbeitsfeldes m it dem pädagogischen E ngagem ent vieler Salesianer hoch geschätzt. D ie B erichte über E inw eihungsfeierlichkeiten von Jugendheim en zählen neben den kirchlichen

29 Ebd., S. 2.

30 Ebd., S. 15.

31 Ebd., S. 14. Die Gruppe der frühen deutschen Salesianer hatte ihre erste salesianische Form ation in Penango erhalten. Vgl. zu diesen Spannungen auch: Johannes Wielgoß, Aufbruch oder Stillstand? Ü ber verheerende Folgen von NS-Herrschaft und K rieg auf die deutsche Sale­

sianer-P rovinz, in: O rdenskorrespondenz, Z eitsch rift für F ragen des O rdenslebens, 42.

Jahrgang 2000, S. 158-168.

32 Ein typischer Vertreter dieser Salesianergeneration soll genannt werden: P. M artin Söll (1911-1981). P riesterw eihe am 29. Juni 1939; T eilnahm e am Z w eiten W eltkrieg als Sa­

nitätssoldat 1940-1945; Kaplan in M ünchen, St. Wolfgang 1945-1948; Studienpräfekt in Bux­

heim 1948-1951; Studium der S oziologie in M ünchen 1951-1953; V erbandskaplan des katholischen deutschen Sportverbandes „D eutsche Jugendkraft” (DJK) in D üsseldorf; Pfarrer in Augsburg 1961-1981.

33 Z u diesem Vorgang bisher nur: Johannes W ielgoß, Eine A bsetzung zum Wohle der Provinz? Warum Dr. Seelbach 1949 als Provinzial aus seinem A m t schied, in: M iteinander 4/99, S. 4-5. (= M itteilungsblatt der Norddeutschen Provinz der Salesianer Don Boscos Köln).

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V ertretern auch zahlreiche K om m unal-, Landes- und B un despo litiker sow ie Vertreter der am erikanischen und englischen B esatzungsbehörden auf34. Sie ga­

ben den S alesianern eine öffentliche B estätigung, dass sie am richtigen O rt w a­

ren und taten, was die Stunde gebot: näm lich dieser heterogenen G ruppe ju ­ gendlicher B ew ohner ein Heim zu geben, das sich deutlich abhob von L agern der nationalsozialistischen Jugenderziehung35, K asernen, D urchgangslagern für Flüchtlinge und Vertriebene und anderen N otunterkünften. D as durch die U m ­ stände gebotene L eben im Heim sollte die berufliche A usbildung stützen, nach den salesianischen Prinzipien die A nlagen des einzelnen fördern und einen not­

w endigen B eitrag zur Integration der ju n g en bundesrepublikanischen G esell­

schaft leisten. U nverzichtbar a u f diesem W eg blieb d en S alesianern die religiö­

se Erziehung als ein G rundelem ent im K onzept der Leitung eines L ehrlings­

heim es. D ie H ausordnung für die B erglehrlinge im St. Johannesstift in E ssen­

B orbeck legt für die katholischen Jungen den B esuch des G ottesdienstes fest, die nicht katholischen „bleiben w ährend dieser Z eit im U nterhaltungsraum und beschäftigen sich still.” Es w aren Z eiten für das M orgen- und A bendgebet v o r­

gesehen. Der Tag w urde beschlossen m it der von Johannes B osco eingeführten guten T rad itio n des „G ute-N acht-W ortes.” Im A b lau f des Jah res w aren die kirchlichen F este besonders herau sg eh o b en 36. In diesem Z u sam m enhang ist auch das A nliegen Pater Fennem anns einzuordnen, im H aus eine B ibliothek und einen R aum der Stille anzubieten37. O berstes Prinzip aber w ar nach den sa- lesianischen G rundsätzen selbstverständlich das personale A ngebot des P rie­

sters durch seine ständige A nw esenheit.

Eine kurze N achricht in den „S alesianischen N achrichten” vom A ugust 1947 m eldet selbstbew usst, dass das H aus in E ssen-B orbeck nun für B erglehr­

linge eingerichtet und „das erste und einstw eilen noch das einzige [sei], das aus katholischer Privatinitiative entstand und eine religiöse E rziehung der L ehrlin­

ge g e w äh rleistet” 38. D iese M eld u n g lässt n ic h t erk enn en, dass das für die

34 Vgl. zum Beispiel: Salesianische N achrichten, A ugust 1951, S. 5 (W ürzburg); N o­

vem ber 1951, S. 6 (M annheim); Februar 1952, S. 9-10 (Bamberg); Februar 1952, S. 11 (Han­

nover).

35 Zu erw ähnen sind hier die N ationalpolitischen Schulungslager (Napola) und vor allem die K in d erlan d v ersch ick u n g (KLV), eine A ktion der H itlerjugend, durch die ab 1941 schulpflichtige Jungen und M ädchen klassenw eise oder auch als ganze Schule aus bom benk rieg sg efäh rd eten S tädten in andere R egionen und d eutsche B esatzungsgebiete evakuiert w urden. D ie B etreuung übernahm en das Lehrpersonal und Jungvolk-F ührer der Hitler-Jugend und des Bundes deutscher Mädel.

36 Archiv St. Johannesstift, Essen-Borbeck.

37 Vgl. oben, Anm. 25.

38 Salesianische N achrichten, A ugust 1947, S. 8.

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Ö ffentlichkeit hervorgehobene unterscheidende M erkm al einer religiösen E r­

zieh u n g in d er G e se llsc h aft u m stritte n war. P ater H o llerb a ch h atte scho n w ährend der D irektorenkonferenz 1946 au f die „Sozialisten” und „M ateriali­

sten” hingew iesen, die eine religiöse B etreuung in den H eim en strikt ablehn- te n 39. In N ordrhein-W estfalen w andte sich P ater F ennem ann am 12. Juli 1947 an die zuständigen B ischöfe, C aritasdirektoren und V orsitzenden der S tadtsyn­

o den der E vangelischen K irche im R heinisch-W estfälischen Industriebezirk, um au f die desolaten Z ustände bezüglich der religiösen A ngebote für die H eim ­ ju g en d hinzuw eisen. A u f einer vom W ohlfahrtsm inisterium einberufenen Ta­

gung m it Vertretern des Landesarbeitsam tes des Bergbaus, der G ew erkschaften, der Jugendorganisationen und von H eim leitern der B erglehrlingsheim e m usste er die E rfahrung m achen, dass „niem als vo n religiöser oder christlicher B e­

treuung die R ede war.” „Ein H eim leiter, der ein R eferat zu halten hatte und in diesem R eferat das E inm ischen der O rganisationen in der B etreuung der B erg­

lehrlinge sich verbat, stellte den G eistlichen au f die gleiche Stufe wie die pro­

pagandistischen Parteifunktionäre”40. D iesem öffentlich vertretenen A nliegen von P ater Fennem ann, in den H eim en auch m it einem religiösen Sinnangebot präsent zu sein, standen Zechenleitung, A rbeitsam t und W ohlfahrtsm inisterium w ohlw ollend gegenüber, zum al m an d am it auch dem häufig geäu ßerten E l­

ternw illen nach einer religiösen B egleitung der Söhne n ac h k am 41. A us kirchli­

chen K reisen ist keine R eaktion bekannt, sie haben w ohl au f die A rbeit im Sin­

ne der K atholischen H eim statt-B ew egung vertraut und sahen darüber hinaus keinen H andlungsbedarf.

4. Krise und Ende der Lehrlingswohnheime

Im Juli 1951 erinnerte der V orsitzende der K atholischen H eim statt-B ew e­

gung in N ordrhein-W estfalen, P farrer Friedrich E in k 42, an die A nfänge zur F ö r­

derung der Jugend in einem vom K rieg verheerten L and durch den B au von

39 Vgl. oben, Anm. 2.

40 PAM, A kte Essen bis 1969.

41 Vgl. S chreiben des L andesarbeitsam tes an das B erglehrlingsheim der Salesianer, Essen-Borbeck vom 21. Januar 1948. A rchiv des St. Johannesstiftes Essen-Borbeck.

42 Friedrich Eink (1906-1994). Priesterweihe 1931; Kaplan in Im m igrath und K öln-M ül­

heim 1931-1939; Kaplan in D üsseldorf und zugleich Stadtjugendseelsorger für die männliche Jugend 1939-1941; ab 1942 auch Rektor an der U rsulinenkirche; D om vikar in Köln, Diöze- sanseelsorger für die m ännliche Jugend und Leiter des Erzbischöflichen Jugendam tes in Köln 1944-1947; L eiter der K atholischen H eim stattbew egung für heim atlose Jugendliche in der Erzdiözese Köln und in N ordrhein-W estfalen 1947-1952; Pfarrer in K öln-K lettenberg 1952­

1985, anschließend im Ruhestand.

(16)

H eim en im rheinisch-w estfälischen Industriegebiet: „Die ersten 20 H eim stätten entstanden aus den T rüm m ern ohne U nterstützung öffentlicher Stellen, ganz aus dem Idealism us, dem G lauben und der E insatzbereitschaft einzelner. V iel­

leicht gehörte dam als viel m ehr M ut dazu, zu beginnen als heute, w o das be­

gonnene H eim der U nterstützung vieler gew iss ist” 43. Treffender als m it diesem zeitgenössischen U rteil kan n kaum gew ürdig t w erden, w as eine große Z ahl deutscher Salesianer neben den beiden Protagonisten Pater Fennem ann und P a­

ter H ollerbach zum A ufbau von Jugendw ohnheim en m it dem Z iele einer ganz­

heitlichen F örderung von Jugendlichen in der B erufsausbildung angestrebt hat.

In diesen ersten N achkriegsjahren beherrschte die deutsche B evölkerung vo r­

nehm lich das L ebensgefühl des Verlustes und des Zusam m enbruchs, m it dem die R eaktio n w uchs, die jew e ilig e S itu atio n zu m eistern. M it M ut und E n t­

schlossenheit setzten die Salesianer sich in einem B ereich der Jugendhilfe ein, der aus der konkreten N ot erw achsen w ar und sich m it der Veränderung durch B ehebung von K riegsschäden erübrigen m usste.

D iese absehbare E ntw icklung zu einem E nde vieler Jugendw ohnheim e blieb eigentüm lich unbem erkt. S chon 1954 zeichneten sich im rheinisch-w est­

fälisch en In d u strieg eb iet durch die v ollm ech anische G ew inn un g der K ohle strukturelle K risen ab. A b 1957 käm pfte der R uhrbergbau m it der K onkurrenz billiger ausländischer K ohle, 1958 begann die staatliche S ubventionierung des B ergbaus, 1966 w urden die ersten Z echen stillgelegt44. A u f die B erglehrlings­

heim e w irkte sich diese K rise durch ständig sinkende B elegungszahlen aus, es w aren die Vorboten eines alllm ählichen Sterbens dieser Erziehungsarbeit, die für viele deutsche Salesianer der jüngeren G eneration ein unm ittelbarer A uslöser für die F ragen nach einer grundlegenden O rientierung salesianischer E rziehungs­

arbeit in den P rovinzen wurde. D ieser N iedergang der L ehrlingsheim e hat sei­

ne letzten A usläufer in den Siebziger Jahren gefunden.

Als Jugendw ohnheim e arbeiten von den o ben aufgezählten W erken heute nur n och die N iederlassungen Forchheim , K onstanz und N ürnberg, zu beacht­

lichen Z entren für die berufliche B ildung haben sich die H äuser in Sannerz, W aldw inkel und W ürzburg entwickelt. A lle anderen N iederlassungen, die nach dem Z w eiten W eltkrieg als Lehrlingsw ohnheim e gegründet waren, haben zum Teil andere A ufgaben in der Jugendarbeit oder Pfarrseelsorge übernom m en oder es w urde die salesianische Präsenz am O rt beendet.

43 Friedrich Eink, D ie H eim stattbew egung im Lande Nordrhein-W estfalen. K urzbericht des Vorsitzenden der A rbeitsgem einschaft H eim statthilfe in Nordrhein-W estfalen auf der Lan­

desjugendpflegetagung am 24./25. Juli 1951 in Köln, in: Jugendnot findet Hilfe. H eim statt 1945-1952. Reden und A ufsätze von Fr. Eink, S. 34.

44 H elga M ohaupt, a.a.O., S. 273-275.

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