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Alain Boureau

KANTOROWICZ

Geschichten eines Historikers

Aus dem Französischen übersetzt von Annette Holach

Mit einem Nachwort von Roberto delle Donne

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Verlagsgemeinschaft Ernst Klett Verlag

-J. G. Cotta'sche Buchhandlung

Aus dem Französischen übersetzt von Annette Holoch Die Originalausgabe erschien 1990

bei Editions Gallimard, Paris unter dem Titel Histoires d'un

historien: Kantorowicz

© 1990

© für die deutsche Ausgabe

Ernst Klett Verlag für Wissen und Bildung GmbH, Stuttgart 1992

Fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlages Printed in Germany

Umschlag: Klett-Cotta-Design Gesetzt aus der 101/z Punkt Bembo von Steffen Hahn FotoSatzEtc., Kornwestheim Auf säurefreiem und holzfreiem Werkdruckpapier

gedruckt und gebunden von Röck, Weinsberg

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

Alain Boureau:

Kantorowicz: Geschichten eines Historikers/ Alain Boureau Aus dem Französischen übersetzt von Annette Holoch.

-Stuttgart: Klett-Cotta, 1992 Einheitssacht.: Kantorowicz <dt.>

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Nachwort

Von Roberto delle Donne

1. So wie das Leben sich wandelt, bleiben sich Werke und Worte, Gestalten und Geschichten nicht gleich. Sie altern und werden wieder jung, sie entfernen sich und rücken wieder näher, sie verändern Ausdruck und Tonfall - wie jeder Mensch und alle Generationen im Lauf der Zeit. Häufig werden sie mißverstanden und falsch gedeutet. Zuweilen gewinnen sie gerade dann eine neue Bedeutung, wenn sie fremd und indifferent erscheinen, wenn sie also dem Über-blick und Zugriff ihres Autors entzogen sind: In der Verände-rung der Bedeutung erscheint die Gabe, Gedanken, Gefühle und Qualitäten anderer Menschen in anderen Situationen und zu anderen Zeiten auszudrücken - eine Gabe, die sich der Autor selbst kaum vorstellen kann, eine Fähigkeit, Fragen zu beantworten, die er selbst nie hätte stellen, ja nicht einmal begreifen können.

Das Ansehen des Historikers Ernst Kantorowicz ist unter amerikanischen Wissenschaftlern schon seit Jahrzehnten un-umstritten. Seine Gelehrsamkeit und seine Bildung, sein feiner Humor und seine ausgeprägte Persönlichkeit, dazu seine Charakterfestigkeit, als er während der McCarthy-Ära den Loyalitätseid mutig verweigerte, den die Universität von Kalifornien ihm abverlangte, "haben aus ihm eine Art Le-gende unter Kollegen und Studenten gemacht" und "einen kleinen akademischen Kult"1 bei seinen Schülern ins Leben

gerufen, von denen einige nach seinem Tod jenen For-schungsthemen weiter nachgehen, die er in die

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sehe Universität eingeführt hatte2 . In Europa allerdings war sein Name bis vor wenigen Jahren kaum bekannt.

Die breite Anerkennung, die er sich mit seinem frühen Werk über den Stauferkaiser Friedrich II. erworben hatte - es erschien in den Jahren 1927 und 1931 und wurde sehr bald ins Englische und Italienische3 übersetzt -, verblaßte nach und

nach, und die Erinnerung an ihn wurde später nur noch in den Arbeiten einiger weniger Forscher und Gelehrter wach-gehalten4. Wie soll man sich nun die neuerdings zu beobach-tende Wende im Nachruhm von Kantorowicz erklären? Die Ereignisse wie die europäische Wiederentdeckung der histo-rischen Monographie The King's Two Bodies5 , erschienen 1957 in den Vereinigten Staaten, sowie das gewaltig steigende Interesse am geistigen und menschlichen Hintergrund dieses deutschen Juden, der wie so viele andere seiner Zeitgenossen gezwungen wurde, sein Vaterland zu verlassen und nach Amerika zu fliehen?

2. Als Kantorowicz im Jahr 1938 Deutschland für immer verließ, trug er das abgeschlossene Manuskript einer Arbeit bei sich, die erst 1946 erscheinen sollte -von ihm selbst ins Englische übersetzt: Laudes Regiae. A Study in Mediaeval AceZa-rnations and Ruler Worship6 • Darin wurde zum erstenmal, in

z Von den amerikanischen Historikern, die Kantorowicz' geistiges Erbe über-nahmen, seien hier zumindest Michael Cherniavsky, Ralph E. Giesey, Robert

L. Benson, Sarah Hanley, Richard A. Jackson und Lawrence M. Bryant erwähnt.

3 Die englische Übersetzung erschien im Jahr 1931, die erste- sehr anfecht-bare - italienische 1939, die zweite - vorzügliche - von Gianni Pilone Colombo 1976.

4 Vgl. hierzu für Deutschland den Artikel von Horst Fuhrmann, "Die

Heimho-lung des Ernst Kantorowicz", Die Zeit, Nr. 13 vom 22. März 1991, S. 49 f.

s Die spanische Übersetzung erschien im Jahr 1985, die französische 1988, die italienische 1989, die deutsche 1990.

6 University of California Press, Berkeley und Los Angeles, 1946. Zur Entste-hungsgeschichte dieses Werks vgl. R. E. Giesey, "Ernst H. Kantorowicz. Scholarly Triumphs and Academic Travails in Weimar Germany and the United States", Year Book of the Leo Baeck Institute, XXX (1985), S. 195. Über

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weiter historischer Perspektive, die grundsätzliche Bedeu-tung der Liturgie für das Verständnis des mittelalterlichen Königtums und des Mittelalters insgesamt entfaltet. Das Werk gilt mit Recht als ein höchst verfeinertes Gegenstück zu den Ordines-Studien, die Percy Ernst Schramm gerade in jenen Jahren abschloß 7 • Auch wenn die Existenz liturgischer

Lob-gesänge zu Ehren des Herrschers - etwa zur Kaiserkrönung Karls des Großen - bereits bekannt war, verband Kantoro-wicz doch als erster die Einzelereignisse von ihrer Bedeutung her, verfolgte die Spuren bis in die Antike und zog eine Verbindung zwischen ihren Ursprüngen und der Fusion von spätrömischen Formeln mit anglo-irischen Elementen. Er zeigte, wie sich unter der Herrschaft Pippins und danach - in den ersten Regierungsjahren Karls des Großen - die fränki-sche Vorstellung vom Königspriestertum vollendete, der zu-folge der Souverän das irdische Abbild Christi, des Weltenherr-schers, darstellt. Er verfolgte die weitere Entwicklung dieser Vorstellung in der römischen Kurie, den normannischen Königreichen in Sizilien, der N ormandie und in England - bis hin zu ihrem späten, bedrohlichen Nachhall in einer Hymne des italienischen Faschismus, und zwar "in einer so umfassen-den Weise, daß zu dieser These kaum etwas nachzutragen bleibt"8 . Im Vorwort erinnert Kantorowicz an einige

Prinzi-pien, die sein ganzes Werk durchziehen und seine Auffassung

die dramatischen Umstände, die Kantorowicz die Flucht aus Deutschland ermöglichten, berichtet C. M. Bowra, Memories 1898-1939, London, 3. Auf-lage 1967, S. 304 f.

7 "Die Ordines der mittelalterlichen Kaiserkrönung. Ein Beitrag zur

Ge-schichte des Kaisertums", Archiv für Urkundenforschung, 11 (1930), S. 285-390; "Ordines-Studien Il: Die Krönung bei den Westfranken und den Franzosen", ebd., 15 (1939), S. 3-55; "Ordines-Studien III: Die Krönung in eョセャ。ョ、BL@

ebd., S. 305-391; "Nachträge zu den Ordines-Studien II-III", ebd., 16 (1939),

s.

279-286.

B So P. E. Schramm in seiner Rezension der Selected Studies von Kantorowicz in Erasmus, Bd. 18, Nr. 15-16 (25. 8. 1966), S. 451. Vgl. aber auch die weitgehend

positiven Rezensionen von F. Baethgen in Deutsche Literatur.zeitung, 71 ( 19 50), Sp. 368-374, und von H. Grundmann in Historische Zeitschrift, 188 (1959), S.116-119.

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der abendländischen Kultur stützen: Er unterstreicht den tiefen Zusammenhang des abendländischen religiösen Empfindens bis zum 13. Jahrhundert mit den Kulten der Spätantike und erklärt, daß es nicht nur für die Geschichte des Altertums, sondern auch für die des Mittelalters unmöglich sei, politische Geschichte und Kulturgeschichte "ohne genaue Kenntnis der Kulte und der religiösen Bräuche"9 zu begreifen. Der Mediä-vist, nicht anders als der Altertumsforscher, müsse "selbst der ,Theologe' und der ,Kirchenhistoriker' dieser Epoche" sein, ohne sich von den Trennungen beirren zu lassen, die zum heutigen Staat gehören, denn "heutige Probleme sind weit von Götterkulten, religiösen Riten und liturgischen Feiern ent-fernt''.

In den Laudes Regiae behandelt Kantorowicz vorwiegend das

Hohe Mittelalter - jene Zeit, als der Kult des rex sacerdos verbreitet war. In den Zwei Körpern des Königs leitet er vom Frühen zum Späten Mittelalter über. Dieses Werk wurde in den späten vierziger Jahren an der Universität von Berkeley begon-nen und irrfolge der Auseinandersetzungen um den Loyalitäts-eid erst am Institute Jor Advanced Study in Princeton, frei von materiellen Sorsen, beendet. Es war durch Gespräche mit renommierten Gelehrten angeregt worden: mit Max Radin, Erwin Panofsky, Andreas Alföldi, Kurt Weitzmann, Theodor E. Mommsen, Harold Cherniss und Leonardo Olschki. Daß es den Ehrgeiz des Verfassers, das Problem zu lösen, das Ernst Cassirer als den "Mythus des Staates" beschrieben hatte, nicht befriedi-gend erfüllte, weiß man von Kantorowicz selbst. Er stellt seine eigenen kulturellen Paradigmata weitaus beredter dar, als man annehmen möchte10• Im übrigen wurde die grundlegende Bedeutung des Begriffs "symbolische Form", der im Zentrum

9 Ebd. S. VII.

lO Daraus resultierte ein mangelhaftes Verständnis für das Werk, was sich in

einigen sehr ablehnenden Rezensionen niederschlug. Siehe etwa B. Smalley in Past and Present, 20 (1961), S. 30-35, und E. Lewis, "King Above Law? ,Quod principi placuit' in Bracton", Speculum, 39 (1964), S. 240-269.

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der Philosophie Cassirers steht, von einem der häufigsten Gesprächspartner Kantorowicz' in diesen Jahren, nämlich von Erwin Panofsky, sofort erkannt. Er übernahm sie bereits für seine berühmte Abhandlung Die Perspektive als "symbolische

Form"11. Nach Cassirer besteht, wie man weiß, der

Wesens-kern der Karrtischen Philosophie im Übergang der tradi-tionell verstandenen Erkenntnis zur "transzendentalen Er-kenntnis". Diese befaßt sich nicht mehr mit den Gegen-ständen der Erkenntnis, sondern mit der Art und Weise ihrer Erkenntnis und mit den apriorischen Möglichkeits-bedingungen von Erfahrung, die die "funktionale

Bezie-Dagegen wurde das Buch mit großem Interesse aufgenommen von R. M. Kloos in Historische Zeitschrift, 188 (1959), S. 358-364; von W. Ullmann in

Mitteilungen des Institutsfür Österreichische Geschichtsforschung, 66 (1958), S.

364-369; von Fr. Kempf S.J. in "Untersuchungen über das Einwirken der Theologie auf die Staatslehre des Mittelalters", Rö"mische Quarta/schrift, 54 (1959), S. 203-233. In den sechziger Jahren hat der psychoanalytische Eifer nicht einmal vor diesem Werk haltgemacht; in einer Passage in Die zwei

Körper des Kö"nigs (S. 491), die sich auf die Inthronisation Philipps li. von

Makedonien bezieht, wollte ein solchermaßen motivierter Kritiker die treibenden "Phantasien" erkennen, welche Kantorowicz unbewußt be-herrscht haben sollen. Ohne diesen Komplex habe dieser seine wissen-schaftlichen Arbeiten nicht zu ihrem Ziel führen können. Wie man bereits ahnt, handelt es sich dabei um den Ödipuskomplex, folglich: um den Identifikationswunsch mit der Vaterfigur und um die Kastrationsangst. Vgl.

A. Besanr;:on, }/ers une histoire psychoanalytique (li)", Annales E. S. C.,

:X:X:IV/4 (Juli/August 1969), S. 1015 f.

11 Jetzt wiederabgedruckt in E. Panofsky, Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwis-senschaft, hrsg. von H. Oberer undE. Verheyen, Berlin 1985, S. 99-167. Auch

bei anderen Autoren, die mit Aby Warburg verbunden sind, wie Edgar Wind (vgl. Warburgs Begriff der Kulturwissenschaft und seine Bedeutung für die

Ästhetik, 1931), ist der Bezug auf Cassirer deutlich erkennbar. Cassirer

wiederum hatte sich, wie Fritz Saxl berichtet ("Ernst Cassirer", The

Philoso-phy ofErnst Cassirer, hrsg. von P. A. Schilpp, NewYork 1958, S. 47-51), an die

Abfassung seiner Philosophie der symbolischen Formen begeben, auch weil er von dem Material angeregt worden war, das Aby Warburg gesammelt und gesichtet hatte. Häufigkeit und Intensität des Austauschs zwischen Kanto-rowicz und Panofsky bezeugt Gerhart B. Ladner in seinem Manuskript (ms.) In memoriam Ernst Kantorowicz, aufbewahrt im Stefan George-Archiv der Stuttgarter Landesbibliothek, wo ich es dank der Hilfsbereitschaft und Kompetenz von Frau Dr. Ute Oelmann und Frau Annelore Frank einsehen konnte.

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hung" zwischen den Gegenständen herstellen. Mit dem Vor-rang, der dem Begriff Funktion zugeschrieben wird, wird bei Cassirer eine universale Wirkung, die vom Zeichen ausgeht, begründet. Auf diese Weise erscheint die konstitutive Funktion der Sprache als entscheidende Instanz im Hinblick auf die Objekte, mit denen die Wissenschaft sich beschäftigt. In der

Philosophie der symbolischen Formen (1923-29) beschränkt

Cassi-rer sich nicht mehr darauf, die Erkenntnis zu untersuchen, sondern er schließt alle grundlegenden Formen (Sphären) der Erkenntnis überhaupt in allen Bereichen der Kultur (Sprache, Mythos, Religion, Kunst usw.) ein, die er, bei Würdigung der je eigenen Unterschiede, dem allumfassenden Begriff der symbolischen Form subsumiert sah. Während Paul Natorp annahm, die Erscheinungen in jedem dieser Bereiche seien auf Gesetze zurückzuführen, sah Cassirer seinerseits in ihnen heterogene Formen, eigenständige Manifestationen der Tätig-keit des Geistes, gegenständliche Welten, je andersartig auf-grund der Besonderheit des in jedem wirkenden Prinzips. Die symbolischen Formen repräsentieren also für ihn verschie-dene Arten der Perzeption und Interpretation der Wirklich-keit, und sie offenbaren sich in sprachlichen Zeichen, in mythischen und religiösen Darstellungen der Welt und der Gesellschaft. Sie sind die unabdingbaren Voraussetzungen des Sprechens, Erkennensund Handelns12• Während Cassirer auf der Grundlage seiner Theorie der symbolischen Formen im

Mythus des Staates darüber hinaus die Pathologie des modernen

Staates lieferte, in einem historischen Nachvollzug, der klar und stringent von Plato bis Carlyle und Gobineau reicht, so erhellt Kantorowicz die Physiologie des Staates. Er gibt Einblick in die Genese, in die Entwicklung, in die Übertragung von Funktionen. Er untersucht, wie der Staat in Beziehung zu den großen Veränderungen und zu den Krisen steht, die zu den

12 E. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 3, Phänomenologie der Erkenntnis, Darmstadt, 8. Auflage 1982, S. 125 ff.

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modernen Formen der Organisation des Sozialen geführt haben.

Anders als Mare Bloch, der in Les Rois thaumaturges mit der Sensibilität des Anthropologen für die "kollektiven Repräsen-tationen" den sakralen Charakter der alten europäischen Monarchien beschreibt, sichtet Kantorowicz in chronologi-scher Folge die Materialien aus den kulturgeschichtlichen Dokumenten, die deren symbolische Fundamente darstellen. In der Anlage der Forschung verrät sein Werk die Gründe für eine weit über das fachwissenschaftlich übliche Maß hinaus-gehende Vitalität: Zugriff auf ganz verstreute Dokumente verschiedenster Herkunft, von theologischen und ekklesiolo-gischen bis zu juristischen und politischen Abhandlungen, von Verwaltungsurkunden bis zur nオュゥウュセエゥォL@ von literari-schen Zeugnissen und Chroniken bis zu bildliehen Darstel-lungen. Kantorowicz geht von der juristischen Fiktion der zwei Körper des Königs aus, die im 16. Jahrhundert in England mit der Absicht propagiert wurde, die Rechte der Krone und des Staates gegen die Ansprüche von Partikular-mächten und -institutionen zu wahren. Der Leser wird durch die verschiedenen ideologischen Schichten, die sich in dieser Theorie vermischten, geführt. Mit Hilfe der Archäologie des Begriffs von der Inkarnation des Monarchen setzt sich Kanto-rowicz über einen Zeitraum, der vom Frühmittelalter bis hin zur Renaissance reicht, mit der Art und Weise auseinander, wie es dem politischen und juristischen Denken des Spätmit-telalters gelang, die Unsterblichkeit der Monarchie jenseits der sterblichen Person zu denken, in der sie sich verkörperte. Damit liefert er die Genealogie der Unterscheidung zwischen der öffentlichen Funktion und der konkreten Person, die sie ausfüllt. Das aber ist der Dreh- und Angelpunkt für den Übergang von einer Konzeption der Herrschaft, die sich in dem verkörpert, der sie ausübt, zu einer unpersönlichen Macht, zu der ihr Inhaber aufgrund eines zeitlich begrenzten kollektiven Mandats gelangt. Kantorowicz' analytische

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Schär-fe und Methodenvielfalt, seine ungewöhnliche Fähigkeit, durch Rückgriff auf völlig disparate Quellen die begriffliche Vielschichtigkeit des historischen Ablaufs wiederzugeben, die der Übergang von einer Herrschaftsidee, nach der ein Individuum ein kollektives Wesen repräsentiert, zu einer Herrschaftsidee, nach der ein kollektives Wesen einzelne Individuen darstellt, scheinen der Grund für seinen jüngsten Erfolg bei einem Publikum zu sein, das nicht mehr nur aus Mediävisten besteht. Aus diesem Werk kann man nicht nur die Ursprünge der modernen westlichen Demokratie able-sen, sondern im Ansatz auch die jeweils verschiedenen Arten der Entwicklung, die sie in den einzelnen Ländern Europas durchmachte.

3. Der fruchtbare Kern und Entstehungsgrund dieses Werkes sollte dennoch nicht im Interesse am Staat, sondern in den "hinfälligen Menschen, die ihn hervorbrachten", gesucht wer-den13. Kantorowicz' tiefschürfende Untersuchung der unver-gänglichen dignitas - die "niemals stirbt" - in allen ihren Manifestationen im geistigen Universum des Mittelalters gründet auf einem humanistischen Ideal als Ausgangspunkt: Der mystische Körper des Königs, welcher die Souveränität des Staats symbolisiert, wird zum Ideal des optimus homo in Verbindung gesetzt, das seinerseits die Souveränität des Indi-viduums symbolisiert, die humanitas - die eigentliche Würde des menschlichen Wesens, die wie ein unsterblicher mysti-scher Körper jeden einzelnen Menschen begleitet und die aus dem Herrscher, gerade weil er zur humana universitas gehört, einen homo instrumenturn humanitatis macht. Diese Konzeption der Politik und der Verantwortung, von der ein staatliches Amt abhängt, findet Kantorowicz in einem besonders

anre-13 G. Seiht, "Die Unsterblichkeit ist eine Erfindung der Menschen", Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 71 (25. März 1991), S. L 15.

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genden Kapitel seines Buches als grundlegende Kategorie des mittelalterlichen Humanismus' Dantes wieder. Als Gegenpol jener "furchtbaren Erlebnisse unserer Zeit, in der ganze

Völ-ker, die größten wie die kleinsten, den unsinnigen Dogmen zum Opfer fielen und politische Theologismen zu regelrech-ten Besessenheiregelrech-ten jenseits der elementarsregelrech-ten menschlichen und politischen Vernunft wurden" 14, kann ein Echo dieser Konzeption auch heute noch vernommen werden. "Das letzte große Werk von Kantorowicz", schrieb kürzlich Marina Va-lensise, Autorirr von Untersuchungen zur Machtdarstellung und Herrschaftsideologie im modernen französischen Staat, "kommt heute einem sehnlichen Wunsch entgegen: die Poli-tik, das Recht und deren mysteriöse Autonomie wiederzufin-den, welche die Gesellschaft gestalten und nicht nur

widerspie-geln. Die Krise des Marxismus und des kommunistischen Gesellschaftsmodells haben dieses Verlangen in den letzten Jahren nur noch dringender und nicht minder dramatisch

werden lassen."15

4. Schon seit einigen Jahrzehnten haben die Historiker ihre Aufmerksamkeit vorwiegend der Erforschung und Analyse der langen Dauer, den in sich fast unbewegten Zeiträumen zugewandt. Sie befördern ans Licht, was sich unterhalb von politischen Umstürzen, von dem Wirrwarr der Einzelereig-nisse und von deren direkten Folgen abspielt: die stabilen und nicht leicht zu verändernden Gleichgewichte, die langfristigen Regelungen, die allgemeinen Tendenzen ganzer Jahrhun-derte, die irreversiblen Entwicklungen. Die Historiker haben ihren Blick dafür geschärft, jenseits der widerstreitenden

14 E. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, mit einem Geleitwort von J. Fleckenstein, München 1990,

s.

22.

15 M. Valensise, "Ernst Kantorowicz", Rivista Storica Italiana, 101 (1989), S.

195-221, das Zitat auf S. 212 f.: Diese scharfsinnige Untersuchung stellt eine Erweiterung dessen dar, was in Prifaces, 10, erschien.

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Ereignisse von Regierungen, Kriegen und Hungersnöten die Rhythmen und Arten des Wirtschaftswachstums, der Men-genunterschiede im Handelsaustausch, von Bevölkerungs-wachstum und -rückgang, von klimatischen Verhältnissen und von deren Schwankungen, von Konstanten in der gesell-schaftlichen Ordnung, von der Verteilung und Fortdauer technischer Angleichung zu erforschen. Auch wenn die Ab-lehnung der gebildeten Chronik der heroischen Taten von Königen und Feldherren sich vor allem in der historiegraphi-schen Tradition Frankreichs in ein Scherbengericht über die Geschichte der Politik überhaupt verwandelte, die schlicht als

ein veränderliches Oberflächenphänomen betrachtet wurde, so erlebt man heute, in einer Zeit, da scheinbar das Interesse an der Sozialgeschichte und der strukturalistischen Anthro-pologie abnimmt, ihre Rückkehr. Und zwar in Form einer "strikten Begriffsgeschichte der politischen Formen und Pro-zesse"16, in Form einer "historischen politischen Anthropolo-gie, die vor allem die Untersuchung der politischen Symbolik einschließt: die Insignien der Macht, die heiligen Liturgien und die Imaginationen der königlichen Würde"17. Sie ist ihrerseits darauf gerichtet, den Einbruch der Ereignisse zu-gunsten einer Analyse der nicht-labilen Strukturen zurückzu-drängen, die sich überlagern, einander ablösen und sich überkreuzen.

Bisher hatte die Geschichte des politischen Denkens die Erforschung der Kontinuität von Ideen und Vorstellungen, angefangen bei den kaum merklichen Ansätzen der frühesten Vorläufer über die allmähliche Verfeinerung bis hin zur schließliehen Entfaltung ihrer inneren Rationalität, vorausge-setzt. Jetzt dagegen untersucht man die verschiedenen Felder, in denen sie sich herausbildeten, die Regeln ihrer

Anwen-16 So im Leitartikel von Le debat, Nr. 15 (Sept.-Okt. 1981).

17 J. Le Goff, "Comment ecrire une biographie aujourd'hui?", Le debat, Nr. 54

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dung sowie die unterschiedlichen theoretischen Milieus, in denen ihre Ausarbeitung betrieben und zum Abschluß ge-bracht wurde. Die politische Historiographie hat in den Zwei

Körpern des Königs ein Modell gefunden, wie kulturelle

Para-digmen zu erforschen, besser zu belegen und zu beschreiben sind. Mit diesem Vorbild setzt sie sich auseinander. Und in Ernst Kantorowicz sieht sie eines ihrer Vorbilder.

Im Jahr 1981 erschienen in Frankreich einige Arbeiten, die aus der direkten Auseinandersetzung mit dem Werk von Kantorowicz Impulse für neue Interpretationen bezogen: eine umfangreiche Untersuchung von Marcel Gauchet mit dem beziehungsreichen Titel Des deux corps du roi au pouvoir

sans corps. Christianisme et politique. Sie befaßt sich mit dem

Problem der Entstehung von Staat und Nation, deren Wur-zeln der Autor durch die Untersuchung mittelalterlicher Darstellungen des Verhältnisses von Macht und Gesellschaft zu fassen suchte18. Fast gleichzeitig wurde eine

Aufsatzsamm-lung von Louis Marin veröffentlicht: Le portrait du roi. Sie bedient sich einer komplexen, strukturalistischen Interpreta-tion und offeriert eine Hypothese, nach welcher der König im "klassischen" absolutistischen Staat "nicht mehr nur einen Körper hat, sondern sogar drei: einen historisch-physischen Körper, einen juristisch-politischen und einen sakral-symbo-lischen. Der sakrale Körper, das ,Porträt', bewirkt den voll-ständigen Austausch zwischen dem historischen und dem politischen Körper (oder versucht, sie vollständig zu eliminie-ren)"19. Des weiteren wurde ein Band von Jean-Marie Apo-stolides publiziert: Le roi-machine. Spectacle et politique au temps 1s Le debat, Nr. 14 (Juli-August 1981), S. 133-157, und Nr. 15 (Sept.-Okt. 1981), S. 147-168. Die offenkundigen Interpretationsfehler dieser Untersu-chung bemängelt R. E. Giesey in "Ceremonial" (s. u. Anm. 20), S. 83 f. Verwiesen sei auch auf den Aufsatz von C. Lefort, "Permanence du theologico-politique?", in Les temps de Ia rejlexion, II (1981), S. 13-60. 19 Paris 1981, S. 20 f.

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de Louis XIV Im Mittelpunkt dieser Untersuchung steht der

symbolische Körper des Königs, wie er bei Festen und Feierlich-keiten inszeniert wurde, und der Verfasser zeigt, wie sich mit der fortschreitenden Entwicklung des Kults um Ludwig XIV. der "politische Körper" und der "natürliche Körper" in der "Person des Königs" vereinigten. Danach folgten in kurzen Zeitabständen nicht nur zum erstenmal die französische Übersetzung einer Aufsatzsammlung und der beiden Haupt-werke von Kantorowicz; es wurden Kolloquien und Semi-nare zum Thema der beiden Körper des Königs abgehalten, worauf zahlreiche weitere Aufsätze und Bücher erschienen20.

Im Jahr 1988, kurz bevor die französische Übersetzung der

Zwei Körper des Königs erschien, veröffentlichte Alain Boureau Le simple corps du roi. L'impossible sacralite des souverains franfais XVe-XVIIIe siede. Doch man darf sich von dem scheinbar

zo Die französische Übersetzun11; der Zwei Körper des Königs wurde bereits

erwähnt: L'empereur Frederic II (Paris, Gallimard) erschien 1987, dem voraus,

im Jahr 1984, eine kleine Sammlung von vier Aufsätzen Mourir pour Ia patrie et autres textes (Paris, P. U. F.). Im November und Dezember 1985 hielt

Ralph E. Giesey auf Einladung von fイ。ョセッゥウ@ Furet am Institut Raymond Aron

der Ecole des Haufes Etudes en Seiences Sociales eine Reihe von sieben

Vorlesun-gen über Kantorowicz und über die sich verändernden Erscheinungsfor-men der Zwei-Körper-Vorstellung zur Zeit Ludwigs XIV. Sie wurden in

Ceremonial et puissance souveraine. France, XVe-XVIIe siedes (Cahier des Annales,

41), Paris: Collin 1987, veröffentlicht. Im Jahr 1987 erschien, mit einem Vorwort von Furet, auch das Hauptwerk Gieseys, The Royal Funeral Cere-mony in Renaissance France,in französischer Übersetzung unter dem Titel: Le roi ne meurt jamais. Les obseques royales dans Ia France de Ia Renaissance. Kurze

Zeit vorher wurde in Les annales, 4113 (1986), ein Aufsatz von Giesey über

"Modeles de pouvoir dans les rites royaux en France" (S. 579-599) veröffentlicht, zusammen mit einem Artikel von Lawrence M. Bryant ("La ceremonie de l'entree a Paris au Moyen Age", S. 513-542) und einem weiteren von Marina Valensise ("Le sacre du roi: strategie symbolique et doctrine politique de la monarchie ヲイ。ョセ。ゥウ・BL@ S. 543-577), welche eine Untersuchung wieder aufnimmt, die schon 1982 in den Annali della Fonda-zione Luigi Enaudi erschienen war. Von Marina Valensise, Historikerirr am Institut Raymond Aron, veröffentlichte in Prifaces, 10 (Nov.-Dez. 1988), S.

106-112, den Artikel "Ernst Kantorowicz, historien du XXe siede. Essai de biographie intellectuelle", zusammen mit einem Interview mit Giesey über Kantorowicz. Auch die Tagespresse nahm lebhaften Anteil an diesen Initiativen.

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provokanten Titel nicht täuschen lassen, denn es handelt sich für Boureau nicht darum, "das große Denkmal Kantorowicz zu beschädigen, sondern vielmehr den Geltungsbereich der Theorie abzugrenzen durch rücksichtslose Konfrontation mit anderen Gebieten, auf denen sie nicht zu greifen scheint"21•

Bis zum Jahr 1793 kann er tatsächlich einen gewissen Zusam-menhang zwischen der Theorie der zwei Körper und den institutionellen Auffassungen in den verschiedenen Monar-chien und Republiken nachweisen; andererseits findet er im Erlaß zur Beisetzung Karls VIII., in den Erzählungen über das Sterben verschiedener Herrscher und im Bericht über die Exhumierung der französischen Könige in Saint-Denis im Jahr 1793 den Beweis, daß "die Illusion von der Heiligkeit der Könige" nicht mehr bestand- denn sie kam über die Vorzim-mer des Königs nicht mehr hinaus - und daß sich die Theorie vom zweifachen Körper nicht aus ihrem Status einer juristi-schen Fiktion befreien konnte. Sie existierte nur noch in sprachlichen Automatismen, wie man sie im engen Kreis unter Höflingen verwendete22 • "Unaufhörlich versuchte das Volk, den König auf seine vergängliche Existenz zu reduzie-ren." Auch die politische Geschichte könnte damit also am Ende in eine "Mentalitätengeschichte" münden, die in Frank-reich sehr renommierte Vertreter aufzuweisen hat und die Le Goff mit seiner Geschichte des Imaginären, welche in ihren Gegenständen und ihren methodelogischen Voraussetzungen besser zu beschreiben sei23, seit einigen Jahren für überwun-den hält.

21 Das Zitat aufS. 22 f. 22 Ebd., S. 62 f.

23 Vgl. J. Le Goff, L'imaginaire medieval. Essay, Paris: Gallimard 1985, S. I-XXI

(dt. als Phantasie und Realität des Mittelalters, Stuttgart: Klett-Cotta 1990, S. 7-28). Auf eine mögliche, allerdings noch weiterer Überprüfung bedürfender Übereinstimmung zwischen einigen Definitionen, die Le Goff in diesem Werk zum Imaginären gibt, und der Philosphie der symbolischen Formen bei Cassirer hat 0. G. Oexle hingewiesen: "Das Andere, die Unterschiede,

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In Italien hatte der Themenbereich um Kaiser Friedrich II. Kantorowicz schon früher als in Frankreich großes Interesse gesichert. Das wissenschaftliche Echo auf seine späteren Werke war ebenfalls beträchtlich2 4. Die italienische Überset-zung I due corpi del re stieß auf größte Resonanz. Das Werk

wurde allseits als Klassiker der politischen Geschichte in unseren Tagen begrüßt25• Und gerade in Italien fand der Historiker aus Posen seinen eifrigsten Jünger: Sergio Bertelli

das Ganze. Jacques Le Goffs Bild des europäischen Mittelalters", in Francia 17/1 (1990), S. 149 f. Nicht überzeugend ist die Annäherung an Foucaults Genealogie der Wissenschaften, die Boureau in Le simple corps (S. 18) vorschlägt und in der Einleitung zur italienischen Ausgabe I due corpi del re

(Torino: Einaudi 1989, S. XXII) sowie in Histoires d'un historien (S. 152, dt. siehe vorliegenden Band, S. 129) wiederholt.

Foucault zielt hingegen nicht auf die Anerkennung einer autonomen "eigenen Kausalität der Sprache", die zu begreifen sei "zwischen Tat und Gedanke, zwischen Handeln und Glauben"; die Sprache lasse "ihre eigene Wirkung unter dem verwirrenden Glanz der Oberfläche durchscheinen" (so Boureau im Zusammenhang mit Kantorowicz in der Einleitung zur italienischen Ausgabe, S. XX). Im Gegenteil: Seine Genealogie distanziert sich von jeglicher Forschung, die auf einer Autonomie des sprachlichen Bereichs beruht ( vgl. die

Conclusion in M. Foucault, I:archeologie du savoir, Paris 1969, S. 259-275; dt. als Archäologie des Wissens, Frankfurt 1973, S. 281-301), und er wendet sich der

Bestimmung der episteme zu, dem epistemologischen Bereich: "in der die Erkenntnisse, außerhalb jedes auf ihren rationalen Wert oder ihre objektiven Formen betrachtet, ihre Positivität eingraben und so eine Geschichte manife-stieren, die nicht die ihrer wachsenden Perfektion, sondern eher die ihrer Bedingungen ist, durch die sie möglich werden." (M. Foucault, Les mots et /es

choses. Une archeologie des sciences humaines, Paris 1966, S.13; dt. als Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt 1974, S. 24 f.). Das

bedeutet außerdem den Ausschluß jeglicher transzendentaler Auffassung von Sprache und jeder humanistischen Ideologie, wie sie gerade im Gegensatz dazu die Zwei Körper des Königs durchziehen. Die Hommage Foucaults an

Kantoro-wicz in Surveiller et punir. Naissance de Ia prison (Paris 1975, S. 33 f.; dt. als Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt 1976, S. 40 f.)

erlaubt gerade nicht den Schluß auf eine analoge Auffassung von der Geschichte und von der Aufgabe des Historikers.

24 Vgl. z. B. den Band von M. C. De Matteis, La "teologia politica comunale" di

Remigio de Giro/ami, Bologna 1977.

25 So z. B. Mario Trouti, "Voglia di grandi testi", in Rinascita, Nr. 4 (4. März

1990), S. 76. Rezensionen erschienen unmittelbar in allen größeren Tages-zeitungen und Zeitschriften.

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feierte die Renaissance von Kantorowicz in seinen eigenen neueren Arbeiten über die Heiligkeit der Macht im mittelal-terlichen und modernen Europa26• In diesen Arbeiten aller-dings verschmelzen in eigenartigem Synkretismus die Lehren Kantorowicz' und Mare Blochs (Les rois thaumaturges) mit der Kulturanthropologie von Mary Douglas, Clifford Geertz und Victor Turner. Mit nicht unerheblichen Folgen: Bertelli stellt sich die gesamte europäische Geschichte vom Untergang des Römischen Reiches bis zum 17. Jahrhundert als einen ein-zigen historischen Block vor, "eine Welt, die absolut verschie-den von der unsrigen war". Und dieser Block zeigt sich dem Leser gleichsam in eine mythische Zeit entrückt, in der Entwicklung stillzustehen scheint. Auf der einen Seite erlaubt ihm das, die komplexen Rituale zu beschreiben, von denen die Person des Monarchen in allen Abschnitten seines Le-bens, von der Geburt bis zum Tode und zur Beisetzung, umgeben ist; wobei es ihm gelingt, die außergewöhnlichen Analogien in allen europäischen Ländern herauszuarbeiten. Andererseits bewirkt das Fehlen jedweder Einbettung in einen spezifischen historischen Kontext, daß - auf derselben Seite oder doch nur wenig weiter voneinander entfernt -Vitricius von Rouen und Papst Alexander III., Karl der Große und Karl II. von England, der Staufer Friedrich II. und Ludwig XII. von Frankreich nebeneinander stehen, vereint in einem metahistorischen Begriff von Sakralität.

In Frankreich und Italien war die Begeisterung für das Werk von Kantorowicz so groß, daß man dazu überging, dessen Motive für verschiedene andere Themenbereiche und für andere kulturelle Situationen fortzuschreiben, anstatt sich ein abschließendes Urteil über das mittlerweile selbst histori-26 Il corpo del re. Sacralita del potere nell'Europa medievale e moderna, Florenz, Ponte

alle Grazie: 1990. Siehe auch den von Bettelli zusammen mit Cristiano Grotanelli herausgegebenen Band mit dem einschlägigen Titel Gli occhi di

Allessandro. Potere sovrana e sacralita del corpo da Allessandro Magno a Ceausescu

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sehe Werk zu bilden und Kriterien für eine geschichtswissen-schaftlieh-exakte Lektüre aller Schriften zu formulieren. In Deutschland dagegen scheint dem eine weniger auffällige und vielleicht eher sporadische Aufmerksamkeit zu entspre-chen, die jedoch älteren Datums ist. Im Jahr 1964, knapp ein Jahr nach Kantorowicz' Tod, gedachte die Frankfurter

Uni-versität des Gelehrten in Form einer UniUni-versitätsrede von JosefFleckenstein. Zu gleicher Zeit erschienen in den

wichti-gen historischen Zeitschriften27 zahlreiche Nachrufe von Freunden und Kollegen. Im Jahr 1982 veröffentlichte Eckhart Grünewald eine akribisch gearbeitete biographische Rekon-struktion der Jahre des Historikers in Deutschland. Bis zum heutigen Tag ist sie, dank einer Fülle von Fakten, die unent-behrliche Grundlage für das Studium dieses Lebens-abschnitts28. Dieses Interesse wuchs in aller Stille - und aus dem gleichen Bewußtsein heraus, das Klaus Mann veranlaßte zu meinen, in jedem Einzelschicksal spiegele sich die gesamte Geschichte einer Generation, eines Volkes und eines Zeit-alters. Es scheint von dem Wunsch geleitet zu sein, sich die kulturelle und persönliche Hinterlassenschaft eines Deut-schen wieder anzueignen, der es verstand, ein Europäer und später ein Weltbürger zu werden.

2 7 ]. Fleckenstein, Ernst Kantorowicz zum Gedächtnis, Frankfurter

Universitäts-reden, Frankfurt a. M. 1964; E. Salin, "Ernst H. Kantorowicz", Historische Zeitschrift, 199 (1964), S. 551-557; Fr. Baethgen, "Ernst Kantorowicz", Deutsches Archiv für die Erforschung des Mittelalters, 21 (1965), S. 1-17 (mit

einem Verzeichnis der Schriften von E. K., bearbeitet von H. M. SchaUer). Auch die oben (Anm. 8) zitierte Rezension von P. E. Schramm zu den

Selected Studies schließt mit einem Nachruf.

28 Ernst Kantorowicz und Stifan George. Beiträge zur Biographie des Historikers bis zum Jahr 1938 und zu seinem Jugendwerk "Kaiser Friedrich der zキ・ゥエ・Gセ@ Wiesba-den 1982. Wenige Jahre zuvor hatte Walther Lammers, dessen Schüler Eckhart Grünewald war, in seinem Sammelband Vestigia Mediaevalia. Ausge-wählte Auflätze zur mittelalterlichen Historiographie, Landes- und Kirchengeschichte,

Wiesbaden 1979, seine Antrittsvorlesung an der Universität Frankfurt veröffentlicht. Sie trägt den Titel "Bild und Urteil in der Geschichtsschrei-bung. Beobachtungen an Darstellungen Friedrichs II. von Hohenstaufen"; ein großer Teil dieses Textes ist dem Werk von Kantorowicz gewidmet.

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5. Jahrzehntelang war in der italienischen und deutschen Historiographie der Name Ernst Kantorowicz mit dem des Dichters Stefan George untrennbar verbunden. Mit diesem teilte er die Erfolge, und wie dieser wurde er verkannt. Das Buch Kaiser Friedrich der Zweite ist, wie immer wieder betont

wird, geprägt durch die Auffassungen des Dichters von Ge-schichte und Individualität. Und noch heute erscheint die Arbeit vielen unwiderruflich belastet durch leidenschaftli-chen Nationalismus und selbstgefälligen Ästhetizismus. An Stefan George geißelte man je nachdem den Ästheten, den gestrengen Erzieher oder den Vorläufer des Nazismus, wobei man auf Klischees und Verallgemeinerungen zurückgriff, die dem Verständnis seines Werkes, den inneren Spannungen, die es tragen und vorwärts treiben, sowie seinen komplexen Beziehungen zu den Großen der Kultur seiner Zeit wenig angemessen scheinen. Inzwischen wird auch das Buch von Kantorowicz nicht mehr pauschal abqualifiziert wie von seinen früheren Kritikern. Diese spürten in dem Buch eine Bedrohung des akademischen Wissenschaftsideals und war-fen dem Autor vor, er habe, um beim Leser die Apotheose des Kaisers plausibel zu machen, mit voller Absicht Elemente aus der Legende in den historischen Abriß eingebaut, ohne darauf hinzuweisen, daß diese Mythen im Gegensatz zur Wirklichkeit der Fakten stünden29 • So wurde die Analyse jenes ganz besonderen historischen Problems vernachlässigt, dem Max Webers wachsendes Interesse während seiner letzten Lebensjahre galt und das den beherrschenden Zug im großen Fresko von Kantorowicz ausmacht: die Manifestation

29 Vgl. den Aufsatz von A. Brackmann, "Kaiser Friedrich II. in mythischer

Schau" (1929), jetzt in Stupor Mundi. Zur Geschichte Friedrichs II. von Hohen-staufen, hrsg. von G. Wolf, Darmstadt 1966, S. 5-22. Brackmanns Einwände

wurden kürzlich in recht oberflächlicher Manier auch in England wieder-holt von David Abulafi.a, "Kantorowicz and Frederick II" (1977), jetzt in ders., Italy, Sicily and the Mediterranean, 1100-1400, London 1987. Sehr

anfechtbar ist auch seine jüngste Biographie Frederick II. A Medieval Emperor,

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der charismatischen Herrschaft in der geschichtlichen Welt. Die Vorstellung der kaiserlichen auctoritas, wie sie auch in den

Arbeiten von Theodor Mayer über Papsttum und Kaisertum im Frühen Mittelalter und bei Hans Martin Schaller zur Kaiseridee Friedrichs II. auftaucht, läßt sich mit verfassungs-und kirchenrechtlichen Definitionen tatsächlich nicht voll-ständig erklären. Für die historische Interpretation bleibt ein Rest von Irrationalität, der nur durch eine Interpretation erschließbar ist, die eben diesem charismatischen, unbe-gründbar persönlichen Anteil Rechnung trägt, dessen histori-sche Analyse Kantorowicz von Weber lernte30• In solcher Perspektive erweist sich das Buch Kaiser Friedrich der Zweite als

eine Untersuchung zur charismatischen Herrschaft und zu ihrer Auswirkung auf die auetorilas des Kaisers. Kantorowicz

war bewußt, daß sich nur im Innern eines gemeinsamen kulturellen und symbolischen Universums und nur als Ant-wort auf verschiedene Bedürfnisse autoritative Beziehungen herstellen können. Er führt den Leser von der ersten Seite an in die Vorstellungswelt der Menschen des 12. und 13. Jahr-hunderts, in dieses komplizierte, reiche Gewebe von Tradi-tion und ImaginaTradi-tion- das bereits von Ma:x Weber, aber auch noch heute von Soziologen der Macht wie Heinrich Popitz als unabdingbar für die Entstehung jedweder Form einer Einbindung in Autorität erachtet wird. Kantorowicz umreißt auf der ersten Seite des Buches den Erwartungshorizont der Zeitgenossen und beginnt sein Werk tatsächlich mit der Erwähnung des Dichters Petrus von Eboli, der im Anklang

30 Als eingehende Analyse hierzu und zum folgenden - Weber, Dilthey und Burckhardt- sei auf meine Untersuchung ,,Ernst Kantorowicz und Friedrich II.: ,Mythische Schau' oder ,Mythenschau'? verwiesen, die demnächst in Bd. 72 der Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken

erscheinen wird. Zu den anderen hier erwähnten Autoren: Th. Mayer, "Papsttum und Kaisertum im Hohen Mittelalter", Historische Zeitschrift, 187

{1959), S. 38; H. M. SchaUer, "Die Kaiseridee Friedrichs II.", Probleme um Friedrich Il., hrsg. von]. Fleckenstein, Sigmaringen 1974, S. 132 f.; H. Popitz,

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an die 4. Ekloge von Vergil die Geburt des Kaisers besang. Gleichzeitig findet man das Außergewöhnliche des Ereig-nisses auch in den Weissagungen des Zisterzienserabts Joa-chim von Fiore, und dazu pries GotEried von Viterbo das neugeborene Kind, den Sohn Heinrichs IV., als künftigen Retter.

Im Unterschied zu den meisten Mediävisten dieser Zeit, die diplomatische Quellen auf Kosten von Chroniken bevor-zugten - letztere hielt man für irreführend, weil subjektiv -, hatte Kantorowicz seine Gabe zur sensiblen Interpretation der unterschiedlichsten Quellen - seien es diplomatische oder juristische Akten, Chroniken, Literatur, Ikonographie oder Architektur - dank seiner Vertrautheit mit den Alter-tumshistorikern geschult. Diese waren schon weit vor den

Annales damit vertraut, sich jeder Art von Beleg zu bedienen,

um das Leben einer Epoche und einer Persönlichkeit sowie deren innere Bezüge zu rekonstruieren31. Darüber hinaus hatte Kantorowicz von Eberhard Gothein die Lehre Diltheys übernommen, nach welcher das ,,Verstehen" einer Epoche notwendig eine strukturelle Analyse der ,;weltanschauun-gen" erfordere, die als semantische Komplexe verstanden 3l " . . . gerade die Spiegelungen des kaiserlichen Bildes im Verlaufe des

kaiserli-chen Lebens bewertet Brackmann außerordentlich gering, ja mein betontes Heranziehen auch dieser mehr subjektiven, dafür aber farbengebenden Zeitquellen erscheint sogar als ein wesentlicher Einwand gegen meine Arbeit, weil dadurch Geschichte und Mythos eng aneinanderrücken, worin die große Gefahr für die Erkenntnis der Wahrheit liege. Das bedeutet eine heute leider gar seltene Unterschätzung des chronistischen (subjektiven) Quellenstoffes gegenüber dem diplomatischen (objektiven) Quellenstoff", vgl. Ernst Kantorowicz, "Mythenschau. Eine Erwiderung" (1930), jetzt in

Stupor Mundi (s.o., Anm. 29), S. 39. Kantorowicz war Schüler von Alfred von

Domaszewski, dieser wiederum Schüler von Theodor Mommsen, vgl. W. Kubischek, "Alfred von Domaszewski", in Almanach für das Jahr 1927 der Akademie der Wissenschaften in Wien, 77, (1927), S. 279-308. Das Buch verrät

darüber hinaus in einigen Passagen die Kenntnis des Werks von Droysen über Alexander den Großen. Um einen Eindruck vom heuristischen und hermeneutischen Spektrum zu erhalten, über das die Althistoriker verfügten, befrage man den Grundriss der Historik von Droysen (1858).

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werden, in denen die Antithese vom Subjektiven und Objekti-ven in der kulturellen und motivationalen Dynamik überwun-den wird, welche einer Vielzahl von aufeinander bezogenen Individuen gemeinsam ist. In dem Buch Kaiser Friedrich der

Zweite wird das Leben einer Epoche ganz im Sinne Diltheys

konzentriert im Brennpunkt des Lebens eines einzelnen Men-schen gesehen. Der Staatsmann erscheint eingebunden in das historisch-anthropologisch-kulturelle Klima seiner Zeit, in die eschatologischen Erwartungen und in den messianischen Glauben, in die symbolische Welt und in die politischen Vorstellungen der Zeit: Dies durchzieht als Konstante das ganze Werk und bewahrt es vor der Einseitigkeit einer aus-schließlich politischen Beurteilung, die stets dazu neigt, die äußeren Verhältnisse zum alleinigen Erklärungsprinzip zu erheben. Diese Gesamtheit der verschiedenen Aspekte des kulturellen Lebens, die von Dilthey so oft in seinen theoreti-schen Abhandlungen wie in historitheoreti-schen Untersuchungen hervorgehoben wird, hatte auch bei einem anderen großen Historiker, nämlich bei Jakob Burckhardt, Ausdruck gefunden. Als dessen Schüler bezeichnete sich Gothein. Beide ver-standen den Begriff "Kultur" in quasi anthropologischem Sinn; außer der Kunst, der Literatur, der Philosophie räumten sie dem Aberglauben wie den lebenspraktischen Tätigkeiten einen Platz in der Geschichtsschreibung ein32.

Kantorowicz war Erbe einer komplexen geistigen Tradi-tion, die in Deutschland auf unselige Weise durch den Natio-nalsozialismus, durch den Zweiten Weltkrieg, den Holocaust und das rasche Vergessen geschwächt und zum Teil zerstört

3 2 Im wesentlichen von Burckhardt übernommen ist auch der Kulturbegriff

im Werk von Aby Warburg. Vgl. Die Einleitung von E. Wind zu

Kulturwis-senschaftliche Bibliographie zum Nachleben der Antike, Bd. 1, hrsg. von der

Bibliothek Warburg, Leipzig-Berlin 1934. Das Buch Kaiser, Rom und

Reno-vatio von P. E. Schramm erschien 1929 in Leipzig in den Studien der Bibliothek Warburg. Über die Freundschaft, die Kantorowicz mit Schramm

schon in diesen Jahren verband, vgl. die mehrfach erwähnte Rezension Schramms zu den Selected Studies, bes. S. 455.

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wurde. Auch wenn Kantorowicz nie Interesse an einer Bio-graphie zeigte, so stellte er doch - gemeinsam mit anderen Emigranten - durch seine Studien und durch seine Lehrtätig-keit das Weiterleben jenes kulturellen Erbes jenseits des Atlantik sicher33.

6. Alain Boureau scheint sich schon mit seinen ersten Veröf-fentlichungen der Geschichte des Imaginären verschrieben zu haben, auf die Le Goff immer nachdrücklicher die Auf-merksamkeit lenkt. In der Legende Doree, welche eine

struktu-relle Interpretation der Legenda Aurea vonJacobus a Voragine

mit dem Bemühen verbindet, in der Legenda historische

Substanz aufzuspüren, liefert Boureau Fakten zur Erfor-schung des klerikalen Lebens im 13. Jahrhundert- insbeson-dere seiner Ausdrucksformen und der Erzählform der Bettel-orden. In I.!aigle legt er eine Synthese der Geschichte und der

Verbreitung dieses Symbols vor, angefangen von seinem Wiederauftreten unter den Ottonen bis zu seinem wechseln-den Schicksal im Mittelalter, von seinem Verschwinwechseln-den wäh-rend der Renaissance über seine Rückkehr in der Heraldik der gerade entstandenen Vereinigten Staaten von Amerika und des Napoleonischen Kaiserreichs bis zu seiner unheilvol-len Verherrlichung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In Papesse Jeanne stellt Boureau Untersuchungen zu einer seit

dem 13. Jahrhundert weit verbreiteten Legende an. Diese sollte eine über Jahrhunderte sich hinziehende Kontroverse über die Legitimität der päpstlichen Autorität und Unfehl-barkeit wachhalten, welche vor allem von den Bettelorden, dann von den Häretikern des 15.Jahrhunderts und schließlich 33 Außer den beiden Werken, die in den Vereinigten Staaten erschienen und hier schon mehrfach erwähnt wurden, verfaßte Kantorowicz eine sehr große Zahl von Aufsätzen, die alle von der Fülle seines kulturgeschichtli-chen Wissens zeugen: von der Kunstgeschichte zur Rechtgeschichte, von der Religion zur Liturgie und zur Geistes- und Kulturgeschichte. M. Cherniavsky und R. E. Giesey stellten 25 dieser Aufsätze in E. H. Kantoro-wicz, Selected Studies, Locust Valley, N. Y., 1965, zusammen.

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von Luther und vom Protestantismus vorangetrieben wurde. Boureau glaubt darin den Ursprung der komplizierten Zere-monie der Papstkrönung zu erkennen, in der unter anderem festgestellt wird, ob der Papst männlichen Geschlechts sei. Gleichen Ursprungs sei die kategorische Verweigerung der Priesterweihe für Frauen. Boureau sieht in der Päpstin Jo-hanna eine Symbolfigur dieses "langen Mittelalters" der Men-talitäten, das er in Anlehnung an Le Goff zwischen dem Ende des 12. Jahrhunderts, als die Legende vermutlich entstand, und den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ansiedeln will -im Jahr 1831 starb der "letzte aufrichtige Bewunderer der Päpstin, der deutsche Dichter Achim von Arnim"34 • Der Essay Kantorowicz. Geschichten eines Historikers, der nun dem deutschen Publikum vorgelegt wird, erschien Ende 1990 bei Gallimard, Paris, in der Reihe I.:un et l'autre: "Der Autor und sein heimliches Idol, der Maler und sein Modell". Erwünscht waren "subjektive Berichte, weit entfernt von der herkömm-lichen Biographie", "Lebensbeschreibungen, aber solche, wie die Erinnerung sie erfindet, wie unsere Vorstellung sie neu gestaltet, wie eine Leidenschaft sie wieder belebt". Man darf also in diesem Buch nicht suchen, was es ausdrücklich nicht sein will: nicht die stringente philologische Akribie, auch wenn sie keineswegs fehlt. Dieses Buch - so eingängig und mitreißend zu lesen, als sei es eine Erzählung - verleiht Kantorowicz wieder den Rang individueller Absolutheit35: "Ich träume von der Biographie eines Mannes ohne Eigen-schaften, eines Menschen, der seinen Weg im leeren,

unbe-34 La papesse Jeanne, Paris 1988; die italienische Ausgabe (Turin 1991) ist komprimierter, weil zwei "mehr deskriptive als thematische" Kapitel über das literarische Nachleben der Päpstin und über die Rolle der Frau in der Religion des Mittelalters weggelassen wurden: Der Bezug auf Achim von Arnim findet sich auf S. XIII der neuen Einleitung zur italienischen Ausgabe. Die beiden anderen Arbeiten sind: La Legende Doree. Le systeme

narrative de Jacques de Voragine (f 1298}, Paris 1984 (mit einem Vorwort von

Jacques Le Goff); L'aigle. Chronique politique d'un embleme, Paris 1985.

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stimmten Raum sucht, zwischen den Denkmälern, von der Weite Posens bis hinüber zu einem amerikanischen Cam-pus." So erläutert Boureau seine "poetische" Annäherung und fügt hinzu: "Dieser Essay soll daher anhand von kleinen Erzählungen die verschiedenen Konstellationen nachzeich-nen, in denen ich hoffe, die Wirklichkeit Kantorowicz' wie-derzufinden."

Die klassische Kunst besaß wie selbstverständlich den Sinn für die eigene, unbegrenzte Offenheit, auf die alles, was hinter oder jenseits von ihr stand, verwies. Die moderne Kunst ist ein harter, mühsamer Kampf, die erstarrten, unbe-weglich gewordenen Lebensmöglichkeiten aufzufinden und wieder in Bewegung zu versetzen, im Werk und in der Sprache den offenen, freien Raum zu schaffen, der von den planmäßig etablierten Repressionen des formalisierten und organisierten Lebens immer wieder verdeckt und beschränkt wird. Im Bhagavadgita} jenem alten Sanskrit-Lehrgedicht, er-klärt der göttliche Wagenlenker dem Helden Ardschunas, wie das Leben ein beständiger Übergang und Farbenwechsel von Formen sei, die sich auflösen und sich wieder zusammen-fügen. Doch die Erkenntnis dieses großen allgemeinen Flie-ßens schwächt im Helden nicht den Sinn für seine eigene Person, für die Rechte, Pflichten und Werte, die sich in der endlichen Form seiner Einzigartigkeit verkörpern. Aus Bau-reaus "Biographie" erscheint kein klar umrissenes, über-großes Individuum wie eine klassische Büste, sondern ein vorläufiges, unsicheres Ich, wohl wissend, daß es nur ein zitternder, flüchtiger Schatten ist. Gerade deshalb soll es sich nicht im vagen Dunkel verlieren.

Aus dem Italienischen von Renate Warttmann und Ulrich Hausmann

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