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Wandel der Beziehungen zwischen Ländern und Bund
in Österreich angesichts ihrer Integration
ins " Dreiebenensystem” der Europäischen Gemeinschaften *
LÄNDERINTERESSEN UND EG-BEITRITT
Thesis submitted for assessment with a view to obtain the degree of doctor
of the European University Institute
Department of Political and Social Sciences Florence, October 1992
V o l u m e 1
Prof. Roger Morgan (Supervisor, Europäisches Hochschulinstitut) Prof. Jean Blondel (Co-Supervisor, Europäisches Hochschulinstitut) Prof. Rudolf Hrbek (Universität Tiibingen; Europa-Kolleg Briigge) Prof. Anton Pelinka (External Supervisor, Universität Innsbruck) Prof. Peter Pemthaler (Universität Innsbruck)
•) Im Hinblick auf meinen Eintriu in den Verwaltungsdienst der Republik Österreich am 15. September 1992 'ersichere ich hiermit, daß sämtliche in dieser Arbeit zitierten, nicht-öffentlich zugänglichen Dokumente und Mistige zitierte nicht-öffentlich zugängliche Informationen vqe diesem Datum gesammelt wurden und mir nicht aus em Grunde meiner künftigen Tätigkeit zugekommen sind.
ludem soll festgehalten werden, daß meine Interpretationen in keinem Zusammenhang mit der genannten /erwaltungstätigkeit stehen.
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354.4310
8 3 mor
Wandel der Beziehungen zwischen Ländern und Bund
in Österreich angesichts ihrer Integration
Thesis submitted far assessment with a view to obtain the degree of doctor
of the European University Institute Department of Political and Social Sciences
Florence, October 1992
Volume 1
Jury:
Prof. Roger Morgan (Supervisor, Europäisches Hochschulinstitut) Prof. Jean Blondei (Co-Supervisor, Europäisches Hochschulinstitut) Prof. Rudolf Hrbek (Universität Tübingen; Europa-Kolleg Brügge) Prof. Anton Pelinka (Extemal Supervisor, Universität Innsbruck) Prof. Peter Pemthaler (Universität Innsbruck)
________________
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*) Im Hinblick auf meinen Eintritt in den Verwaltungsdienst der Republik östeneich am IS. September 199 versichere ich hiermit, daß sämtliche in dieser Arbeit zitierten, nicht-öffentlich zugänglichen Dokumente un sonstige zitierte nicht-öffentlich zugängliche Infonnationen vjh diesem Datum gesammelt wurden und mir nicht au dem Grunde meiner künftigen Tätigkeit zugekommen sind.
Zudem soll festgehalten werden, daß meine Interpretationen in keinem Zusammenhang mit der genannte Verwaltungst&tigkeit stehen.
Wandel der Beziehungen zwischen Ländern und Bund
in Österreich angesichts ihrer Integration
ins "Dreiebenensystem" der Europäischen Gemeinschaften *
Michael Morass
Thesis submitted for assessment with a view to obtain the degree of doctor
of the European University Institute Department of Politica] and Social Sciences
Florence, October 1992
Jury:
Prof. Roger Morgan (Supervisor, Europäisches Hochschulinstitut) Prof. Jean Blondel (Co-Supervisor, Europäisches Hochschulinstitut) Prof. Rudolf Hrbek (Universität Tübingen; Europa-Kolleg Brügge) Prof. Anton Pelinka (Extemal Supervisor, Universität Innsbruck) Prof. Peter Pemthaler (Universität Innsbruck)
*) Im Hinblick auf meinen Eintritt in den Verwaltungsdienst der Republik östeneich am 15. September 1992 versichere ich hiermit, daß sämtliche in dieser Arbeit zitierten, nicht-öffentlich zugänglichen Dokumente und sonstige zitierte nicht-öffentlich zugängliche Informationen vq[ diesem Datum gesammelt wurden und mir nicht aus dem Grunde meiner künftigen Tätigkeit zugekommen sind.
Zudem soll festgehalten werden, daß meine Interpretationen in keinem Zusammenhang mit der genannten Verwaltungstätigkeit stehen.
I N H A L T S V E R Z E I C H N I S
Kapitell EINLEITUNG
1.1. ‘REGIONALISIERUNG* IN DEN EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN?
O 1.1.1. REGION
1.1.2. STRUKTURELLE UND MATERIELLE PARTIZIPATIONSFORDERUNGEN ALS REFLEX EUROPÄISCHER INTEGRATION
a) Strukturelle Partizipationsforderungen - Horizontale Gemeinsamkeiten b) Materielle Partizipationsforderungen - Horizontale Konkurrenz
1.1.3. EINFLUSSKANÄLE REGIONALER INSTITUTIONEN IN DER EG - ERSTER ÜBERBLICK
1.2. AUSGANGSÜBERLEGUNGEN ZUR KÜNFTIGEN ’EG-BETEILIGUNG“ ÖSTERREICHISCHER
LANDESAKTEURE
15 1.2.1. VIRULENZ UND DURCHSETZUNGSPOTENTIAL
1.2.2. GLEICHZEITIGKEIT VON EG-BEITRITT UND LÄNDERBETEILIGUNG IN DER INTEGRATIONSPOLITIK
1.3. FRAGESTELLUNGEN UND AUFBAU DER ARBEIT
1.4. ANMERKUNGEN ZUM EMPIRISCHEN VORGEHEN UND SEINER EINGRENZUNG
19 26
Kapitel II
DAS KONZEPT REGIONALER EINFLUßNAHME
VORBEMERKUNGEN
31
2.1. ENTWICKLUNGSSTUFEN DER ANALYSE TERRITORIALER SYSTEME ALS PERSPEKTIVENERWEITERUNG 'REGIONALER BETEILIGUNG*
33 2.1.1. REGIONALE KONTROLLE ALS BUNDESSTAATLICHES KRITERIUM
2.1.2. NEGATIVE UND POSITIVE KOORDINATION
a) Dual Polity
b ) Kooperativer Bundesstaat
2.1.3. PERIPHERIE VS. ZENTRUM
2.2. REGIONALE EINFLUSSNAHME IM RAHMEN DES TERRITORIALEN SYSTEM
40 2.2.1. PRÄMISSEN: REGIONALE AKTEURE. REGIONALE INTERESSEN
Einschub: Parteien und Verbände als ebenenum spannende Organisationen
2.2.2. TERRITORIALE. FUNKTIONALE UND PARTEIPOLITISCHE KREISLÄUFE
2.3. DIE TERRITORIALE DIMENSION REGIONALER EINFLUSSNAHME
49 2.3.1. INTRA-FÖDERALE UND INTER-FÖDERALE STRUKTUREN
a) Intra-föderale EinfluBstrukturen b ) inter-föderale Einflußkanäle
2.3.2. TERRITORIALE MACHTABHÄNGIGKEITEN UND AUSTAUSCHPROZESSE 2.3.3. KATEGORIEN VON EINFLUSSRESSOURCEN
2.3.3.1. Rechtliche Ressourcen 2.3.3.2. Finanzielle Ressourcen 2 3.3.3. Politische Ressourcen
a) Legrtimationsverhöltnisse
b ) Abstimmungserfordemisse nationaler Akteure mit Politiken regionaler Akteure ■ Implementationsressourcen
c ) Technokratische Verknüpfung
2 3.3.4. Informations- und Organisationsressourcen
2.4. KONSEQUENZEN DES KONZEPTES
67 2.4.1. REGIONALE INTERESSEN IN DOMINANTEN KOALITIONEN DER NATIONALEN EBENE
2.4.2. ZUR KOMPROMISSFÄHIGKEIT REGIONALER AKTEURE
2.5. ZUSAMMENFASSUNG
72
2.6. EXKURS: "POUT1KVERFLECHTUNG“ - KONZEPTIONELLE KLÄRUNG
74 2.6.1. POUTIKVERFLECHTUNG ALS VERDICHTUNG DER ABHÄNGIGKEITEN TERRITORIALER AKTEURE 2.5.2. POLITIKVERFLECHTUNG ALS ERKLÄRUNGSANSATZ SPEZIFISCHER ENTSCHEIDUNGSBEDINGUNGEN VON VERHANDLUNGSSYSTEMEN
a) Empirischer Ausgang: Gem einschaftsaufgaben in der Bundesrepublik
b ) Parallelen der institutioneilen Pathologie des deutschen Föderalismus und der EG c ) Ausweitung des Anwendungsbereichs der Politikverflechtungstheorie
Kapitel III
VERMITTLUNG REGIONALER INTERESSEN IM 'DREIEBENENSYSTEM' - PROBLEMAUFRISS AM AUSGEBILDETSTEN BEISPIEL DER DEUTSCHEN LÄNDER UND
ENTWICKLUNGSPERSPEKTIVEN NACH 'MAASTRICHT 3.1. AUSGANGSBEDINGUNGEN
79
3.2. FORMELLE GRUNDLAGEN UND HANDLUNGSLOGIKEN DER INDIREKTEN 'EG-LÄNDERBETEIUGUNG' IN DER BUNDESREPUBLIK
83 3.2.1. GRUNDLAGEN DES BUNDESRATSVERFAHRENS
3.2.2. BLOCKIERUNG UND UNVERBINDLICHKEIT VS. KOOPERATIONSDRUCK ZWISCHEN LÄNDERN UND BUND
3.2.2.1. Lähmung der bundesdeutschen Verhandlungsposition durch die Rückkoppelung zur Landesebene?
3.2.2.2. Die unüberwindliche Unverbindlichkeit der indirekten Einflußnahme von Landesinteressen 3.2.2.3. Anpassung der Einflußlogik an die Durchsetzungslogik: Interessenkonvergenz von Ländern und Bund
3.3. STRUKTURELLE LÖSUNGEN DES DEUTSCHEN MODELLS
99 3.3.1. PARTIZIPATION VON LÄNDERVERTRETERN IN NATIONALEN DELEGATIONEN ZU
GEMEINSCHAFTSGREMIEN
3.3.1.1. Beauftragte des Bundesrates in EG-Arbeitsgremien 3.3.1.2. Länderbeteiligung im EG-Ministerrat
a) Aktive Mitwirkung im Kultur und Bildungsbereich b ) Passive Delegationsteiinahme
3.3.2. INFORMATIONSBESCHAFFUNG UND VERARBEITUNG 3.3.2.1. Staffelung der Informationsquellen
a) Direkte Informationsbeschaffung einzelner Landesregierungen b) Berichterstattung der Bundesratsbeauftragten
c ) Der Länderbeobachter
3.3.2.2. Die Zentralisierungs-, Selektions- und Kanalisierungsfunktion der Bundesratsverwaltung 3.3.2.3. Systematisierung der Informationsevidenz
3.3.3. AUSHANDLUNG UND ENTSCHEIDUNG DER STELLUNGNAHMEN DES BUNDESRATES 3.3.3.1. Mehrheitsprinzip
3.3.3.2. Benützung routinisierter Aushandlungsstrukturen - Die Koordinationsfunktion des EG-Ausschusses des Bundesrates
3.3.3.3 Gleichzeitigkeit der Lönder-Länder- und der Bund-Länder-Koordination 3.3.3.4. Aufbau europapolitischer Strukturen auf Landesebene
a) Aufbau von ’Europaministerien’
b ) Europareferate in den einzelnen Landesministerien
c ) Die endgültige Abstimmung des Standpunktes der Landesregierung zu einer EG-Vorlage
3.3.4. EVALUATION DES BUNDESRATSVERFAHRENS 3.3.5. VERNACHLÄSSIGTE STRUKTUREN
3.3.5.1. Beschleunigtes Verfahren
3.3.5.2. Flexibilisierung - Die Möglichkeit einer Modifikation der Stellungnahmen 3.3.5.3. Ausklammerung der Landesparlam ente
3.4. LOBBYING DER DEUTSCHEN LANDESREGIERUNGEN BEI DER EG-KOMMISSION: KOMPLEMENTARITÄT STATT ALTERNATIVE
146 3.4.1. EINRICHTUNG VON •LÄNDERBÜROS' IN BRÜSSEL
3.4.2. FUNKTIONEN: INFORMATION UND LOBBYING FÜR AUSSCHLIESSLICHE. SPEZIFISCHE INTERESSEN DES LANDES
3.4.3. VERMITTLUNGSSTRUKTUREN ZWISCHEN LANDES- UND EG-INSITTUTIONEN
3.4.4. ÜBERWINDUNG DER ANFÄNGLICHEN KRITIK DER BRÜSSELER LÄNDERAKTIVITÄTEN SEITENS DER BUNDESREGIERUNG
3.5. ENTWICKLUNGSPERSPEKTIVEN REGIONALER INTERESSENVERTRETUNG IM GEFOLGE VON “MAASTRICHT
160 3.5.1. INSTITUTIONALISIERUNG DES AUSSCHUSSES DER REGIONEN
3.5.2. ENTWICKLUNGSCHANCEN DES AUSSCHUSSES DER REGIONEN
a) Ausschließlichkeit regionaler Vertretung
b ) Vertretungsmonopol der regionalen Exekutiven? c ) Schaffung von Aushandlungsstrukturen
d) Mehrheitsprinzip
e) Anreiz für transregionale Subsysteme
3.5.3. KURZFRISTIGE KONSEQUENZEN FÜR DIE DEUTSCHEN LANDESREGIERUNGEN
a) Aktive Verhandlungsführung und Stimmabgabe im Rat durch Ländervertreter b) 'Maastricht' als Katalysator zur Verstärkung innerstaatlicher Beteiligungsrechte
c ) Ausbildung einer unmittelbar am europäischen Entscheidungsprozeß orientierer Bund-Länder-Arena - Die Europakommission der Länder
3.5.4. AUSBLICK
3.6. ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN DES KAPITELS
IV. Kapitel
GRUNDSKIZZE ‘REGIONALER EINFLUSSNAHME* IM POLITISCHEN SYSTEM ÖSTERREICHS
VORBEMERKUNGEN
160
4.1. BARRIEREN TERRITORIALER POLITIK IN ÖSTERREICH
183 4.1.1. INSTITUTIONELLE BESCHRÄNKUNGEN
a) Schm ale rechtliche Ressourcen
b ) Finanzielle Ressourcenabhängigkeit der Landesinstitutionen
4.1.2. ÜBERLAGERUNG DER TERRITORIALEN DURCH DIE PARTEIPOLITISCHE UND DIE FUNKTIONALE DIMENSION
4.1.3. DIE SONDERSTELLUNG WIENS
4.1.4. DIE UNWIRKSAMKEIT DER VERFASSUNGSMÄßIG VORGESEHENEN MITWIRKUNG VON •LÄNDERINTERESSEN- AN DER BUNDESGESETZGEBUNG
a) Strukturelle Barrieren b ) Funktionsleere
4.2. MACHTFAKTOREN DER LANDESAKTEURE IM POLITISCHEN SYSTEM ÖSTERREICHS
199 4.2.1. REGIONALE DISPARITÄTEN
4.2.1.1. W irtschaftliches G efälle
4.2.1.2. Regionale politische Identitäten - 'Landesparteien'
4.2.2. HEGEMONIEN UND VERFLECHTUNG IM AKTEURSRAUM DER EINZELNEN BUNDESLÄNDER 4.2.2.1. ’Konzentrationsregierungen*
4.2.2 2. M achtzentralisierung in der Position des Landeshauptmannes 4.2.2.3. Zentralisierung in der Landesadministration
4.2.2.4. Unterordnung und Aufschwung der Landtage
4.2.2.5. Enge Verflechungen zwischen den Landesverbänden und den Landesinstitutionen 4.2.3. ASPEKTE POLITISCHE AUTONOMIE DER LANDESEBENE
4.3. INTERFÖDERALE STRUKTUREN
223 4.3.1. DIE LÄNDERKONFERENZEN
4.3.1.1. Die Landeshauptmännerkonferenz und die Landesamtsdirektorenkonfenz
a) Struktur - Gleichzeitigkeit der horizontalen und vertikalen Abstimmung
b ) Verhandlungsgegenstände und Entscheidungsmodus - Ausklammerung parteipolitischer Konflikte
c ) Einflußmonopol der Landeshauptmänner und der Landesamtsdirektoren?
4.3.1.2. Die Referentenkonferenzen
4.3.2. INTER-FÖDERALE VERHANDLUNGEN AUßERHALB DER LÄNDERKONFERENZEN 4.3.3. DIE VERBINDUNGSSTELLE DER BUNDESLÄNDER (VST)
a) Struktur b ) Funktionen
4.3.4. INTER-FÖDERALE BEZIEHUNGEN IM PARLAMENTARISCHEN BEREICH
4.3.5. EXKURS: INTENSITÄT HORIZONTALER KONTAKTE ZWISCHEN DEN AKTEUREN DER NEUN BUNDESLÄNDERN
4.4. INTRA-FÖDERALE STRUKTUREN
243 4.4.1. EINFLUßKANÄLE IM BEREICH DERBUNDESREGIERUNG
4.4.1.1. Lobbying
4.4.1.2. Das Begutachtungsverfahren
4.4.1.3. Teilnahme von Landesvertretern in (intra-föderalen) Gremien der Bundesregierung/verwaltung
4.4.2. EINFLUßKANÄLE IM PARLAMENTARISCHEN BEREICH
a) Geringes Image des Nationalrates als Arena für Landesinteressen
b ) Nationalratsabgeordnete als wesentliche Einflußkanäle von Landesinteressen c ) Beiziehung von Landesvertretem in parlamentarischen Beratungsgremien
4.4.3. DIE EINBINDUNG VON LANDESAKTEUREN IN DEN BUNDESPARTEIORGANISATIONEN 4.4.4. EINFLUSSKANÄLE REGIONALER INTERESSEN INNERHALB DER KAMMERN- UND VERBÄNDEORGANISATIONEN
4.5. EVALUIERUNG REGIONALER EINFLUßNAHME IN DER ÖSTERREICHISCHEN BUNDESPOLITIK - ZWISCHENRESÖMME
259 4.5.1. BEWERTUNG DER EINFLUßSTRUKTUREN AUS DER SICHT DER LANDESAKTEURE
a) Unterschiedliche Einflußkanäle - Ungleiche Zugangschancen b ) Parteien als Träger und Schrankenwärter regionaler Interessen c ) Die Sozialpartner als Verstärker regionaler Interessen
d) Territorialpartnerschaft ?
e) Einschätzung des Durchsetzungspotentials von Landesinteressen - Zufriedenheit der Landeseliten?
4.5.2. STRUKTURELLE RESISTENZ VS. WANDEL DER SPIELREGELN TERRITORIALER POUT1K IN ÖSTERREICH
Kapitel V
DIE HERAUSFORDERUNGEN. DIE STRUKTURELLEN VORBEREITUNGEN UND DIE EINFLUSSNAHME DER LANDESAKTEURE IN DER ÖSTERREICHISCHEN INTEGRATIONSPOLITIK BIS ZUM HERBST 1991
VORBEMERKUNGEN
273
5.1. BISHERIGE RECHTE UND PRAXIS DER LÄNDERBETEILIGUNG AN DER AUSSENPOLITIK DES BUNDES
277
5.1.1 STELLUNGNAHMERECHT UND BERÜCKSICHTIGUNGSPRINZIP
5.1.2. DIE PRAXIS DER LÄNDERBETEILIGUNG IN DER AUßENPOLITIK
5.2. DIE BEDEUTUNG DER LANDESEBENE IN DER "EG-DEBATTE" BIS ZUM BEITRITTSANTRAG
283 5.2.1. FRÜHZEITIGE MOTIVATION AUS DEN BUNDESLÄNDERN
5.2.1.1. Ausgangsbedingungen
5.2.1.2. Die Landeshauptm änner als frühzeitige Promotoren des Beitrittsantrages
5.2.2. HERVORTRETEN REGIONALER KONFUKTPOTENTIALE VS. AUFRECHTERHALTUNG DES KONSENSES DER LANDESELITEN
5.2.2.1. Kontext
5.2.2.2. Regionales Konfliktpotential
5.2.2.3. Fortbestehen des Beitritts-Konsenses auf der Ebene der Landeshauptmännerkonferenz
5.2.2 4. Einbindung der Landeskammem in die Stellungnahmen der Sozialpartner
5.2.2.5. Nationale Übereinkunft
5.2.3. EXKURS: ERFAHRUNGSVERMITTLUNG DURCH DEUTSCHE LANDESAKTEURE
5.3. DIE VIRULENZ VON "LANDESINTERESSEN" IN HINBLICK AUF EINEN EGBEITRITT -KOMPETENZEINGIFFE UND ERWARTUNGEN DER LANDESELITEN
304 5.3.1. PROBLEMSICHT DER ÖSTERREICHISCHEN LANDESELITEN
5.3.2. EINGRIFFE IN MACHTRESSOURCEN DER LANDESEBENE
5.3.3. DIE WICHTIGSTEN ‘ANLIEGEN’ DER LANDESAKTEURE IN HINBLICK AUF EINEN EG-BEITRITT
5.4. POSITIONEN DER LANDESAKTEURE IN DER INTEGRATIONSPOLITIK DER JAHRE 1990/91
327 5.4.1. KONTEXT
5.4.1.1. Grundlinien der integrationspolitischen Außenperspektive
5.4.1.2. Entwicklung der ‘EG-Frage* in der öffentlichen Meinung - Tiroler und Salzburger Spezifika 5.4.2. KRITIK UND FORDERUNGEN EINZELNER LANDESAKTEURE IN DER 'EWR-DEBATTE'
5.4.2.1. Klagen über m angelnde Information - Forderungen nach einer ’EWR-Voiksabstimmung* 5 4.2.2. Bindung der Ratifikation des EWR an Landtagsbeschlüsse?
5.4.3. GEMEINSAME FORDERUNGEN DER LANDESREGIERUNGEN
a) Grundverkehr b ) Beschaffungswesen c ) Transitverkehr d ) Strukturreform
5.5. MITWIRKUNGSSTRUKTUREN DER LANDESAKTEURE IN DER INTEGRATIONSPOLITIK DER BUNDESREGIERUNG BIS HERBST 1991
358 5.5.1. DIE EINBINDUNG VON LÄNDERVERTRETERN AUF DER ’BRÜSSELER EBENE’
5.5.1.1. Der gemeinsam e Vertreter der Länder in Brüssel
5.5.1.2. Die Einbeziehung von Ländervertretem in die EWR- und Transitverhandlungen
a ) Teilnahmemöglichkeit von Ländervertretem an den EWR-Verhandlungen b ) Marginale Mitwirkungschancen
5.5.2. DIE LÄNDERBETEIUGUNG IN DEN INTEGRATIONSPOUTISCHEN GREMIEN DER BUNDESEBENE 5.5.2.1. Der Rat für Fragen der österreichischen Integrationspolitik (RFl)
a ) Status und beteiligte Akteure b ) Funktionen
5 5.2.2. Die interministerielle Arbeitsgruppe für Europäische Integration (AGEI). die Arbeitsgruppe für Integrationsfragen (AG!) und ad-hoc Besprechungen der EWR-
Verhandlungsdelegationen
a) Status und beteiligte Akteure b ) Funktionen
5.5.2.3. Die Arbeitsgruppe EG/Föderalismus (AGEF)
a) Status und beteiligte Akteure b ) Funktionen
5.5.2.4. Sonstige Grem ien im Rahmen der europäischen Integration mit Länderbeteiligung 5.5.2.5. Inform ationsbeschaffung über die Integrationspolitik der Bundesregierung
5.5 2.6. Informelle Einflußkanäle
5.6. DIE ENTWICKLUNG INTEGRATIONSPOLITISCHER STRUKTUREN IM LÄNDERBEREICH
378 5.6.1. STRUKTUREN DER INTEGRATIONSPOLITIK AUF INTERREGIONALER EBENE
5.6.1.1. Die Behandlung von Integrationsangelegenheiten in bestehenden interregionalen Einrichtungen
a ) Die Landeshauptmännerkonferenz (LHK). die Landesamtsdirektorenkonferenz (LADK) und ad-hoc Beamtengremien
b ) Verbindungsstelle der Bundesländer
5.6.1.2. Der Ständige Integrationsausschuß der Länder (SIL)
a ) Referentengremium der Landesverwaltungen
b ) Selbständige Entscheidungsbefugnis vs. Unterordnung c ) Anzeichen eines Abrückens vom Einstimmigkeitsprinzip? d) Strukturelle Einheitlichkeit
e) Die Stellung des Bundesrates und der Landtage im SIL- Einbeziehung vs. Ausschluß?
5.6.1.3. Ausbildung sonstiger Koordinierungsstrukturen
a ) Institut für Bautechnik
b ) Regionalpolitische Koordination
5.6.2. DIE ENTWICKLUNG INTEGRATIONSPOUTISCHER STRUKTUREN AUF LANDESEBENE 5.6.2.1. Zuständigkeitsverteilung in den Landesregierungen
5.6.2.2. Die Einrichtung von Europareferaten
5.6.2.4. Beziehungen zwischen der Landesregierung, den Sozialpartnern und den Landtagen - Die Bildung von Integrationsräten des Landes
5.7. ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUßFOLGERUNGEN DES KAPITELS
402 Kapitel VI
AUSHANDLUNG UND STRUKTURELLE PERSPEKTIVEN DES KÜNFTIGEN EG-BETEILIGUNGSVERFAHRENS DER ÖSTERREICHISCHEN BUNDESLÄNDER
VORBEMERKUNGEN
405
6.1. DIE MITWIRKUNGSRECHTE DER LÄNDER IM RAHMEN DER EUROPÄISCHEN INTEGRATION
409 6.1.1. DER VERHANDLUNGSVERLAUF
6.1.2. INHALT DER B-VG NOVELLE UND DER BUND-LÄNDER VEREINBARUNG 6.1.3. WESENTUCHE MERKMALE DER AUSHANDLUNG DER MITWIRKUNGSRECHTE
a) Orientierung am deutschen Modell
Einschub: Eingeschränkterer Anwendungsbereich der Mitwirkungsrechte in Österreich b ) Konsensualität
c ) Offenheit des Mitwirkungskontextes
6.2. STRUKTURELLEN PROBLEMSTELLUNGEN DES KÜNFTIGEN LÄNDERBETEILIGUNGSVERFAHRENS
419 6.2.1. DIE PRÄSENZ VON LÄNDERVERTRETERN IN EG-GREMIEN
6.2.2. RECHT AUF INFORMATION VS. VERARBEITUNGSKAPAZITÄT 6.2.3. DIE AUSHANDLUNGS- UND ENTSCHEIDUNGSSTRUKTUREN DES
LÄNDERBETEILIGUNGSVERFAHRENS: DEMOKRATISCHE LEGITIMATION VS. EFFIZIENZ? 6.2.3.1. Verstärkte Herausforderungen zur horizontalen Länderkoordination
6.2.3.2. Die erste Phase der Debatte über das gemeinsame Integrationsorgan der Länder
a ) Ausgangspunkt: Landeshaupmännerkonferenz b) C hance für den Bundesrat?
c ) Neutrale Ausgangsposition der Bundesregierung d) Einbindung im Verfassungsentwurf
e) Kritik der Landtage an einer Verankerung der Landeshauptmännerkonferenz in der Bundesverfassung
6.2.3.3. Bundesrat und Gremium der Landeshauptmänner als Alternativen?
a) Rechtliche Eignung: Landesverfassungsautonomie vs. Beauftragung des Bundesorgans Bundesrat
b ) Politische Ressourcen: Bindung der Landesakteure vs. Beharrung informeller Strukturen c ) Funktionelle Eignung: Die Distanz zum Sachverstand der Landesregierungen
6.2.3 4. Einbindung der Landtage?
a) Rechtliche Möglichkeit
b ) Gründe für eine Einbindung der Landtage
c ) Form der Bindung des Integrationsorgan der Länder an die Landtage?
6.2.3.4. Die strukturelle Ausgestaltung des Länderbeteiligungsverfahrens
a) "Zurückhaltung' der Landtage
b ) Aufgaben und Struktur der Integrationskonferenz der Länder (IKL) c ) Das Dilemma des Bundesrates
d) Debatte um Machtressourcen vs. Organisationserfordemisse zur Aufbereitung und Aushandlung der ‘EG-Stellungnahmen'
e ) Einbeziehung der Sozialpartner
6.2.3.5. Der Entscheidungsmodus: Interessenunterschiede vs. Einheitlichkeit der Vertretung
a) Problemstellung
b ) Erwartungshaltung der Landeseliten
6.3. AKTIVITÄTEN ÖSTERREICHISCHER LANDESAKTEUREN AUF DER GEMEINSCHAFTSEBENE
6.3.1. LÄNDERBÜROS? 6.3.1.1. Erwartungen
6.3.1.2. Erste Pläne zur Einrichtung eines Landesbüros
6.3.1.3. Fehlender Handlungsbedarf für Länderbüros vor einem EG-Beltritt
Einschub: Vorsprachen von Landesdelegationen bei der EG-Kommission
6.3.1.4. Kooperationsbereitschaft der Bundesregierung
6.3.1.5. Überlegungen zu den 'Brüsseler Aktivitäten' von Landesakteuren nach einem EG-Beitrttt 6.3.2. ENTWICKLUNGSPERSPEKT1VEN DER TRANSREGIONALEN ZUSAMMENARBEIT ÖSTERREICHISCHER LANDESAKTEURE IM RAHMEN VON GEMEINSCHAFTSPOUTIKEN
6.3.2.1. Erwartungen 6.3.2.2. Perspektiven
a) Ausschuß der Regionen - Impulse zu transregionaler Kooperation b ) Ebene der Länderbüros
64. ZUSAMMENFASSUNG DES KAPITELS
490 467 Kapitel VII SCHLUSSBEMERKUNGEN 492 BIBLIOGRAPHIE 398 ANHANG ANHANG A: ERGÄNZENDE FIGUREN
ANHANG B: EUROPA POLITISCHE ORGANISATIONSSTRUKTUREN IN DEN DEUTSCHEN LANDESREGIERUNGEN
(Ergebnisse meiner Umfrage bei den EG-Koordinationsstellen der deutschen Landesregierungen im Frühjahr 1992)
ANHANG C : ORGANISATION- UND TÄTIGKEITSPROFIL DER DEUTSCHEN LANDESPARLAMENTE IN EG- ANGELEGENHEITEN
(Ergebnisse meiner Umfrage bei den deutschen Landtagsdirektionen im Frühjahr 1992)
ANHANG D: ENTWICKLUNG DER INTEGRATIONSPOLITISCHEN TÄTIGKEIT DER ÖSTERREICHISCHEN LANDTAGE
(Ergebnisse meiner schriftlichen Befragung der Landtagsdirektoren im Sommer 1991)
ANHANG E: LISTE MEINER GESPRÄCHSPARTNER
EINLEITUNG
Welche Einflußstrukturen werden die politischen Akteure der österreichischen Bundesländer nach einem erfolgten EG-Beitritt benützen können, um mit ihren spezifischen Interessen an der Formierung von Gemeinschaftspolitiken teilzunehmen? Welche Maßnahmen sind zur Ermöglichung einer solchen Mitwirkung in Österreich bereits getroffen worden oder geplant? Inwiefern läßt sich durch das Hinzutreten der Ebene der Gemeinschaftspolitik als Zielbereich von "Landesinteressen" ein Wandel in den Beziehungsstrukturen zwischen den österreichischen Landes- und Bundesakteuren erwarten?
Diese die vorliegende Arbeit leitenden Fragen setzen an der Schnittstelle zweier, in den letzten Jahren gleichzeitig intensivierter Entwicklungen im Rahmen der europäischen Integration an:
* Einerseits wurde die Ende der Achtziger Jahre forcierte Annäherung Österreichs an die Europäischen Gemeinschaften am 17. Juli 1989 durch den Antrag der Bundesregierung um Aufnahme als Vollmitglied formalisiert. Aufgrund der dazu am 31. Juli 1991 von der Kommission der EG abgegebenen, grundsätzlich positiven Stellungnahme sowie dementsprechender Erklärungen führender Repräsentanten der Mitgliedsstaaten, die insbesondere anläßlich des Europäischen Rates von Lissabon im Juni 1992 die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen für das Jahr 1993 in Aussicht stellten, scheint eine EG-Mitgliedschaft Österreichs derzeit im Rahmen einer "EFTA-Erweiterung" für die Jahre 1995/1996 wahrscheinlich.
* Andererseits haben sich seit Mitte der Achtziger Jahre die Forderungen regionaler Akteure deutlich verstärkt, an der Formierung von Gemeinschaftspolitiken zu partizipieren. Deren Zielrichtung galt
erstens im Gefolge der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) von 1987 - insbesondere seitens der
deutschen Länder, mit weit weniger Erfolg seitens der spanischen Autonomen Gemeinschaften sowie der belgischen und italienischen Regionen - einer Verstärkung ihrer innerstaatlichen Beteiligung an den nationalen Machtresourcen gegenüber der Politik der EG. Zweitens forcierten die deutschen Länder und einige andere Regionen Ende der Achtziger Jahre eigenständige, informelle Beziehungen zur Kommission, unterstützt durch die Einrichtung von Verbindungsbüros in Brüssel. In Hinblick auf die Regierungskonferenzen zur Politischen Union, die im Dezember 1991 in Maastricht abgeschlossen wurden, standen drittens von den Dachverbänden der europäischen Regionen getragene Forderungen nach einer direkten, institutionalisierten Einbindung regionaler Akteure ins Entscheidungssystem der Gemeinschaftsebene im Vordergrund.
horizontalen Dimension zwischen EFTA-Staaten und EG als auch auf der vertikalen Dimension
zwischen Regionen, Nationalstaaten und EG-Institutionen. Auf beiden Dimensionen ist insofern festzustellen, daß die Auswirkungen der Politik des "Zentrums" auf die "Peripherie" ein Bestreben der "Peripherie" erzeugen, an der Politik "im Zentrum" mitzuwirken.
1.1. "REGIONALISIERUNG" IN DEN EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN? 1.1.1. R E G IO N
Wurden früher vornehmlich die Europäischen Gemeinschaften selbst als regionales Integrationsgebilde bezeichnet,* so sind Regionen im letzten Jahrzehnt der Integrationsdebatte zum gängigen Begriff für sub-nationale Einheiten innerhalb der EG geworden. Die deutschen oder (mit Blick in die EG) auch die österreichischen Länder bezeichnen sich seit kurzem selbst als Regionen, sie bilden mit anderen die "Versammlung der Regionen Europas". Manche Visionen sprechen gar
2
von der Zukunft eines "Europa der Regionen”. Was ist aber in diesem Zusammenhang unter
Regionen zu verstehen? Weshalb hat sich diese Bezeichnung in den letzten Jahren in der
Gemeinschaftspolitik verstärkt verbreitet? Dies ist nicht nur eine Frage der Etikette.
* Der Begriff der Region bedarf zunächst der Klärung, da sein semantischer Umfang in der allgemeinsprachlichen wie auch in der wissenschaftlichen Verwendung divergierende Bedeutungen
3
beinhaltet. In der deutschen Sprache konnotiert er erstens ein Gebiet, dem ähnliche geographische, wirtschaftliche, soziale, historische, politisch-kulturelle Eigenschaften oder funktionale 1) vgl. u.v.a. ZIEBURA (1973), Zusammenfassung: Verflcchtungsgrad und Handlungsfähigkeit, in: Regionale Verflechtung der Bundesrepublik Deutschland. Empirische Analysen und theoretische Probleme, Schriften des Forschungsinstituts für Auswärtige Politik e.V., München (Oldenbourg) 1973), 293-311
2) Zur Widerlegung einiger Annahmen dieser Vision siehe Kapitel III
3) Zur Verwendung des Begriffes "Region" vgl. u.a. Mario CACIAGLI-(19901Das Europa der Regionen: Repressive Utopie oder politische Perspektive, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 90/4, 421-432; Fried ESTERBAUER (Hg.) (1978), Regionalismus. Phänomen. Planunesmitttel. Herausforderung für Europa. Eine Einführung. München (Bayerische Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit); Max FRENKEL (1986), Föderalismus und Bundesstaat. Band II Bundesstaat. Bern (Peter Lang), 45ff; Heinrich GRÖßE-SENDER (Hg.) (1990): Kommission "Erhaltung und Fortentwicklung der bundesstaatlichen Ordnung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland - auch in einem Vereinten Europa". Bericht. Teil Eins, Düsseldorf (Landtag Nordrhein-Westfalen): 124; Winfried HANEKLAUS (1991), Zur Fraec der funktionsgerechten Regionalisierung in einer föderal verfaßten Europäischen Union, in: Deutsches Verwaltungsblatt IS. März 1991: 295-299; Rudolf HRBEK (1988), Bundesländer und Regionalismus in der EG. in: Siegfried Magiera/Detlef Merten (Hg.). Bundesländer und Europäische Gemeinschaft. Berlin (Duncker & Humblot) 1988: 135 ff; zum Begriff einer wirtschaftlichen Region vgl. z.B. N. V ANHO VE/LH. KLAASEN (1987), Regional Policv: A European Approach. Aldershot (Avebury-Gower); zum Begriff der politisch-kulturellen Region vgl. z.B. Hans WEHLING et.al. (1985), Regionale Politische Kultur. Kohlhammer (Urban TB); zur in der italienischen Forschung intensiven Auseinandersetzung mit dem Konzept der regionalen "Subkulturen” siehe mit weiteren Verweisen u.a. CACIAGLI (1990); Carlo TRIGILLA (1985), Grandi partiti e piccole imprese. Bologna (II Mulino)
Weise werden etwa in der EG-Regionalpolitik die Ebenen Nuts I, II, III verstanden. Die solcherart eingegrenzten Territorien können, müssen sich aber nicht notwendigerweise mit dem Hoheitsbereich sub-nationaler Institutionen decken. In einer dritten, institutionellen Bedeutung wird der Begriff der
Regionen verwendet, um die direkt unterhalb der nationalen Ebene und zugleich über der lokalen
Ebene eingerichteten Gebietskörperschaften von Regionalstaaten bzw. dezentralisierten
Einheitsstaaten den in ein bundesstaatliches Verfassungsgerüst eingebetteten Gliedstaaten
gegenüberzustellen. Regionen verfügen über eine selbst legitimierte, und also nicht von der nationalen Regierung eingesetzte Regierung und ein gewisses Maß an eigenständig auszuführenden Kompetenzen. Ihnen fehlen aber unter formellen Gesichtspunkten einige der Merkmale, die Gliedern
eines Bundesstaates zugeschrieben werden, insbesondere die "Eigenstaatlichkeit", oder etwa die
Kontrolle über Modifikationen der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung, die Mitwirkung an der nationalen Gesetzgebung, die Zusicherung des Subsidiaritätsprinzips, die Verfassungsautonomie, die Finanzhoheit bzw. ein kooperatives System des Finanzausgleichs. Während aus dieser Sicht innerhalb von EG-Mitgliedstaaten derzeit nur die deutschen Länder als Gliedstaaten klassifiziert werden, trifft die Qualifikation als Region - mit unterschiedlich ausgeprägten Defiziten - für die italienischen Regioni und die spanischen Comunidades Autónomas zu, in gewisser Weise auch für die französischen Régions und die niederländischen Provinzen, die allerdings über keine eigenen
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Gesetzgebungskompetenzen verfügen. Belgien, das neben drei (wirtschaftlichen) Regionen auch drei mit diesen nicht deckungsgleiche (kulturelle) Gemeinschaften aufweist, wird hingegen (etwa von
Delmartino) als System sui generis zwischen Regional- und Bundesstaaten eingeordnet.^ Die sub
nationalen Institutionen der übrigen Mitgliedsstaaten erfüllen in diesem Sinne hingegen überhaupt nicht oder nur ansatzweise die Kriterien einer Region.
Auf einer solchen Differenzierung von Gliedstaaten und Regionen besteht insbesondere der "Mainstream" der verfassungsrechtlichen Föderalismusansätze, wenngleich "Unschärfen" von Bundesstaatskriterien und strukturelle Ähnlichkeiten in allen Formen von dezentralisierten Systemen eingeräumt werden.^ Würde hier einer solchen Auffassung gefolgt, wäre es also ein Widerspruch,
4) Einen Überblick über den institutionellen "Regionalisierungsgrad” in den EG-Mitgliedsstaaten gibt: Christian ENGEL/Wolfgang WESSELS (1990), Die Regionen in der EG. Endbericht. Bonn (Institut für Europäische Politik); zu den Regionalisierungstendenzen in den letzten zwei Jahrzehnten vgl. insbes. Roger MORGAN (1986), Regionalism in European Politics. London (Policy Studies Institute); Yves MENY (1982), Pix ans de regionalisation en Europe: Bilan et perspectives (1970-19801 Paris; Yves MENY/Vincent WRIGHT (Hg.), Centre-Peripherv Relations in Western Europe. London (George Allen); R.A.W. RHODES/V. WRIGHT (1987), Tensions in the Territorial Politics of Western Europe. London (Frank Cass); Roben PUTNAM/Robert LEONARDI/Raffaella Y. NANNETTI (1985), La pianta e le radici. Il radicamento dell' istituto regionale nel sistema politico italiano. Bologna (Il Mulino); mit weiteren Verweisen.
5) Frank DELMARTINO (1988), Regionalisation in Belgium, in: European Journal of Politicai Research, vol. 16/4: 391
6) vgl. u.v.a. Michael BOTHE (1977), Die Kompetenzstruktur des modernen Bundesstaates in rechtsvergleichender Sicht. Berlin (Springer): lOf; FRENKEL (1986); Christian TOMUSCHAT (1973), Italien als Regionalstaat. Zur Errichtung der Regionen mit Normalstatut, in: Die Verwaltung, Bd. 6: insbes. 169; zu verschiedenen Ansätzen der Föderalismusforschung unter dem Blickwinkel regionaler Beteiligung siehe auch Kapitel II
die österreichischen Länder - denen die formellen Eigenschaften von Gliedstaaten zuerkannt werden^ • hinsichtlich ihrer innerstaatlichen Stellung unter die Kategorie der Regionen zu subsumieren.
* Im Kontext der Gemeinschaftspolitik beruht die Unklarheit und zugleich die Notwendigkeit zur Vereinheitlichung des Regionsbegriffs auf der mangelnden Definition sub-nationaler Institutionen im primären Gemeinschaftsrecht. Im Gegensatz zu Verfassungen eines dreigliedrigen Bundesstaates, die eine prinzipielle Anordnung der institutionellen Ebenen im Binnenbereich des Gesamtstaates vornehmen und ihnen rechtliche Ressourcen und Aufgaben zuweisen und voneinander abgrenzen, nimmt das EG-Primärrecht auf die interne Gliederung der Mitgliedsstaaten keinen Bezug. Während Regionen zwar im Rahmen der EG-Regionalpolitik als Objekte in Erscheinung treten, werden sie als institutioneile Akteure erstmals im Vertrag zur Politischen Union in Zusammenhang mit der Besetzung des Ausschusses der Regionen (s.u.) bezeichnet, ohne daß allerdings ihre Merkmale bestimmt werden.
Das bedeutet einerseits, daß sub-nationale Institutionen - wie noch ausgeführt wird - konstitutionell kein Mitentscheidungsrecht im Entscheidungssystem der EG zukommt. Andererseits werden ihre eigenen Kompetenzbereiche gemeinschaftsrechtlich nicht geschützt. Auch das durch den Vertrag zur
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Politischen Union in Art. 3b EWG-Vertrag einzufügende, allgemeine Subsidiaritätsprinzip - dessen praktische Wirksamkeit noch nicht absehbar ist - stellt nur auf das "bessere" Erreichen von Zielen durch Maßnahmen "auf Gemeinschaftsebene" oder solchen "auf der Ebene der einzeln handelnden Mitgliedsstaaten" ab. Die Verankerung eines Subsidiaritätsprinzips war eine vitale Forderung der europäischen Regionen und wurde von ihnen auch in der nun gewählten Formulierung prinzipiell begrüßt. Eine Rückwirkung für Zuständigkeiten der regionalen Ebene kann damit jedoch nur indirekt - über gleichzeitige Subsidiaritätsbestimmungen im Verhältnis von regionaler und nationaler Ebene in der innerstaatlichen Rechtsordnung • erzielt werden. Das Gemeinschaftsrecht versagt sub-nationalen Institutionen zudem Rechtsbehelfe vor dem Europäischen Gerichtshof, um ein rechtswidriges Handeln oder Unterlassen von Organen der EG, das Angelegenheiten ihrer Kompetenzbereiche berührt, einzuklagen. Ihnen stehen nur - wie jeder natürlichen oder juristischen Person - Nichtigkeits und Untätigkeitsklagen nach Art. 173 Abs. 2 bzw. Art. 175 Abs. 3 EWG-Vertrag zu, sofern eine unmittelbare und individuelle Betroffenheit gegeben ist. Forderungen der Dachverbände europäischer Regionen, eine generelle Klagslegitimation der Regionen im Rahmen der Politischen Union einzufügen, scheiterten.
7) siehe Kapitel IV
8) Schluß des Vorsitzes Edinburgh;.... zun Subsidiaritätsprinzip generell und seiner bisherigen Rolle in der EG vgl. u.a. Renaud DEHOUSSE (1988a), Completing the Internal Market: Institutional Constraints and Challenges, in: R. Bieber et al (Hg.), 1992: One European Market? A Critical Analysis of the Community's Internal Market Strategy, Baden-Baden (Nomos), 311-336; Vlad CONSTANTINESCO (1990), Subsidiarität: Zentrales Verfassungsprinzip fur die Politische Union, in: Integration 13. Jg., 165-178; Franz-Ludwig KNEMEYER (1990), Subsidiarität - Föderalismus r Dezentralisation. Initiativen zu einem "Europa der Regionen", in: Deutsches Verwaltungsblatt, 105. Jg. H .9 ,449-454; Wolfgang MEDERER (1991a), Das Subsidiaritätsprinzip und die EG. in: Ecolex 1991: 513 ff; Marc WILKE/Helen WALLACE (1990), Subsidiarity; Approaches to Power-Sharing in the European Community. London (RIIA);
jedenfalls festgestellt werden: Die Einbindung der sub-nationalen Ebene in die EG entspricht derzeit keinesfalls Kriterien,*® die ein Vorhandensein eines dreistufigen Bundesstaates anzunehmen erlauben. Aus der Perspektive des EG-Primärrechtes werden die Mitgliedstaaten vielmehr - unabhängig von ihrem jeweiligen verfassungsrechtlichen Aufbau - gleichsam als Einheitsstaaten betrachtet.**
Wenn die sub-nationalen Institutionen der EG-Mitgliedsstaaten nicht mehr nur im nationalen Kontext sondern gleichzeitig auch in ihrem Verhältnis zur Ebene der Gemeinschaftsinstitutionen untersucht werden, ist deshalb die verfassungsrechtliche Sonderstellung von Gliedstaaten zu relativieren, da sie ihnen direkt gegenüber der EG nicht zukommt. Gerade ein solcher Vergleich, der in dieser Arbeit der Analyse "regionaler Einflußnahme" unterliegt, verlangt also - wie in Kapitel II ausgeführt wird - einen Ansatz territorialer Systeme, der nicht auf bundesstaatliche Bedingungen abstellt, sondern diese nur als eine besondere Ausbildung der rechtlichen Dimension der politischen Beziehungen quer über territoriale Ebenen erkennt, deren Machtverhältnis jedoch mehrdimensional bestimmt wird. Dadurch verwischen sich jedoch die Grenzziehungen zwischen Typen dezentralisierter Systeme. Dies wird insbesondere vom - in Kapitel II angelegten - Territorial Politics-Ansatz betont, hat aber selbst in rechtswissenschaftlichen Konzeptionen Eingang gefunden:
Si 1' on renonce ainsi aux critères de différenciation proposés dans de nombreuses analyses constitutionelies (participation des entités féderées au gouvernement de la fédération, garantie constitutionelle de leur existence, m aîtrise des compétences résiduaires, absence de tutelle, etc.), c' est mieux mettre en lumière le fait que fédéralisme et régionalisme • pour autant que 1' on puisse opérer une distinction nette entre ces deux concepts - font partie d'un continuum qui va de la centralisation de l ' état unitaire à des formes très poussées de décentralisation. ~
Dementsprechend wird im Rahmen dieser Arbeit der Begriff L a n d - bezogen auf den österreichischen und deutschen Fall - jeweils als spezifische Ausprägung der innerstaatlichen Stellung einer - zuvor in ihren Mindestbedingungen definierten - europäischen Region verstanden.
9) zu dieser Diskussion vgl. grundlegend u.a. Michael BURGESS (1989), Federalism and European Union: John PINDER (1986), European Community and nation-state: a case for neo-federalism?, in: International Affairs; Fritz W. SCHARPF (1985), Pie Politikverflechtungsfalle: Europäische Integration und deutscher Föderalismus im Vergleich, in: Politische Vierteliahresschriften. 26. Jg.. 323-356: William WALLACE (1983), Less than a Federation, more than a Regime, in: Wallace/Wallace/Webb (1983); aus der Perspektiven der "Maastrichter Verträge*' vgl.:
10) Zu verschiedenen Ansätzen von Bundesstaatskriterien siehe Kapitel II
11) vgl. insbes. Franscesc MORATA (19861 Autonomie Regionale et Integration Européenne: L' Espagne face aux Expériences Italienne et Allemande. Diss. iur. Institut Universitaire Européen, Florenz
12) Renaud DEHOUSSE (1988), Fédéralisme et relations internationales: Une réflexion comparative. Florenz (PhD. Diss. IUE): 11 ff; eingeführt in juristischen Ansätze wurde dieses Konzept eines Kontinuums durch W J.M . MACKENZIE (1966), Federalism and Regionalism, in: Modern Law Review, vol. XIV, 15-33
- Wie in Kapitel II begründet wird, wird eine Region (Land) im hier gewählten Ansatz nicht als einheitlicher Akteur, sondern als territorial definierter Akteursraum - bestehend aus mehreren, interagierenden regionalen Akteuren (Landesakteuren) - aufgefaßt, die über unterscheidbare Interessen und Ressourcen, insbesondere auch über unterschiedliche Beziehungen zur nationalen Akteursebene verfügen. Als regionale Akteure werden in diesem Sinne die regionalen Regierungen, die regionalen Verwaltungen und die regionalen Parlamente sowie die dieser Institutionenebene zugeordneten (Organisationseinheiten von) politischen Parteien und funktionalen Interessengruppen verstanden.
- Ausgehend von dieser Konzeption werden entgegen der irreführenden Vorstellung eines Gesamtinteresses der Region - nur jene Interessen als regionale Interessen (Landesinteressen) bezeichnet, die jeweils aktuell von der dominanten Koalition eines
regionalen Akteurs bzw. von Koalitionen mehrerer regionaler Akteure gegenüber
Politikformierungsprozessen auf einer territorial höher liegenden Ebene ausgebildet werden.
Einen einheitlichen Regionsbegriff im Kontext der Gemeinschaftspolitik zu verwenden, empfiehlt sich aber nicht nur aus einem analytischen Blickwinkel. Vielmehr wird dies auch durch die politische Strategie der europäischen Regionen vorgezeichnet. Dies läßt sich erklären, wenn als nächstes nach den Gründen gefragt wird, weshalb die Regionen in der EG-Politik in den letzten Jahren forciert nach Mitwirkung verlangen.
1.1.2. STRUKTURELLE UND MATERIELLE PARTIZIPATIONSFORDERUNGEN DER REGIONEN ALS REFLEX EUROPÄISCHER INTEGRATION
Die derzeitige Entwicklung des Verhältnisses von Regionen und EG weist auf eine Verdichtung ihrer Interdependenzen hin, wie sie in ähnlicher Weise innerhalb des Nationalstaates im Zuge der Ausbildung des interventionistischen Wohlfahrtsstaates hervortrat. Der Übergang von govemment at
the centre zu nationwide govemment hatte das Zusammenwirken sub-nationaler und nationaler
Akteure erhöht und so die dualpolity-Hypothese einer strikten Scheidung von high politics auf der zentralstaatlichen Ebene und low politics auf den Regierungsebenen der Peripherie verstärkt als
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unhaltbar ausgewiesen. Dementsprechend hat sich innerhalb der EG seit ihren Anfängen und beschleunigt seit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) von 1987 die Reichweite von Gemeinschaftspolitiken, die unter verschiedenen Gesichtspunkten wesentlich in Interessenbereiche regionaler Akteure hineinregieren, intensiviert. Deshalb gehen die Regionen davon aus, daß die Mitwirkung der Mitgliedsstaaten an der Politik der EG nicht als Außenpolitik - wie sie der formelle Standpunkt aller Mitgliedsstaaten ausweist -, sondern als Teil der Innenpolitik aufzufassen sei. Diese
13) vgl. Richard ROSE, From Government at the Centre to Nationwide Govemment. in: Meny/Wright (1985), 13-32. Die Dual-polity-These wurde im Kontext des amerikanischen Bundesstaates entwickelt (vgl. K.C. WHEARE (1953), Federal Government. Oxford (Oxford UP) • siehe auch Kapitel II.) Sie entsprach jedoch nicht einmal dieser historischen Realität. So haben die Arbeiten von Grodzins und Elazar auf komplexe Kooperationsformen zwischen den Staaten und Bund seit den Anfängen der USA hingewiesen, vgl. Morton GRODZINS (1969), The American System, hg. von Daniel Elazar, Chicago (Rand Mc Nally), insbes. Chapter 2.
Der Gesamtkomplex der gemeinsamen Politiken der Europäischen Gemeinschaft kann nicht als "auswärtige Beziehungen" im Sinne des klassischen Völkerrechts eingestuft werden, weshalb es
14 angebracht ist, sie nicht ausschließlich der Zuständigkeit der Staaten zuzuweisen.
Betrachtet man die Forderungen nach regionaler Mitwirkung, fällt zunächst ein Widerspruch auf: Einerseits stellen die Regionen gemeinsame Forderungen an die Gemeinschaft. Andererseits begründen sie diese gerade mit ihren unterschiedlichen, regionalen Problemlagen.
Um dies zu erklären ist eine Unterscheidung zwischen strukturellen und materiellen Partizipationsforderungen regionaler Akteure zu treffen. Während strukturelle Forderungen auf den Erhalt bzw. den Ausbau regionaler Machtressourcen*^ zielen, sind materielle Forderungen darauf aus, diese Machtressourcen einzusetzen, um die Inhalte von Gemeinschaftspolitiken entsprechend den rechtlichen, sozio-ökonomischen, politischen und ökologischen Bedingungen in der Region zu beeinflussen.*^
a) Strukturelle Partizipationsforderungen - Horizontale Gemeinsamkeiten
Die strukturellen Partizipationsforderungen der Regionen gründen in der Einschränkung ihrer innerstaatlichen Machtresourcen durch den fortschreitenden Integrationsprozeß. Ein Aspekt davon ist die Bindung ihrer Gesetzgebungsgewalt und ihrer autonomen oder delegierten Vollziehungskompetenzen durch EG-Rechtsetzung. Zudem verlieren regionale Akteure aber auch in dem Maße an Einfluß, in dem sie - formell oder informell - nationale Politiken mitbestimmten und diese in EG-Domäne übergehen.
Diese Eingriffe gehen bei dem schon erreichten Entwicklungsstand des Gemeinschaftsrechts immer weniger von einer Änderung des Primärrechts durch die Mitgliedsstaaten, sondern vielmehr von einer Verdichtung des Sekundärrechts durch die Gemeinschaftsorgane aus.*^ Wie zuvor angedeutet, bietet das Gemeinschaftsrecht keine Absicherung regionaler Kompetenzen gegen diese dynamische Ausdehnung der EG-Politiken. Die Beteiligung an deren Formierung wird deshalb für die Regionen einerseits virulent, um die bereits eingetretenen Verluste angestammter Ressourcen durch neue Einflußressourcen zumindest partiell auszugleichen. Ziel ihrer Mitwirkung ist aus dieser Warte andererseits, sich eine kontrollierende Schrankenwärterrolle zu verschaffen, um weitere Eingriffe der Gemeinschaftspolitik in Kernbereiche regionaler Kompetenzen abzuwehren.
14) ABI. 1988, Nr. C 326, S. 296 ff
15) zur Konzeptentwicklung von Machtressourcen in territorialen Beziehungen siehe Kapitel II
16) zur Kategorisierung der Gründe und Ziele regionaler Partizipation in der EG vgl. auch HULL/RHODES (1977) 17) Siegfried MAGIERA (1988), Einführung, in: Magiera/Meiten (1988): 15
institutioneilen Eigeninteressen der regionalen Institutionen und entstehen - das darf nicht übersehen werden • unabhängig davon, inwieweit die Gemeinschaftspolitiken auch ohne deren Mitwirken Auswirkungen erzeugen, die spezifische Interessen in der Region (z.B. eine Stärkung der Wettbewerbsposition von Unternehmen der Region) befriedigen.
* Wie bereits angedeutet, besitzen die Regionen in den einzelnen Mitgliedsstaaten höchst unterschiedliche rechtliche, finanzielle, politische und organisationelle Resourcen. Zumindest hinsichtlich der drei letztgenannten Dimensionen bestehen auch zwischen den Regionen ein und desselben Staates Ungleichgewichte. Im europäischen Vergleich werden deshalb die Regionen einerseits durch EG-Rechtsetzung verschieden stark in ihren Machtressourcen beschnitten und verfügen andererseits gegenüber ihren nationalen Regierungen über ungleich starke Machtpotentiale, um eine Beteiligung an der Formierung von Gemeinschaftspolitiken durchzusetzen.
* Trotz dieser Differenzen sind strukturelle Partizipationsforderungen, die auf eine Stärkung der regionalen Ebene in der EG abzielen, unter den Regionen nicht prinzipiell widersprüchlich. Die formelle Verankerung einer Beteiligung an der EG-Politik der nationalen Regierung erhöht - wenngleich in der Praxis ungleich stark - die Einflußchancen aller Regionen eines Staates und wird so zu deren gemeinsamer Forderung. Eine Konstruktion von Gemeinsamkeit ist nachgerade Voraussetzung einer den Regionen durch Gemeinschaftsrecht unmittelbar zugestandenen Mitwirkung im Entscheidungssystem der EG. Sie erfordert eine auf alle Mitgliedsstaaten bezogene Regelung und also die Zustimmung aller nationalen Regierungen. Gleiches gilt für die bereits genannten defensiven Ansprüche einer Verankerung einer generellen Klagslegimation der Regionen vor dem Europäischen Gerichtshof oder des Subsidiaritätsprinzips.
* Diese Ausgangsbedingung stellt die im Vergleich der EG-Regionen stärksten deutschen Länder vor ein Dilemma: Aufgrund ihrer weitreichendsten Gestaltungsmöglichkeiten stellt sich für sie die Gefahr von Einbrüchen darin relativ am stärksten. Sie befürchten eine zunehmende Aushöhlung ihrer im bundesstaatlichen Kontext erworbenen Sonderstellung, die sie im Sinne einer "Nivellierung nach unten" zusehends an die Rolle anderer EG-Regionen als bloße, "sub-nationale Verwaltungseinheiten"
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angleichen könnte. Um diese Entwicklung einzudämmen, können sie aber andererseits ihre im Föderalismus gegenüber dem Bund entwickelten Machtpotentiale nicht in gleichem Maße in eine direkte, institutionalisierte Mitwirkung auf europäischer Ebene umsetzen, weil die anderen Regionen als notwendige Verbündete über schwächere Einflußresourcen gegenüber ihren jeweiligen Zentralregierungen verfügen.
18) RA.W . RHODES (1986), European Policv Making. Implementation and Subcentral Governments. A Survev. Maastricht (EIPA): 35; Fritz W. SCHARPF (1990), Regionalisierung des europäischen Raums, in: von Alemann et al (1990): 32 ff
In diesem Kontext ist zu verstehen, wenn die deutschen Landesregierungen nunmehr - neben ihrer Identität als "eigenstaatliche Glieder" der Bundesrepublik - ein Selbstverständnis als
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"europäische Region" entwickeln, das sie als Ungleiche unter Gleiche gesellt. So sind in letzter Zeit die meisten deutschen Länder der Versammlung der Regionen Europas (VRE) beigetreten, die sie früher mit Skepsis betrachteten. In Parallelaktion zu dieser mobilisierte der bayerische Ministerpräsident die Konferenz "Europa der Regionen", in der inzwischen 38 der stärksten europäischen Regionen - unter anderem auch die meisten österreichischen Länder - Mitglieder
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sind. Die deutschen Länder stützen so die Plattform europäischer Regionen und homogenisieren die strukturellen Forderungen, wie die Kongruenz der zur Politischen Union aufgestellten Zielkataloge dieser Regionalverbände mit den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz der deutschen Länder bzw. des Bundesrates zeigt. In dieser Hinsicht muß hinzugefügt werden, daß erst die in den letzten Jahrzehnten erfolgte innerstaatliche Aufwertung der Machtstellung insbesondere der
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spanischen, belgischen und italienischen Regionen, die Grundvoraussetzung für ein gemeinsames Vorgehen europäischer Regionen schuf.
b) Materielle Partizipationsforderungen - Horizontale Konkurrenz
Diese Gemeinsamkeit der "regionalen Ebene" endet jedoch, sobald es nicht mehr um den Ausbau von Machtpotential und die Abwehr von Kompetenzeingriffen, sondern um die positive Beeinflussung
23 der Inhalte einzelner Gemeinschaftspolitiken geht.
* Regionen treten hier einerseits als Vermittler von Interessen ihrer territorialen Basis auf, um im Hinblick auf die regionalen Standortbedingungen von Unternehmen, die Qualität der regionalen Ökologie, die regionalen Agrarstrukturen, das Forschungsvolumen von Universitäten der Region etc. eine vorteilhafte Definition von EG-Politiken zu erreichen. Der Inhalt und die Intensität materieller Partizipationsforderungen hängt einerseits von der potentiellen territorialen Relevanz einer Gemeinschaftsinitiative ab. Inwiefern regionale Institutionen als Vertreter dieser Interessen auftreten, wird andererseits durch den inhaltlichen Zusammenhang zu ihren eigenen Politikdomänen und
-20) HANEKLAUS (1991): 296f
21) vgl. Michael BORCHMANN (1990), Konferenzen "Europa der Regionen" in München, und Brüscl. in: Die Öffentliche Verwaltung H.20, 879-882; Michael BORCHMANN (1991), Doppelter Föderalismus in Europa. Die Forderungen der deutschen Länder zur Politischen Union, in: Europa-Archiv, Folge 11, 340-348; Gisela MÜLLER BRANDECK-BOUQUET (1991), Ein föderalistisches Europa? Zur Debatte über die Födcralisicrune und Regionalisierung der zukünftigen Europäischen Politischen Union, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 45/91,13-25 22) vgl. die in FN 4 angegebene Literatur sowie die dortigen Verweise
23) Caroline BRAY/Roger MORGAN (1985), The European Community and Central-Local Government Relations, A Review. London (Economic and Social Research Council): 24f; RHODES (1986)
teilweise über diese hinausgehend - durch die Erwartungen bestimmt, die ihnen von den sie legitimierenden politischen Akteuren und Wählern gestellt werden.
* Über ihre Vermittlungsfunktion hinaus, werden aber auch die materiellen Partizipationsforderungen regionaler Akteure durch ihre institutioneilen Eigeninteressen bestimmt.
- Gemeinschaftspolitiken setzen zunehmend - wie weiter oben angesprochen - direkte Schranken, aber auch indirekt die Umfeldbedingungen, in denen die Politik der regionalen Ebene
ausgebildet wird, ln besonderer Weise wird dies beispielsweise im Rahmen der EG-Regionalpolitik vorgezeichnet, wenn gemeinschaftliche Förderungsmaßnahmen von zusätzlichen Leistungen der regionalen Institutionen abhängig gemacht werden.
• Da der Großteil gemeinschaftlicher Politik der Umsetzung in innerstaatlichem Recht bedarf, bedeutet deren Verdichtung in Politikbereichen, die regionale Kompetenzen berühren, daß regionale
Institutionen deren Implementierung übernehmen, wenngleich die gemeinschaftsrechtliche Verantwortlichkeit für die ordnungsgemäße Durchführung jedoch bei der nationalen Regierung verbleibt. Daraus entsteht den regionalen Institutionen ein Interesse insbesondere auch daran, durch eine Beteiligung in der Phase der Politikformierung nachfolgende Implementationsprobleme zu antizipieren.
* Territorial ungleichgewichtige Auswirkungen und also eine Interessenkonkurrenz zwischen (einigen) Regionen sind im (re)distributiven EG-Förderungsbereich besonders offensichtlich. So werden beispielsweise an einer Erhöhung der Mittel nach Ziel 2 des Regionalfonds (EFRE) nur jene Regionen interessiert sein, die forderungswürdige Gebiete mit industriellem Niedergang aufweisen. Es ist jedoch hervorzuheben, daß territoriale ungleichgewichtige Folgen nicht auf die EG-Regionalpolitik beschränkt sind, sondern daß die regionalpolitischen Kohäsionsziele vielmehr durch
24 die anderen sektoralen Gemeinschaftspolitiken in nachhaltiger Weise konterkariert werden. Auch in regulativen Politiken - beispielsweise im Umwelt- oder Verkehrsbereich - erzeugt die auf Gemeinschaftsebene getroffene Lösung ökonomischer oder ökologischer Verteilungsprobleme deutliche Disparitäten auf der territorialen Dimension.
Es ist insofern festzuhalten, daß allfällige Interessenkoalitionen zwischen einzelnen Regionen auf der Ähnlichkeit ihrer sozio-ökonomischen, rechtlichen, politischen oder ökologischen Bedingungen beruhen, und eben nicht durch die Zugehörigkeit zu einer "Regierungsebene" vorbestimmt sind. Konfliktlinien zwischen Regionen können deshalb auch quer zu nationalen Grenzen verlaufen.
24) vgl. dazu Rolf Jürgen GROTE (1990), The Regional Impact of Sectorial Community Policies: Problems of Reconciling Cohesion with Compctiveness. Report submitted to DG XVI of the Commission of the EC by the "Regions and the European Community Project” (European University Institute) Florenz mit reichhaltigen Literaturverweisen.
1.1.3. EINFLUSSKANÄLE REGIONALER INSTITUTIONEN IN DER EG - ERSTER ÜBERBLICK
Betrachtet man nun die institutioneilen Arrangements auf Gemeinschaftsebene steht diesen Beteiligungsansprüchen der Regionen ein Mangel ihrer unmittelbaren, formellen Mitwirkungsmöglichkeiten auf der Ebene der EG-Entscheidungsprozesse gegenüber.
* Ein Organ, das Regionen auf Gemeinschaftsebene einbindet, wurde erstmals im Jahre 1988 mit dem bei der EG-Kommission eingerichteten Beirat der regionalen und lokalen
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Gebietskörperschaften geschaffen. Entgegen voreiligen Interpretationen, die darin einen nachhaltigen Wandel im Policy-system der EG erblickten, werden seine realen Einflußchancen
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nach inzwischen mehr als dreijähriger Praxis als marginal eingestuft. Dies gründet zunächst darin, daß er nur auf Wunsch der Kommission in Fragen der regionalen Entwicklung, insbesondere der Ausarbeitung und der Durchführung der EG-Regionalpolitik, einschließlich der regionalen und lokalen Auswirkungen der anderen sektoralen Politiken, unverbindlich konsultiert werden kann. Von seinen 42 Mitgliedern, wird nur die Hälfte mit regionalen Vertretern, die andere Hälfte mit Repräsentanten lokaler Gebietskörperschaften besetzt. Deshalb haben nur sehr wenige Regionen direkten Zugang zu den Beratungen des Beirates. Dies erweist sich deshalb problematisch, da gerade im Rahmen redistributiver Politiken wie der EG-Regionalpolitik zwischen Regionen mit unterschiedlichen Entwicklungsniveaus und Entwicklungschancen (auch innerhalb eines Mitgliedsstaates) typischerweise konfligierende Interessen vorliegen. Zudem drückt die Funktion des Beirates als gemeinsames Gremium der regionalen und kommunalen Vertreter (die zwar in je einer eigenen Kammer zusammentreten) eine Nivellierung der Interessenvertretung sub-nationaler Institutionen aus, die insbesondere der Stellung starker Regionen, wie der deutschen Länder, nicht gerecht wird.
* In Hinblick auf die Regierungskonferenzen der Jahre 1990/91 haben die europäischen Regionen deshalb vor allem Forderungen nach einem stärkeren Regionalorgan auf Gemeinschaftsebene vorgebracht, deren Minimalvariante sich - vor allem mit der Unterstützung der deutschen und der belgischen Regierung - durchgesetzt hat. Tritt der Vertrag zur Politischen Union in Kraft, so ist nunmehr die Bildung eines Ausschusses der Regionen vorgesehen. Dessen Entstehung, Struktur und Entwicklungsperspektiven werden in Kapitel III näher dargestellt. Wenn dabei
25) Beschluß der Kommission vom 24. Juni 1988, ABI. 1988, Nr. L 247, S. 23 ff; ausführlicher zum Beirat vgl. u.a. EUROPEAN PARLIAMENT, Committee on Regional Policy and Regional Planning (1988), Report 6 on the maior topic The Community's regional policy and the role of the regions': Relations bctwecn_the Community Institutions and regional and local authorities (Rapporteur: V. Arbeloa Muru), EP DOC A 2-0218/88/Part B: 82 f; Wolfgang BURTSCHER (1990), EG-Beitritt und Föderalismus. Auswirkungen eines EG-Beitrittes auf den bundesstaatlichen Aufbau Österreichs. Wien (Braumüller): 92ff; GRÖßE-SENDER (1990): 126 f; jeweils mit weiteren Verweisen
26) z.B. Robert LEONARDI/Raffaela Y. NANETTI H990al Emilia-Romagna and Europe: a case study of regional transformation in praration for the Single Market, in: Leonardi/Nanetti (1990): 1
argumentiert wird, daß dieser Regionalausschuß wesentliche Impulse zur transregionalen Kooperation setzen dürfte, die indirekt die Handlungslogiken regionaler Vertretung in der EG verändern könnten, so muß hier doch vorweg festgehalten werden, daß er aufgrund der formellen Unverbindlichkeit seiner Stellungnahmen und seiner heterogenen Zusammensetzung zumindest den Interessen der stärkeren Regionen kurzfristig keine wesentliche Ausweitung ihrer Durchsetzungschancen eröffnen dürfte.
Insofern ist der mit dem Schlagwort eines "Europa der Regionen" verknüpfte Eindruck einer "Regionalisierung" der EG weiterhin differenziert zu betrachten, als sie im EG-Entscheidungsprozeß nicht formell zum Ausdruck kommt. Gerade aufgrund des Mißverhältnisses zwischen der ansteigenden Bedeutung der regionalen Akteure für die Durchführung der EG-Politiken sowie der EG-Politiken für die regionalen Akteure einerseits und andererseits ihrer fehlenden Mitspracherechte auf der Ebene der EG-Institutionen, wird für sie der Aufbau alternativer Einflußkanäle aus den Regionen besonders virulent.
Dabei sind zwei prinzipielle Möglichkeiten zu unterscheiden: Mittels direkter informeller Beziehungen zu EG-Institutionen kann eine Berücksichtigung spezifischer regionaler Interessen angestrebt werden, während Gemeinschaftsinitiativen in der EG-Kommission geformt werden. In der daranknüpfenden Ratsphase des EG*Entscheidungsprozesses können regionale Akteure typischerweise nur indirekt mitwirken, indem sie innerstaatlich auf formellen oder informellen Kanälen auf die Positionierung der nationalen Regierung zu EG-Politiken Einfluß zu nehmen versuchen. Entsprechend des relativ schwachen institutioneilen Gewichts des Europäischen Parlaments besitzt dieses - im Vergleich zur EG-Kommission und den nationalen Regierungen • auch als Adresse regionaler Einflußversuche einen geringeren Stellenwert.
Den nationalen Regierungen der Mitgliedstaaten kommt insofern die Rolle von "Schrankenwärtern" zwischen regionalen Akteuren und EG-Entscheidungsprozessen zu. Sie legen formell fest, ob und in welcher Weise sie die von regionalen Institutionen vertretenen spezifischen Interessen in den Verhandlungen der Arbeitsgruppen und Ausschüsse des Rats, im Ausschuß der Ständigen Vertreter und schließlich im Rat selbst einbringen und vertreten. Sie können zudem die direkten, informellen Einflußversuche regionaler Akteure gegenüber EG-Institutionen fördern oder behindern. Nationale Regierungen, wurde festgestellt, "jealously guard their 'hot line' to the Community institutions”
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gegenüber dem Zugang sub-nationaler Akteure.
Deshalb jedoch die Einflußpotentiale regionaler Institutionen in der Gemeinschaftspolitik als ein durch die nationale Regierung allein verfügbares, einseitiges "Geschenk" zu betrachten - wie
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manchmal behauptet wird scheint jedoch eine unbefriedigende Erklärung. Es stellt sich vielmehr
28) BRAY/MORGAN (1985): 3
29) siehe z.B. Ulrich GOLL (1989), Vier Thesen zur Beteiligung der Landesparlamente am EG-Entscheidunesprozeß. in: Zeitschrift für Parlamentsfragen H. 4.: 588
die Frage, "was sie bewegt", ihr Einflußmonopol im Rat zu teilen bzw. ihre "Zügel" über regionales Lobbying bei Gemeinschaftsorganen zu lockern oder dieses gar zu unterstützen.
Die Relativität der "Schrankenwärterrolle" wird offensichtlich, da die Einflußstrukturen und -chancen "regionaler Interessen" in den einzelnen Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich ausgebildet sind.^ Die deutschen Landesregierungen haben im Vergleich zu anderen Regionen ihre EG- Beteiligungsstrukturen mit Abstand am stärksten entwickelt. Dies gilt sowohl für ihre in den letzten Jahren verdichteten, direkten Beziehungen zur Kommission, die sich insbesonders auf die Vermittlung von Länderbüros in Brüssel stützen, als auch für die Einbeziehung ihrer Standpunkte in die nationale Willensbildung und die Teilnahme von Landesvertretern in den deutschen Delegationen zu Gemeinschaftsgremien. Während die meisten europäischen Regionen über überhaupt keine
formellen Beteiligungsansprüche verfügen, sind die deutschen Länder die einzigen, die über
umfassende Stellungnahmerechte verfügen, die im Falle ihrer ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen die nationale Verhandlungsposition sogar binden können. Dieses Verfahren, dessen Funktionsbedingungen in Kapitel III dargestellt werden, wurde im Ratifikationsgesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte von 1987 (EEAG) auf Gesetzesebene verankert.
Um diese Unterschiede zu erklären, ist eine Sichtweise anzulegen, die das Handlungssystem der EG als eine "tryad of intergovernmental relations" zwischen regionaler, nationaler und
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Gemeinschaftsebene versteht, wobei die Beziehungen in jedem Mitgliedsstaat und für jede einzelne Region eine spezifische Ausprägung erfahren. Jeder Beziehungsstrang wird in beiden Richtungen
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durch mehr oder weniger ausgebildete Abhängigkeiten ” bestimmt.
- Einerseits ist die Einbindung regionaler Akteure in die Gemeinschaftspolitik insofern als Reflex der Machtabhängigkeiten im Verhältnis von nationaler und regionaler Politikebene aufzufassen. Das Gefälle zwischen der relativ ausgeprägten EG-Länderbeteiligung in der Bundesrepublik und dem Partizipationsmangel anderer EG-Regionen wird dabei nicht alleine aus deren verschiedener rechtlicher Kompetenzausstattung zu erklären sein. Es ist vielmehr anzunehmen, daß darüberhinaus verschiedenste politische und organisationelle Resourcen, insbesondere auch die Fähigkeit regionaler Akteure, ihre Organisationsstrukturen auf die Bedingungen der EG-Entscheidungsprozesse einzustellen, sowie die Spielregeln und der Aushandlungsstil (negotiation c l i m a t e der
30) für einen Überblick vgl. ENGEL/WESSELS (1990); sowie teilweise überholt EUROPEAN PARLIAMENT (1988); RHODES (1986): 34 ff; MORATA (1986): 203 ff
31) C. HULL/R.A.W. RHODES (1977), Inter-governmental relations in the European Community. Westmead (Saxon House): 1 ff. Die Betrachtung der vertikalen Ausdifferenzierung als Mehrebenensystem hat erst seit Ende der Siebziger Jahre verstärkt Eingang in die Integrationsforschung Eingang gefunden, vgl. u.a. auch BRAY/MORGAN (1985); HRBEK (1988): 127 ff; PUCHALA (1975): 519 RHODES (1986): 2.
32) zum Konzept von Machtabhängigkeiten siehe Kapitel II
33) Simon BULMER/Williara PATERSON (1987), The Federal Republic of Gemranv and the European Community, London (Allen & Unwin): 186
(innerstaatlichen) territorialen Politikbeziehungen zwischen regionaler und nationaler Ebene maßgeblich sind. Aus dieser Sicht erweist sich die Fragestellung nach den Entstehungsbedingungen und den Auswirkungen regionaler Partizipation also als ein spezifischer Aspekt des Abhangigkeitstheorems des Domestic politics-Ansatzes der Integrationsforschung:
The domestic politics approach postulates that the pattern of negotiations in each national policy sub structure sets the key in which the relevant national minister (and interest groups) will behave in the upper decisional tier. Thus, using the upper tier as a medium, the pattem of negotiations on EC issues at the domestic level of the member states determines the progress on individual policy issues and on integration in general. Negotiations at the Community level are between ten [nun: zwölf] dependent
34 variables and not between independent ones.
- Die Abbildung dieser Machtverhältnisse zwischen regionalen und nationalen Akteuren in der jeweiligen regionalen EG-Beteiligung ist jedoch nicht dem "freien Spiel" der innerstaatlichen Kräfte ausgesetzt, sondern steht umgekehrt in Abhängigkeit zu den Bedingungen des europäischen Entscheidungsprozesses. Diese Rücksichtnahme wird nicht nur von den nationalen Regierungen, sondern - wie in Kapitel III begründet - insbesondere auch von den Regionen selbst verlangt. Sie können die nationalen Positionen in der Interaktion mit den anderen Mitgliedsstaaten also nicht in derselben Weise binden, wie es ihnen (mit gleichem Machteinsatz) bei einer Entscheidung auf nationaler Ebene möglich wäre.
- Auch von Seiten der Kommission werden zusehends eigenständige Impulse gesetzt, in einigen Sektoren regionale Interessen bereits zu Beginn der Politikformierungsphase informell einzubinden. Diese Beziehungen sind jedoch wiederum zu einzelnen Regionen sehr unterschiedlich ausgeprägt, und weisen also auf spezifische Abhängigkeiten hin.
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So wird davon ausgegangen, daß die jeweilige Ausformung der "Schrankenwärterrolle" einer nationalen Regierung einerseits von den Regionen sowie andererseits auf Gemeinschaftsebene sowohl von der Interaktion zwischen den nationalen Regierungen der Mitgliedsstaaten als auch von der EG-Kommission mitbestimmt wird. Wessels hat in diesem Zusammenhang die These aufgestellt, daß sich die einzelnen Beziehungssysteme Länder - Bund, Bund • EG und Länder - EG immer mehr zu einem "magischen Dreieck" verdichten würden, in dem "jeder Akteur ... die Beziehungen zu einem Dritten ausbaut, um die eigenen Einfluß- und Handlungsmöglichkeiten gegenüber dem jeweiligen Kontrahenten zu stärken. Inwiefern diese Handlungslogiken der Realität entsprechen und welche strukturellen Anforderungen sich daraus ableiten, wird in Kapitel III näher untersucht.
34) Simon BULMER (1983), Domestic Politics and European Community Policy Making, in: Journal of Common Market Studies, voL XXI/4: 358
35) allgemein zur reziproken Abhängigkeit von "gate keepers” vgl. Michael CROZIER/Erhard FRIEDBERG (1980), Actors and Systems. The Politics of Collective Action. Chicago (The University of Chicago Press) (Original: L' acteur et le systime): 81
36) vgl. Wolfgang WESSELS (1986): Die deutschen Länder in der EG-Politik: Selbstblockicrung oder pluralistische Dynamik? in: Hrbek/Thaysen (1986): 181