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Deutschsprachige Literatur und Dramatik aus der Sicht der Bearbeitung. Ein hermeneutisch-ästhetischer Überblick

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Academic year: 2021

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Collana Labirinti n. 134 Direttore: Pietro Taravacci Segreteria di redazione: Lia Coen

© Dipartimento di Studi Letterari, Linguistici e Filologici Palazzo Verdi - Piazza Venezia, 41 - 38122 TRENTO Tel. 0461-281777-281753 Fax 0461 281751

http://www.lett.unitn.it/editoria/ e-mail: editoria@lett.unitn.it ISBN 978-88-8443-365-7

Finito di stampare nel mese di maggio 2011 presso la Tipografia Alcione (Trento)

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Deutschsprachige Literatur und

Dramatik aus der Sicht der

Bearbeitung:

Ein hermeneutisch-ästhetischer Überblick

a cura di Fabrizio Cambi e Fulvio Ferrari

Università degli Studi di Trento

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COMITATO SCIENTIFICO

Pietro Taravacci (coordinatore)

Università di Trento Mark Anderson Columbia University Andrea Comboni Università di Trento Max Siller Universität Innsbruck Paolo Tamassia Università di Trento

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INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG 7

KLAUS AMANN, der hirnen seyfrid ist gar vngelenck: Zur Bearbeitung des Rosengartens zu Worms in Vigil

Ra-bers Reckenspiel Max Siller zum 65. Geburtstag 9

FULVIO FERRARI, Die Nibelungen nach dem Sturm: Max

Mells christliche Interpretation des Nibelungenliedes 33 MARIA PIOK, Von der ‚comédie vaudeville‘ zur

satiri-schen Posse: Nestroys Bearbeitungen von

französi-schen Boulevardkomödien 47

ANDREA ROTA, Böhmen am Meer. Umschreibungen von Shakespeares Wintermärchen bei deutschsprachigen

Autoren der Gegenwartsliteratur 71

WOLFGANG HACKL, Und immer wieder „Regietheater“. Zur Theaterschelte Daniel Kehlmanns bei den

Salz-burger Festspielen 2009 87

WOLFGANG WIESMÜLLER, Poetische Mythisierungen im historischen Roman am Beispiel von Kaiser Friedrich I. Barbarossa: Adalbert Stifters Witiko und Umberto

Ecos Baudolino 111

DAVIDE BERTAGNOLLI, Hartmann von Aues Der arme

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RUTH ESTERHAMMER, Die Figurenzeichnung in der Wal-schen (Roman, Film, Dramatisierung) und in Schmerz der Gewöhnung vor dem Hintergrund von Joseph Zo-derers Ruf als Sachverständiger für kulturelle

Identi-tät, Multikulturalität und Völkerverständigung 147 ALESSANDRO FAMBRINI, „Nicht mehr bewinseltes Exil;

sondern das ersehnte Asyl“. Von Felsenburg zu

Tri-stan da Cunha: Umwandlungen einer Utopie 167

MARKUS ENDER, ‚Mortui vivos docent‘? Postmoderne Erzählstrategien und hermeneutische Aneignung in

Hubert Fichtes Roman Detlevs Imitationen Grünspan 187 STEFANO BERETTA, Wie der Pikaro nach Deutschland

kam. Zum Übertritt der spanischen Pikareske ins

Deutsche 205

FABRIZIO CAMBI, Die Bibel als Bearbeitungspotential am Beispiel Thomas Manns Tetralogie Joseph und seine

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EINLEITUNG

Der Sammelband stellt die Beiträge von Germanisten der Uni-versität Innsbruck und der UniUni-versität Trento zusammen, die im Dezember 2010 in Trento an der Tagung zum Thema Deutsch-sprachige Literatur und Dramatik aus der Sicht der Bearbeitung teilgenommen haben. Grundlage und Mittelpunkt der jeweiligen Aufsätze ist der Begriff der Be- und Überarbeitung von literari-schen Stoffen und Traditionen sowie von poetiliterari-schen Werken in ih-rer gattungsgeschichtlichen Entwicklung. Je mehr die Literatur in ihrer Zeitepoche wurzelt, um deren Darstellung sie durch eine poetologische Multiperspektivität bemüht ist, umso auffälliger und wiederkehrender ist das Eingreifen der Autoren in das Literaturgut der Vergangenheit, das durch Neubearbeitungen und Umschrei-bungen einen kommunikativen und hermeneutischen Prozess oft im Laufe von Jahrhunderten in Gang setzt und anstachelt. Durch das Anknüpfen an auch weit zurückliegende Kunstwerke wird der Literatur eine Kontinuität gewährleistet, deren thematische Ge-meinsamkeiten und Beziehungen wesentliche zeitbedingte Verän-derungen und ihren Funktionswandel veranschaulichen lassen. Die Bearbeitungsprozesse und -verfahren der Literatur scheinen doch die Zeitbedingtheit aufheben und sie in eine übergreifende und er-gänzende Dimension übertragen. Die Darstellbarkeit wichtiger bei-spielhafter literarischer Bearbeitungen und Adaptionen deckt einen Zeitbogen vom Mittelalter bis heutzutage. Denn bereits im Laufe des Mittelalters und der Frühmoderne wurden bekannte und schon verbreitete literarische Texte häufig erweitert, verkürzt, umge-schrieben oder für die Bühne adaptiert. Einerseits versicherte diese produktive Rezeption das Fortleben des Textes selbst, andererseits veränderte sie gelegentlich auch radikal ihre Bedeutung und ihre kommunikative Zielsetzung. Das ist der Fall der hier von Klaus Amann analysierten Texte: nicht nur ein alter, epischer Stoff wurde Ende des Mittelalters für die Bühne und für neue Adressaten bear-beitet, sondern in ihm enthaltene Lebensansichten und ideologi-sche Perspektiven wurden ins Lächerliche gezogen. Vielfältig sind übrigens die Motivationen, die die moderne und gleichzeitige Re-zeption der mittelalterlichen Werke bestimmen: Epen und Romane und manchmal auch lyrische Gedichte gelten oftmals als

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grün-dende Mythen einer neuen nationalen Identität und allgemein bekannt ist zum Beispiel der Missbrauch des Nibelungenliedes zu nationalistischen Zwecken während des neunzehnten und zwan-zigsten Jahrhunderts. Sie konnten aber auch als bekanntes kultu-relles Erbgut dazu dienen, eine Diskussion über die eigene Ge-schichte anzuregen beziehungsweise weiterzubringen, oder psy-chologische, existentielle, ja sogar soziale Fragen der Gegenwart auf eine verschiedene historische Ebene zu projizieren und auf die-ser Weise sie hervorzuheben.

Mit der heutigen Rezeption mittelalterlicher Literatur beschäfti-gen sich in diesem Band sowohl Fulvio Ferraris als auch Davide Bertagnollis Beiträge, während Wolfgang Wiesmüller im Rahmen eines laufenden Forschungsprojektes die mythisierte Übertragung von Kaiser Friedrich I. Barbarossa im historischen Roman unter-sucht hat. In der Theaterwelt gestalten sich der Tradition nach die geläufigsten und bedeutendsten Bearbeitungsmöglichkeiten. So be-fasst sich Maria Piok mit der Rezeption Nestroys französischer Boulevardkomödien, Andrea Rota rekonstruiert anhand Shakespeares Wintermärchen dessen Umschreibungen bei Franz Fühmann, Ingeborg Bachmann und Volker Braun. Wolfgang Hackl, ausgehend von Kehlmanns Festrede und zugleich „Theaterschelte“ bei den Salzburger Festspielen 2009, untersucht rückblickend den Begriff des Regietheaters als einer Kategorie, die der Geschichte des Theaters eng angehört. Zuletzt stellt Ruth Esterhammer durch die Gattungsverflechtung von Roman, Film und Dramatisierung Zöderers Die Walsche das Thema der kulturellen Identität in Südtirol zur Debatte.

Die von Alessandro Fambrini untersuchten Umwandlungen Schnabels utopischer Landschaft auf der Insel Felsenburg und der Übertritt der spanischen Pikareske ins Deutsche, den Stefano Be-retta ausführlich darstellt, kennzeichnen weitere wichtige Re-zeptionskomplexe. Postmoderne Erzählstrategien zur Darstellung tragischer historischer Ereignisse wie des Bombenangriffes auf Dresden werden von Markus Ender am Beispiel Hubert Fichtes Romans Detlev Imitationen Grünspan analysiert. Der Band schlie!t mit dem Bearbeitungspotential der Bibel, das Fabrizio Cambi insbesondere mit Bezug auf Thomas Manns Josephromane nachprüft.

FABRIZIO CAMBI FULVIO FERRARI

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KLAUS AMANN

DER HIRNEN SEYFRID IST GAR VNGELENCK: ZUR BEARBEITUNG DES ROSENGARTENS ZU WORMS IN VIGIL RABERS RECKENSPIEL

MAX SILLER ZUM 65. GEBURTSTAG

1. Einleitung: Rosengarten und Reckenspiel als Satire auf die Heldenepen

Im Jahre 1511 zeichnete der Sterzinger Maler und Dramaturg Vigil Raber, dem wir die umfangreichste Sammlung geistlicher und weltlicher Spiele in Tirol verdanken,1 ein seltsames

Fastnacht-spiel auf: das sogenannte ReckenFastnacht-spiel.2 Es stammt – wie alle von

ihm überlieferten Stücke – nicht aus seiner Feder,3 sondern wurde

nach einer unbekannten Vorlage abgeschrieben. Bei dem Stück handelt es sich um die dramatisierte Fassung eines ‚aventiurehaf-ten‘ Dietrichepos, nämlich des Rosengartens zu Worms in der Fas-sung A, genauer gesagt: der Rosengarten A in der Überlieferung des gedruckten Heldenbuches, das um 1480 in Straßburg

1 Vgl. Linke, Hansjürgen: „Vigil Raber als Schreiber“. In: Vigil Raber. Zur 450. Wiederkehr seines Todesjahres. Akten des 4. Symposiums der Sterzinger

Osterspiele (25.-27. 3. 2002). Hg. von Michael Gebhardt und Max Siller. Inns-bruck 2004, S. 117-146.

2 „Das recken spil“. In: Fünfzehn Fastnachts-Spiele aus den Jahren 1510 und 1511. Nach Aufzeichnungen des Vigil Raber. Hg. von Oswald Zingerle.

Wien 1886, S. 146-164 (im Folgenden Reckenspiel). Eine Neuauflage mit Kommentar und Nachwort besorgte Bauer, Werner M. (Hg.): Sterzinger Spiele.

Die weltlichen Spiele des Sterzinger Spielarchivs nach den Originalhand-schriften (1510-1535) von Vigil Raber und nach der Ausgabe Owald Zingerles (1886). Wien 1982. Das Reckenspiel dort S. 9-26.

3 Vgl. aber Simon, Eckehard: „Die Fastnachtspielhefte: Vigil Raber als

Schreiber, Textbearbeiter, Dramaturg und Spielleiter“. In: Vigil Raber. Hg. von Gebhardt und Siller, S. 213-233. Simon gesteht Raber ein hohes Maß an eige-ner Bearbeitung zu.

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den sein dürfte.4 In der Forschung hat das Reckenspiel

verhält-nismäßig wenig Resonanz5 gefunden, was einerseits sicher an

sei-nen eher bescheidesei-nen literarischen Qualitäten liegt6 – die Reime

sind oft recht dürftig, die Figurenzeichnung eher holzschnittartig – doch dies ist keineswegs der einzige Grund für das Desinteresse, das dem Stück entgegengebracht wird. Für Sonja Kerth ist die Be-deutung der Fastnachtspiele „für die spätere Heldendichtung […] noch völlig unklar“.7

Das liegt zum Teil auch an der Vorlage: Es gab immer wieder Debatten, wie denn der Rosengarten selbst zu verstehen sei. Hel-mut de Boor hat schon 1959 festgestellt,8 dass es sich beim

4 Heinzle, Joachim: Art. „Heldenbücher“. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Begr. von Wolfgang Stammler, fortgeführt von

Karl Langosch. Zweite, völlig neu bearb. Aufl. hg. von Kurt Ruh zus. mit Gun-dolf Keil, Werner Schröder, Burghart Wachinger und Franz Josef Worstbrock. Bd. 3. Berlin, New York 1981, Sp. 947-956.

5 Die wichtigsten Arbeiten stammen von: Catholy, Eckehard: Das Fast-nachtspiel des Spätmittelalters. Gestalt und Funktion. Tübingen 1961; Bauer,

Werner M.: „Das Tiroler Reckenspiel. Heldenepische Stoffe im Fastnachtsspiel des 16. Jahrhunderts“. In: Deutsche Heldenepik in Tirol. König Laurin und

Dietrich von Bern in der Dichtung des Mittelalters. Beiträge der Neustifter

Ta-gung 1977 des Südtiroler Kulturinstitutes. In Zusammenarbeit mit Karl H. Vigl, hg. von Egon Kühebacher. Bolzano / Bozen 1979, S. 355-381; Simon, Eckehard: Die Anfänge des weltlichen deutschen Schauspiels 1370-1530.

Untersuchung und Dokumentation. Tübingen 2003, S. 159, 174, 177f., 207f. 6 Besonders negativ äußert sich: ten Venne, Ingmar: „Die Recken der

ger-manisch-deutschen Heldensage im Fastnachtspiel des deutschen Mittelalters“. In: Le monde des héros dans la culture médiévale. Hg. von Wolfgang Spiewok und Danielle Buschinger. Greifswald 1994, S. 289-302. Abgesehen davon, welcher Erkenntniswert sich aus abqualifizierenden Werturteilen wie „[h]ier [in der Darstellung des Mönchs Ilsan; Anm. K.A.] hat der Dichter des Spiels eine Reihe von Ansätzen nicht nur nicht genutzt, sondern rigoros gestrichen“ (S. 300) ergibt, geht die Kritik an dieser Stelle auch sachlich ins Leere. Die Figur des Ilsan wird durchaus zur Erzielung (derb-) komischer Effekte genutzt.

7 Kerth, Sonja: Gattungsinterferenzen in der späten Heldendichtung.

Wies-baden 2008, S. 359, A. 7. Wenig später (S. 366) verweist Kerth auf den spät-mittelalterlichen Schwank Die böse Frau, wo behauptet wird, die Kämpfe der Heldenepik seien nichts gegen diejenigen der (in der Erzählung ständig strei-tenden) Eheleute gewesen. Auch diese Erzählung, die unikal im Ambraser Heldenbuch (Bozen, um 1510) und damit zeitgenössisch und in engster räumli-cher Nähe zu Vigil Raber aufgezeichnet wurde, parodiert also die Heldenepik.

8 De Boor, Helmut: „Zur literarischen Stellung des Gedichtes vom

Rosen-garten in Worms“. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und

Li-teratur, 81 (1959), S. 371-391. Die dort erarbeitete Interpretation wird

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Mit-garten A um eine Satire auf die Hofgesellschaft bzw. auch auf die Ideale der bis dahin vorherrschenden höfischen Literatur handle. Im Epos wird erzählt, dass in Worms am Rhein9 die Königstochter

Kriemhild einen Rosengarten besitzt, der von 12 vortrefflichen Kriegern bewacht wird. Darunter ist ihr Mann, der allseits be-kannte Siegfried, ein helt ûz Niderlant.10 Da sie gehört hat, dass

Dietrich von Bern der tapferste Held der Welt sei, lässt sie ihm eine Forderung überbringen: Er solle mit 11 seiner besten Kämpfer zu ihr kommen und gegen Siegfried und die anderen Recken Zweikämpfe ausfechten, um zu sehen, wer denn nun der größte Held sei. Als Preis winkt dem Sieger des jeweiligen Zweikampfes ein Kranz aus Rosen sowie eine Umarmung und ein Kuss Kriem-hilds: ein halsen und ein küssen (RG A 53, 3), wie es immer wieder heißt. Nach langem Zögern stimmt Dietrich schließlich zu und stellt seine Mannschaft zusammen. Um diese zu vervollständigen, muss sogar ein Mönch aus dem Kloster geholt werden, nämlich Ilsan, ein ehemaliger Kämpfer und Bruder Hildebrands. Die Berner ziehen an den Rhein und besiegen in den folgenden Zweikämpfen die Wormser Helden, von denen einige ihren Einsatz mit dem Le-ben bezahlen.

Kriemhild handelt im ‚klassischen‘ Sinne völlig unhöfisch, in-dem sie mutwillig und aus reiner Sensationsgier die Zweikämpfe und damit Blutvergießen provoziert. Im gesamten Werk lässt der Erzähler keinen Zweifel daran, dass dieses Verhalten überheblich, hoffärtig, ja sogar böswillig sei. Der Berner Held Biterolf drückt es so aus:

Dô sprach der alte Biterolf: ‚ir müget tôren sîn, daz ir durch rôsen willen rîtet an den Rîn,

telalter. Erster Teil: 1250-1350. 5. Aufl. Neubearbeitet von Johannes Janota.

München 1997 (= Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Begr. von Helmut de Boor und Richard Newald, Bd. 3, Tl. 1), S. 153-157. Das Werk ist 1961 erstmals erschienen.

9 Dazu Siller, Max: „Wo lag Worms im ‚Rosengarten zu Worms‘? Zu den

sagengeschichtlichen Grundlagen eines ‚aventiurehaften‘ Dietrichepos“. In:

Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, 125 (2003), S.

36-56. Für Siller liegt das der Dichtung zugrundeliegende Worms (nicht das der Dichtung!) keineswegs am Rhein, vielmehr identifiziert er es mit der im oberen Veltlin liegenden Gemeinde Bormio.

10 Die Gedichte vom Rosengarten zu Worms. Hg. von Georg Holz.

Halle/Saale 1893. Nachdruck Hildesheim, New York 1982, 3, 2 (im Folgenden

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und daz ir welt volgen einer unsinnigen meit,

diu durch ir grôze affenheit daz mort zesamene treit.‘ (RG A, 111) Im Gegensatz zu der äußerst negativ gezeichneten Kriemhild steht Dietrich. Doch auch er ist kein Held der Artus-Dichtung, der auf âventiure-Fahrt aus ist. Dieser, so de Boor treffend, wäre „eben um der grundlosen Aventiure willen ausgeritten; ihm wäre die Gewinnung von Kranz und Kuß Sinn und Wert seiner Tat gewe-sen. Dietrich wird aber gerade durch die Grundlosigkeit zum Zorn gereizt und er zieht aus, um diesen übermuot zu strafen.“11 Das

heißt, Dietrich missbilligt den Kampf um des Kampfes willen, und zwar gerade auch deswegen, weil er im Gewand einer höfisch-ga-lanten Aventiure-Fahrt daherkommt. Damit denunziert er das höfi-sche Gepränge als reine Fassade, die einer mächtigen Person die Gelegenheit gibt, auf Kosten anderer ihr Verlangen nach flachen Lustbarkeiten auszuleben.

1978 legte Joachim Heinzle eine wichtige Untersuchung zur Dietrichepik vor,12 in der er die Thesen de Boors in Zweifel zog

und eine rein personenbezogene Kritik an Kriemhild sehen wollte. Diese Debatte wurde aufgenommen13 und seitdem wird mehr oder

weniger ausgiebig über den Grad der Satire im Rosengarten disku-tiert, wie eine Studie von Andreas Hammer zeigt, in der es heißt, der Rosengarten zeige „in fast schon parodistischer Weise“14 eine

Alternative zum Schluss des Nibelungenliedes auf.

Wenn man die Aussagen des Erzählers im Rosengarten ernst nimmt, wenn man auch das, abgesehen von Kriemhild, restliche Personal und die Figurenzeichnung insbesondere des Mönchs Ilsan ansieht, kann man nicht umhin, in diesem Werk beißende Kritik an der damaligen zeitgenössischen Literatur und ihrer vordergründig so heilen und affirmativen Artus-Traumwelt zu konstatieren. Unser

11 De Boor: „Literarische Stellung“, S. 378.

12 Heinzle, Joachim: Mittelhochdeutsche Dietrichepik. Untersuchungen zur Tradierungsweise, Überlieferungskritik und Gattungsgeschichte später Hel-dendichtung. München 1978, S. 244-263.

13 Z.B. Ihlenburg, Karl Heinz: „Zum ‚Antihöfischen‘ im Rosengarten A“.

In: Wissenschaftliche Beiträge der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald.

Deutsche Literatur des Spätmittelalters 2: Studien zur Literatur des Spätmittel-alters. Greifswald 1986, S. 41-52.

14 Hammer, Andreas: „Held in Mönchskleidern oder Mönch im

Heldenkos-tüm? Zur Wahrnehmung Ilsans im ‚Rosengarten zu Worms‘“. In: Zeitschrift für

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Reckenspiel aber geht noch einen Schritt weiter und lässt sich durchaus als Dokument frühbürgerlicher Emanzipations- und Ab-grenzungsbestrebungen verstehen, als Kritik an der Adelskultur im Allgemeinen und als Absage an das zeitgenössische herunterge-kommene Rittertum im Besonderen.

Die Vorlage für das Reckenspiel, also den Rosengarten des ge-druckten Heldenbuches, werde ich im Folgenden zu Vergleichs-zwecken heranziehen und zeigen, wie die schon im Epos angeleg-ten parodistischen Elemente für das Fastnachtspiel genutzt werden. Die Vorlage scheint übrigens schon im Prolog des Precursors durch, der sich fast wörtlich an diese anlehnt: Dort an dem rein da ligt ain stat, / wurms sy den namenn hat (Reckenspiel, V. 7f.) heißt es im Spiel. Im Epos findet dies in den ersten Versen folgende Ent-sprechung: An dem rein da leit ein stat / die ist gar wunnesam / wurms sie den namen hat.15

Und schon im Prolog des Spiels wird dem Publikum unmissver-ständlich suggeriert, was es von den Figuren zu halten hat: Sy [= Kriemhild] pflanczt ainenn rosngarten, / des muesten 6 starcker risn warten (Reckenspiel, V. 13f.). Die Riesen sind unhöfisch, grobschlächtig und zu wirklichem Heldentum nicht in der Lage. Die Unterscheidung zwischen Berner Kämpfern und denen Kriem-hilds kommt auch im Verzeichnis der Dramatis Personae der Ster-zinger Spielhandschrift zum Ausdruck: Die Berner werden als hel-den, die Wormser als reckhn bezeichnet, womit bei letzteren das rein kriegerische Moment betont wird.16 Zudem wird in der

dra-matisierten Fassung, wo nur sechs von 12 Wormser Recken aufge-boten werden, auf die hervorragendsten verzichtet. Stattdessen werden die weniger ‚glamourösen‘ Krieger Pusolt, Asprian und Staudenfuß aufgeboten, daneben Walther (aus dem Waltharius), sowie als unverzichtbare Personen König Gibich und Kriemhilds Mann Siegfried. Für die Berner dagegen kämpfen neben den un-verzichtbaren Helden Dietrich und Hildebrand die bekannteren Wolfhart, Wittich (Witege, der Verräter des Buchs von Bern),

15 Das deutsche Heldenbuch. Nach dem mutmaßlich ältesten Drucke neu hg.

von Adelbert von Keller. Stuttgart 1867. Nachdruck Hildesheim 1966; der

Ro-sengarten auf S. 594-692, Zitat S. 594, 1-3 (im Folgenden RG HB).

16 Grimm, Jacob und Grimm, Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Nachdruck

der Erstausgabe. 33 Bde. München 1984 (im Folgenden: DWB), Bd. 14, Sp. 443, s. v. „Recke“: „held, kämpfer, mit dem beisinne des ungeschlachten, rie-senhaften“.

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Dietlieb und – als für die Parodie unabdingbare Figur – der Mönch Ilsan, der Bruder Hildebrands.

Joachim Heinzle bemerkt zu dieser Ausgangslage: „Das Rei-henkampfschema bot sich für eine szenische Umsetzung geradezu an.“17 Und tatsächlich ist das Reckenspiel nicht die einzige

Drama-tisierung des Rosengartens: Es haben sich Fragmente eines solchen „Rosengartenspiels“ in Berlin erhalten, die aus dem 2. Drittel des 16. Jahrhunderts stammen. Nach Heinzle sind diese beiden soge-nannten „Rosengartenspiele“, also das Berliner und das Sterzinger Spiel, „zwei Fassungen ein und derselben Dramatisierung“,18 was

zwischenzeitlich aber mit guten Gründen angezweifelt wurde.19

Schon in weit früheren Zeiten wurden offenbar Turnierveran-staltungen nach dem Schema der Rosengartenkämpfe abgehalten.20

Aufführungsnachrichten für solche als ludi bezeichneten Rosen-garten-Turniere sind 1380 und 1395 für Wesel, 1429 für Winds-heim21 und generell im 15. Jahrhundert für mehrere andere Orte

bezeugt. Wie Eckehard Simon überzeugend dargelegt hat, waren für das späte Mittelalter nicht nur ‚eigentliche‘ Theaterstücke, son-dern auch solche hastiludia (‚Lanzenspiele‘, Turniere) theatrale bzw. ‚schau-spielerische‘ Aktivitäten, die sich in der zeitgenössi-schen Terminologie nicht scharf von dramatizeitgenössi-schen Aufführungen

17 Heinzle, Joachim: Einführung in die mittelhochdeutsche Dietrichepik.

Berlin, New York 1999, Zitat S. 173. Ähnlich auch Simon, Eckehard: „Rosen-gartenspiele: Zu Schauspiel und Turnier im Spätmittelalter“. In: Entzauberung

der Welt. Deutsche Literatur 1200-1500. Hg. von James F. Poag und Thomas

C. Fox. Tübingen 1989, S. 197-209: „An der theatralischen Potenz der Rosen-gartenstoffe ist […] nicht zu zweifeln.“ (S. 199).

18 Heinzle: Dietrichepik, S. 32. Ebd., S. 173f., bekräftigt Heinzle seine

An-sicht: „Der Vergleich der beiden Texte zeigt, daß es sich [beim Sterzinger und beim Berliner Spiel; Anm. K.A.] um Fassungen ein und desselben Spiels han-delt und daß der Sterzinger Text, der nur sechs der zwölf Kämpfe enthält, eine kürzende Bearbeitung darstellt (Behauptungen in der Forschung, die beiden Spiele gingen unabhängig voneinander auf dieselbe epische Vorlage zurück, sind falsch).“

19 Simon: „Rosengartenspiele“, S. 199.

20 Vgl. dazu Simon: „Rosengartenspiele“ sowie Simon, Eckehard: Die An-fänge des weltlichen deutschen Schauspiels 1370-1530. Untersuchung und Dokumentation. Tübingen 2003, S. 207.

21 Vgl. Linke, Hansjürgen: Art. „Berliner Fragmente eines

Rosengarten-spiels“. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Begr. von Wolfgang Stammler, fortgeführt von Karl Langosch. Zweite, völlig neu bearb. Aufl. hg. von Kurt Ruh zus. mit Gundolf Keil, Werner Schröder, Burghart Wa-chinger und Franz Josef Worstbrock. Bd. 1. Berlin, New York 1978, Sp. 725f.

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trennen lassen bzw. in ihrer Gesamtheit „als ‚weltliche Schau-spiele‘“22 betrachtet werden können. Schließlich ist noch das Stück

Der hürnen Sewfrid des Hans Sachs von 1557 zu nennen, das im 6. und vorletzten Akt den Kampf zwischen Siegfried und Dietrich von Bern auf die Bühne stellt.23

2. Wandlung des Siegfried/Seyfrid-Bildes24

Im Nibelungenlied, der höfisierten Version alter germanischer Heldenlieder und -epen, wird Siegfried als Knabe folgendermaßen charakterisiert:

Man zôch in mit dem vlîze, als im das wol gezam. von sîn selbes muote was tugende er an sich nam! des wurden sît gezieret sînes vater lant,

daz man in ze allen dingen sô rehte hêrlîchen vant.25

Dieses positive, eben höfisierte Bild wandelt sich im Laufe der Zeit beträchtlich bzw. nähert sich wohl eher seinen sagenge-schichtlichen Ursprüngen an. Im Rosengarten bleibt Siegfrieds Bild seltsam blass. Zu Beginn heißt es von ihm nur, dass er ein großer Held sei und Löwen besiegt habe, die er an den Schwänzen zusammengebunden habe und von der Stadtmauer habe herunter-hängen lassen. Als es zum Kampf mit Dietrich kommt, preist die-ser Siegfried als Held, der viele Kämpfe gewonnen habe und au-ßerdem über drei Vorzüge verfüge: Über sein Schwert, seine Rü-stung, die er selbst geschmiedet habe sowie über seine Hornhaut,

22 Simon: „Rosengartenspiele“, S. 208.

23 Vgl. Ferrari, Fulvio: „La drammatizzazione della leggenda: Der hürnen

Sewfrid di Hans Sachs“. In: La tradizione nibelungico-volsungica. Hg. von Maria Giovanna Arcamone u. Marco Battaglia. Pisa 2010, S. 223-240.

24 Grundlegend dazu: Weinacht, Helmut: „Das Motiv des Hürnen Seyfrid

im Nürnberg des 16. Jahrhunderts. Zum Problem der bürgerlichen Rezeption heldenepischer Stoffe“. In: Hans Sachs und Nürnberg. Bedingungen und

Probleme reichsstädtischer Literatur. Hans Sachs zum 400. Todestag am 19. Januar 1976. Hg. von Horst Brunner, Gerhard Hirschmann und Fritz

Schnel-bögl. Nürnberg 1976, S. 137-181.

25 Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Nach dem

Text von Karl Bartsch und Helmut de Boor ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert von Siegfried Grosse. Stuttgart 1999, Str. 23.

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die ihn unverwundbar mache. Ansonsten tritt Siegfried nur mit ei-ner Reizrede an Dietrich hervor, in der er ihn der Feigheit bezich-tigt und so zum Kampf aufstacheln will. Dies gelingt aber erst Hil-debrand, der den Kampfesmut seines Herrn so weit reizt, dass er Siegfried schließlich besiegt. Dem bleibt nichts übrig, als sich zu Kriemhild zu flüchten, die ihn vor dem sicheren Tod rettet.

Im Lied vom Hürnen Seyfrid, einer balladesken Ausgestaltung der Siegfried-Sage, die viele Drucke des 16. Jahrhunderts überlie-fern, ist schließlich davon die Rede, dass Siegfried schon als Knabe ein kaum zu bändigender Recke und Haudegen gewesen sei, der seinen Eltern deswegen viel Kummer bereitet habe.

Der knab was so m!twillig Darz! starck und auch groß Das seyn vatter und m!ter Der ding gar seer verdroß26

Und auch in der Dramatisierung des Hürnen Seyfrid bei Hans Sachs lässt Siegfried als junger Mann alle höfische Zucht vermis-sen: Der [König Sigmund; Anm.] het ain sun, der hies Sewfrid, / Welcher all höfflikait vermid, An siten, tuegent vnd verstant.27 Eine

ähnliche Charakterisierung Siegfrieds findet sich bei Sachs auch durch seinen Vater Sigmund:

Ir liebn getrewen, gebet rat, Got mir ain sun pescheret hat, Welcher nach mir regiren sol, Der sich darzv nit schicket wol, Ist gar vnadelicher art,

Helt zwcht vnd tuegent widerpart, Ist frech, verwegen vnd muetwillig, Starck, rüedisch vnd handelt vnpillig; Gar kain höfflikait wil er lern; Es stet all sein gmüet vnd pegern Allein zv grobn, pewrischen dingen,

26 Das Lied vom hürnen Seyfrid. Critical Edition with Introduction and

No-tes hg. von K. C. King. Manchester 1958, Str. 2, V. 1-4.

27 Sachs, Hans: Der hürnen Seufrid. Tragödie in sieben Acten. Zum ersten

Male nach der Handschrift des Dichters hg. von Edmund Goetze. Halle/Saale 1880, V. 9-11.

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Zv schlachen, lauffen vnd zv ringen Vnd von aim lande zv dem andern Eben gleich aim lantfarer wandern;

Auf solch grob sach legt er sein sin. (Sachs: Hürnen Seufrid, V. 52–66) Im Reckenspiel hat er überhaupt nur einen kleinen und überaus kläglichen Auftritt. Dietrich wird von Seyfrid mit einer für das Genre typischen Reizrede bedacht: er sei doch so weitum bekannt und der größte Held von allen, er solle das auch beweisen. Dietrich prahlt nicht; vielmehr ruft er Maria um Hilfe an, die ihm, dem vill klainen, schbachen man (Reckenspiel, V. 386) beistehen solle. Erst als Seyfrid ihn weiter reizt und als kleine vilczlaus (V. 392) be-zeichnet, gerät auch Dietrich in Harnisch und kündigt an, Seyfrids hurnene haut (V. 404) zu zerhauen, was denn auch recht rasch ge-schieht. Vielleicht überlebt Siegfried den Kampf – im Gegensatz zum Epos – nicht, jedenfalls wird seine Niederlage von Kriemhilds Vater beklagt. Die einzige direkte Charakterisierung Seyfrids im Stück erfolgt durch den Precursor, der zu Beginn des Stücks das Publikum vor ihm warnt: Ruckht auß dem weg stuell vnd penckh, / der hirnen seyfrid ist gar vnglenckh (V. 35f.) heißt es gegen Schluss seiner Vorrede. Der strahlende Held, der höfische Sieg-fried des Nibelungenliedes, steht hier als täppischer, ungeschickter Unhold da, ein Riese, der nur noch verlacht werden kann.

Hier sind wir am Ende einer Entwicklung angelangt, die sich vom höfischen Nibelungenlied über den Rosengarten bis hin zum Lied vom Hürnen Seyfrid und Hans Sachs zieht. Man kann beo-bachten, wie das Bild des strahlenden Helden sich immer mehr zu dem eines hirn- und sinnlos dreinschlagenden Recken wandelt.28

Gleichwohl dürfte dieser bei einem Massenpublikum gut ange-kommen sein, auch wenn John L. Flood erst vor wenigen Jahren konstatiert hat, dass die Heldensage in der frühen Neuzeit keines-wegs, wie oft angenommen, das beliebteste Genre überhaupt war, sie stellte vielmehr „nur eine Textsorte unter vielen“ dar.29

28 Für Wilhelm Grimm trifft dieser Befund übrigens für die gesamte

Heldendichtung zu: „Nachdem dreihundert Jahre etwa verflossen sind, ist die Heldensage aus den edelsten in die gemeinsten Hände stufenweise herabgefal-len“ – so sein vernichtendes Verdikt. Grimm, Wilhelm: Die deutsche

Helden-sage. 4. Aufl. Unter Hinzufügung der Nachträge von Karl Müllenhoff und Os-kar Jänicke aus der Zeitschrift für deutsches Altertum. Darmstadt 1957, S. 421. 29 Flood, John L.: „Zur Präsenz der Heldenepik im Bewusstsein des 16.

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Ähnliches hat Helmut Weinacht schon in den 1970-er Jahren fest-gestellt, wenn er darauf hinweist, dass Mitte des 16. Jahrhunderts zwar durchaus noch Heldendichtung gedruckt wurde, diese aber gemessen an ihren Auflagen gegenüber anderen Werken wie z.B. den Sieben weisen Meistern oder der Schwanksammlung Schimpf und Ernst doch deutlich abfallen.30 Dennoch waren die

Geschich-ten wohl ‚im Volk‘ bekannt, wie zahlreiche Anspielungen und vor allem Klagen reformierter wie altgläubiger Theologen von Johann Geiler von Kaysersberg bis Martin Luther belegen.31 Ob damit

auch immer (genaue) Textkenntnis einherging, muss freilich da-hingestellt bleiben. Jedenfalls konnte Vigil Raber mit dem Recken-spiel an Vorwissen seines Publikums anknüpfen.32 Konnte er bzw.

der Textdichter auch eine ‚Botschaft‘ vermitteln, die über die reine Lustbarkeit des Fastnachtspiels hinausging?

3. Satire: Ilsan

Bevor ich mich dieser Frage zuwende, möchte ich noch einige wenige Überlegungen zur Figur des Mönchs Ilsan anstellen, die im Reckenspiel wie auch im Rosengarten eine zentrale Rolle spielt. Andreas Hammer meint, dass diese Figur „schon fast schwank-haft“33 gebrochen sei. Außerdem konstatiert er, dass sie in erster

Linie „visuell gesteuert“34 sei, d.h. über Kleidung und Attribute

(Schwert / Stab / Stange), was sie für das Theater natürlich sehr brauchbar macht. Doch nicht nur das: In Ilsan ist auch die

die Europäische Heldendichtung. Hg. von Alfred Ebenbauer und Johannes

Keller. Wien 2006, S. 103-120, Zitat S. 118.

30 Weinacht: „Hürnen Seyfrid“, S. 143. 31 Grimm: Heldensage.

32 Im Gegensatz dazu ten Venne: „Recken“, S. 302: Der Dichter des Reckenspiels „begreift die Helden um Dietrich und ihre Gegenspieler als

Re-präsentanten längst verflossener Zeiten, die für das Fastnachtspiel nur insofern interessant sind, als ihr Auftreten ständig begleitet wird von Auseinanderset-zungen und Kämpfen, die einen enormen Schauwert ergeben.“ Im Lichte der Forschungsergebnisse Floods kann dem nicht zugestimmt werden, denn die Tradition der Heldendichtung war (wenigstens in Tirol, aber sicher auch in Nürnberg, woher das Reckenspiel sehr wahrscheinlich stammt) sehr wohl le-bendig und konnte durchaus zur Kritik zeitgenössischer Machtverhältnisse ak-tualisiert werden.

33 Hammer: „Held in Mönchskleidern“, S. 36. 34 Ebd., S. 44.

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lichkeit des ‚klassischen‘ Heldentums niedergelegt, die schon im 13. Jahrhundert offenbar nicht mehr bruchlos funktioniert hat und nun, zu Beginn der Neuzeit, vollends obsolet geworden ist und nur mehr, um mit Michael Mecklenburg zu sprechen, in der Parodie oder im Pathos weiterleben kann.35

Dietrich stellt für das Wormser Abenteuer seine Kämpfer zu-sammen und man verfällt auf die Idee, auch Ilsan beizuziehen, weswegen sich der Heerhaufen zu seinem Kloster aufmacht, um ihn zur âventiure-Fahrt einzuladen. Ilsan, der vom Wehrgang des Kloster aus auf die herannahenden Ritter aufmerksam wird, glaubt seinen Konvent in Gefahr und will, vor Zorn gel vnd grien (RG HB, 628, 13) im Gesicht, sofort in den Kampf ziehen, obwohl er noch nicht einmal weiß, welches Anliegen die Ritter zum Kloster geführt hat – ein Haudegen, der zuerst schießt und dann fragt: Es ferkerte sich sein m!te / ... / sein fernunft ward jm genumen (RG HB, 628, 15; 17). Als Zeichen seines unhöfischen Furors führt er eine stählerne Stange als Waffe, die normalerweise Ausweis kämp-fender Riesen ist. Ilsan reitet mit eingelegter Stange auf seinen Bruder Hildebrand zu, der ihn auch erkennt und ihn von seiner Ra-serei abbringen kann. Die Ritter werden vom Abt mit gebührenden Ehren empfangen und sie bitten ihn, Ilsan für die Fahrt her-zugeben. Der Abt weigert sich zunächst, doch Ilsan liegt ihm so lange in den Ohren, bis er seiner Kriegsfahrt schließlich zustimmt: reitent in gottes namen / das ir vns nit me taben (RG HB, 634, 7f.). Obwohl seine Mitbrüder ihm versprechen, für seine glückliche Rückkehr zu beten, sieht das, sobald Ilsan zur Klosterpforte hin-ausgeritten ist, ganz anders aus:

Die brieder all gemeine batten mit grossem clagen das er nymen kem heime

35 Vgl. Mecklenburg, Michael: Parodie und Pathos. Heldensagenrezeption in der historischen Dietrichepik. München 2002, S. 217ff. Mecklenburg geht es

um die mentalitätsgeschichtlichen Umbrüche im 12./13. Jh., die die Heldensage entweder zur Parodie werden lassen (Biterolf und Dietleib) oder in Pathos, also individuelles Gefühlserleben, umschlagen (Dietrichs Flucht und

Raben-schlacht). Im Nibelungenlied werde „Kriemhild als eine Person gesehen […],

die eine – wenn auch negativ gewertete – Individualität entwickelt.“ (S. 219). Sh. dazu auch: Schulz, Armin: „Die Verlockungen der Referenz. Bemerkungen zur aktuellen Emotionalitätsdebatte“. In: Beiträge zur Geschichte der

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er würde z! tod geschlagen das sie in irem orden

von jm wurden erlost (RG HB, 635, 9–14)

Am Rhein finden sie einen Fährmann, der zum Lohn für seine Dienste jeweils einen Fuß und eine Hand fordert, doch Ilsan erklärt sich bereit, die Sache zu regeln. Als seine ‚List‘, dem Fährmann vorzuspielen, er solle 12 Mönche über den Fluss führen, nicht ver-fängt und er mit dem Mönch einen Kampf beginnt, wird klar ge-sagt, mit welcher gesellschaftlichen Schicht Ilsan handgemein wird: er schlägt einen Bauern (Der münch der gab den bauren / ein vngefiegen truck, RG HB, 638, 26f.)36 oder Dienstmann zu Boden

und nicht etwa ein Zauberwesen aus der Zwischenwelt oder we-nigstens als mächtiger Lehensmann, als die die Fährleute zuweilen dargestellt werden.37

Diese Dinge sind wie gesagt in der Dramatisierung ausgespart, da sie nicht die ‚eigentliche‘ Handlung, also das Kampfspiel, betreffen. Doch auch das Spiel lässt sich die Gelegenheit nicht ent-gehen, mit der Figur des Ilsan einige Lacher zu erzeugen. Im Epos wird er ob seines geistlichen Standes sowohl von Kriemhild als

36 Auch sein Name – Ruprecht (RG HB, 639, 39) – zeigt seinen Stand an.

Zuvor (RG HB, 636, 5ff.) wird der Ferge noch als „großer Mann“ beschrieben, dessen Kühnheit nicht ihresgleichen hätte. Namen, die auf -brecht enden, sind in der hoch- und nachhöfischen Literatur oft Bauern vorbehalten, wie schon der Titelheld des Helmbrecht zeigt. Dessen Vater versucht, ihn davon abzuhalten, Ritter zu werden, indem er ihm vorschlägt, die Tochter des Meiers Ruprecht zu heiraten. Bei Neidhart von Reuental heißen die verspotteten Bauern z.B. „Gôzbreht“, „Gumpreht“ und „Willebreht“ (Winterlied IV, 4. Neidhart von Reuental: Die Lieder Neidharts. Hg. von Edmund Wießner. Fortgeführt von Hanns Fischer. 4. Aufl. revidiert von Paul Sappler. Mit einem Melodienanhang von Helmut Lomnitzer. Tübingen 1984).

37 Der Fährmann des Nibelungenliedes ist ein mächtiger Lehensmann, der es

sich einerseits leisten kann, keinen Lohn zu verlagen (Der verge was sô rîche,

daz im niht dienen zam, / dâ von er lôn vil selten von iemen dâ genam. Nibe-lungenlied, 1551), andererseits aber auch, eine Überfuhr zu verweigern, was

ihn ja letztlich das Leben kostet, da er von Hagen getötet wird. Das Fährrecht war ein Regal, das verliehen werden konnte, was die starke Stellung der Fergen erklärt (vgl. Dopsch, Heinz: Art. „Fähre, Fährrecht“. In: Lexikon des

Mittelal-ters. Bd. 4. Stuttgart, Weimar 1999, Sp. 230-231). Selbstverständlich würde

man sich erwarten, dass Helden vom Schlage eines Dietrich vom Inhaber des Fährrechts persönlich über den Fluss geführt würden und nicht von einem sei-ner Dienstleute, wie es hier offenbar der Fall ist.

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auch von seinem Gegner Staudenfuß geschmäht, doch bei weitem nicht in der derben Form wie im Spiel, wo es heißt:

pait, ich will dier dy gugl schuten Vnd dar zue schlachen auff den grindt,

das dier die vesper zum ars außrindt! (Reckenspiel, V. 361–363).

Solch zotige Sprache ist typisch für Fastnachtspiele; in einem höfischen Epos suchte man so etwas vergeblich. In diesem Fall zeigt dies ganz deutlich, wie weit sich diese Literatur von der he-roischen Dichtung entfernt hat und wie wenig ‚klassisches‘ Hel-dentum einem mit wenig heldenhaften Rittern tagtäglich konfron-tierten bürgerlichen Publikum am Ausgang des Mittelalters noch bedeutete.

4. Mittel der Satire: Die Reizrede

Ein Mittel des Fastnachtspiels, um den Helden lächerlich zu machen, ist die in der englischen Heldensage so genannte ‚boast speech‘, die Reizrede, die im klassischen Heldenlied eine wichtige Funktion erfüllt, später dann jedoch dazu benützt wird, zeitgenös-sische Ritter als Maulhelden zu demaskieren. ‚Boasting’ im ‚klas-sischen‘ Sinne heißt nicht nur, dass der Held mit einer bestimmten Tat prahlt bzw. seinen Gegner mit seiner vorgeblichen Kampfkraft einzuschüchtern sucht. Es kann auch, wie Marie Nelson für den Beowulf gezeigt hat,38 die Bedeutung von ‚to promise‘ haben. Der

Held ‚verspricht‘ also, eine bestimmte Tat auszuführen. Dabei ist er sich in der Regel durchaus des möglichen Scheiterns bewusst. Er prahlt nicht damit, dass er diese oder jene Aufgabe, diesen oder jenen Kampf ganz sicher siegreich bestehen werde, im Gegenteil: Er bezieht die Möglichkeit des Scheiterns mit ein und trifft gege-benenfalls Vorkehrungen für diesen Fall. Beowulf etwa verfügt, dass, falls er gegen das Monster Grendel unterliegen sollte, seine Rüstung an seinen König Higelac zurückgeschickt werden sollte; ähnliches gilt dann vor seinem Kampf gegen Grendels Mutter.

38 Nelson, Marie: „Beowulf’s Boast Words“. In: Neophilologus, 89 (2005),

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Diese Art der Reizrede findet sich auch noch in der mittelhoch-deutschen Heldenepik, etwa im Eckenlied.39 Doch im

spätmittelal-terlichen weltlichen und vor allem im geistlichen Spiel ist die Reiz-rede lediglich ein Mittel der Demaskierung und Satire. Schon Hermann Wopfner verweist in diesem Zusammenhang auf die Ti-roler Osterspiele: „Gerade das Mißverhältnis zwischen Ansprüchen und Leistungen der Ritter wird hier von dem bürgerlichen Autor verspottet, der gut wußte, daß er mit seiner Satyre auf die ‚gestren-gen‘ Ritter den Beifall seines Publikums finden werde.“40 In den

Osterspielen boten vor allem die Grabwächterszenen reichlich Gelegenheit, die Diskrepanz zwischen Schein und Sein des Ritter-tums satirisch aufzuzeigen. Die gedungenen Grabwächter prahlen zunächst mit ihrer Tapferkeit und geben vor, das Grab Jesu vor dem räuberischen Zugriff der Jünger bewachen zu wollen (vgl. Mt 27, 62–66). Doch als Jesus von den Toten ersteht, wird aus den strahlenden Helden ein trauriges Häuflein von Feiglingen, die zit-ternd und zagend klein beigeben.

Auch im Reckenspiel wird die Reizrede in diesem Sinne einge-setzt, wobei hier zwischen den Berner Helden und den Wormser Recken ein gradueller Unterschied gemacht wird. Schon nach der Annahme der Wormser Forderung ergehen sich die Berner in einer Reihe von Prahlreden. In Absenz des eigentlichen Gegners, aller-dings coram publico, werden ‚Versprechungen‘ bzw. Ankündi-gungen getätigt, wie z.B. die Wolfharts:

Ich will in des mein treu gebm, es mueß ainem gelten das lebm, Vnd wird ich ainenn sichtig an,

er soll sechn, das ich in will pestan. (Reckenspiel, V. 121–124)

Wittich prahlt ebenfalls, lässt aber immerhin noch als entfernten Reflex an die ‚klassische‘ ‚boast speech‘ erkennen, dass auch er durchaus mit einem Scheitern als Möglichkeit rechnet:

Wird ich ain risn sichtig an, ich will zu im treten auf den plan

39 Brévart, Francis B.: „Der Männervergleich im Eckenlied“. In: Zeitschrift für deutsche Philologie, 103 (1984), S. 394-406.

40 Wopfner, Hermann: Die Lage Tirols zu Ausgang des Mittelalters und die Ursachen des Bauernkrieges. Berlin, Leipzig 1908, S. 82, Anm. 2.

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Vnd gib im des mein trew zu pfand, ich renn mit im durch ain wand Vnd schlach im darczue wunden tieff;

es wer den, das er mier entlieff (Reckenspiel, V. 127–132)

In Worms kommt es sogleich zum Streit zwischen Kriemhild und Hildebrand, der ihr empfiehlt: Nempt eur risen vnd fliecht zu-hant, / ee das ir wert von vns geschant. (Reckenspiel, V. 181f.). Hier geht es nicht mehr um eine Abwendung des Kampfs, die vor-geblich immer in der Reizrede angesprochen wird, im Gegenteil: Auf dieses schelten (V. 185) Hildebrands hin ersucht Kriemhild ihren Vater Gibich darum, sie zu rächen, da sie doch Hildebrand nie kain laed getan (V. 188) habe. Die Situation ist also endgültig eskaliert, die Kämpfe beginnen.

Nicht nur Reizreden werden den ersten Kämpfen vorgeschaltet, sondern auch Anfeuerungsreden der Anführer Gibich und Hilde-brand, die die jeweiligen Zweikämpfer bestimmen. Hildebrand etwa versucht Wittich zum Kampf anzuspornen:

Horstu nit, du edler wittich? der riß asprian thuet verachtn dich! Nun spring zu im in den gartn

vnd haub im in den leib scharten (Reckenspiel, V. 239–242).

Bemerkenswert ist dann die Wechselrede zwischen Asprian und Wittich: Asprian als Riese verhöhnt Wittich wegen dessen kleiner Gestalt und prahlt, er könne wohl zehn Leute von der Größe Wit-tichs auf einmal schlagen, worauf dieser antwortet: Ich gib nicht vmb die trobort dein, / dir ist verporgn die manhat mein (V. 261f.). Zum Einen wird hier das ‚boasting‘, die trobort (‚Drohworte‘), zu-rückgewiesen und zum Zweiten wird angesprochen, was den Hel-den ausmacht. Nicht allein körperliche Größe oder Kraft, sondern auch manhat, also neben rein körperlicher Kraft auch Tapferkeit und Klugheit, die den unbeweglichen Riesen überwinden hilft.

Nach drei verlorenen Kämpfen macht sich bei den Riesen erst-mals Vorsicht breit. Walther verurteilt die hoffart und den vber-muet der Wormser, die diese vnsigehaft (V. 338f.) mache und die nicht vngerochn (V. 340) bleiben würden. Hier kommt – abgese-hen vom Prolog – auch eine gewisse Didaxe ins Spiel. Sein Gegner Dietleib ist auch bereit, Walthers frühere ritterliche Taten anzuer-kennen: er wolle zwar mit ihm kämpfen, obwohl (wie woll) dieser

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pey seinen zeitn / Vill ritterlicher tatn hat getan (V. 350f.). Aus diesem Kampf zwischen zwei ebenbürtigen Helden, deren Hel-dentum sich nicht auf reine Körperkraft beschränkt, geht schließ-lich keiner als Sieger hervor und beide bekommen den Rosenkranz von Kriemhild.

Während die Reizrede in den frühen Heldenliedern und auch in der Heldenepik des Hochmittelalters also noch Kennzeichen des Helden selbst ist, der sie je nach Situation angemessen anwenden kann – einmal als Versuch, den Gegner einzuschüchtern und sich selbst zu preisen, einmal als Verprechen oder Ankündigung einer Heldentat – so ist schon in der Heldenepik, das Eckenlied ist dafür ein Paradebeispiel,41 zu beobachten, dass die Reizrede auch dazu

eingesetzt werden kann, den Gegner zu sinnlosen Gewaltakten zu provozieren. Ins Satirische kippt der Einsatz der Reizrede dann teilweise im Rosengarten und vollständig im Reckenspiel. Dort wird sie hauptsächlich dazu gebraucht, um großsprecherisch eine Tat anzukündigen, die dann nicht vollbracht wird bzw. um den Gegner mit teilweise zotiger, jedenfalls sehr greller Sprache – si-cher zum Gaudium des Publikums – zu schmähen.

5. Hofkritik Hildebrands

Nach Hildebrands Kampf gegen König Gibich, den er selbstver-ständlich siegreich absolviert, zeigt er eine Reaktion, die man als ‚antihöfisch-bürgerlich‘ bezeichnen könnte. Auf das Anerbieten Kriemhilds, ihn zu küssen, sagt er im Rosengarten A:

Kriemhilt diu küneginne diu stuont ûf zehant: ‚durch aller vrouwen êre, getriuwer Hiltebrant, nu enslaht mir niht ze tôde den lieber vater mîn.‘ dô sprach Hiltebrant der alte: ‚wâ ist denne mîn krenzelîn?‘ Ein krenzelîn von rôsen gap ime diu schœne meit, ouch wolte si dô küssen den recken unverzeit. dô sprach Hiltebrant der alte: ‚des ensol niht sîn. ich wil ez heim behalten der lieben vrouwen mîn.

41 Ecke versucht über viele Strophen und Verse hinweg, Dietrich von Bern

zum Kampf zu provozieren. Dietrich zögert lange, doch irgendwann lässt er sich zum Kampf hinreißen, den Ecke mit dem Leben bezahlt.

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Ich hête es lützel êre, daz kan ich iu gesagen.

nu heizet iuwern vater ze der herberge tragen.‘ (RG A, Str. 319–321) Hildebrand akzeptiert zwar den Preis des Rosenkranzes, nicht jedoch den Kuss, den er seiner Frau vorbehalten will, die zuhause auf ihn wartet. Ein höfisch-arthurischer Held und auch ein höfi-sierter der Dietrich-Sphäre würde sich niemals auf derart grobe Weise den höfisch-galanten Gepflogenheiten entziehen und schon gar nicht mit der Begründung, denn Frauendienst ist ein ganz zen-traler Bestandteil der höfischen Ideologie.

Noch schärfer formuliert Hildebrand aber im Reckenspiel: Ich aht eurs halsn vnd kussn nit,

verfluecht sey eur hoffsit!

Das halsn will ich sparn meiner fraen,

dy sich in ern alleczeyt last schauen (Reckenspiel, V. 443–446)

Hierin ist nach Bauer42 eine didaktisch gemeinte Absage an die

höfische Gesellschaft und ihre unablässige Gier nach sinnlos-krie-gerischen Abenteuern zu sehen. Doch nicht nur das: Die Ehefrau Hildebrands wird als bürgerlicher Gegenentwurf zur adligen Kriemhild aufgefasst. Hildebrands Frau ist ehrbar – bieder! – und lässt sich – das ist implizit gemeint – nicht dazu herbei, fremde Männer zum Lohn für kriegerische Taten zu küssen. Noch eindeu-tiger wird dieser Zug im Gedruckten Heldenbuch vom Ende des 15. Jahrhunderts, der mindestens mittelbaren Vorlage des Recken-spiels.

sie wolt in helssen vnd kissen das was dem recken leit Da sprach hiltbrant der alte das h!ren werck sol nit sein ich will es heim behalte der lieben haußfrawen mein mit trüw ist sie gebrisen vnd auch mit frümkeit warumb sölt ich dann kisen

ein vngetrüwe meit (RG HB, 675, 37–676,5)

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Das helssen vnd kissen der Hofgesellschaft – in der klassischen Literatur stößt sich niemand an so etwas – wird hier von Hilde-brand mit scharfen Worten als h!ren werck getadelt und wieder ist die eigene Ehefrau das (bürgerliche) Gegenbild, die in Treue und Ehrbarkeit (frümkeit) eingefasst ist (wie ein Edelstein) und der ge-genüber Kriemhild als Landesherrin dargestellt wird, die ihre Pflichten nicht richtig erfüllt (vngetrüwe43), sondern aus Mutwillen

das Turnier mit seinen vielen Todesopfern anzettelt. 270 Jahre vor Lessings Emilia Galotti und Schillers Kabale und Liebe sehen wir hier zwar kein bürgerliches Trauerspiel, aber doch eine erste An-deutung der Gegensätze zwischen dem Adel und seiner hoffsit und dem gerade erst zu einigem Selbstbewusstsein erwachten städti-schen Bürgertum, das sich vom Adel abgrenzt.

6. Schluss: Soziologische Begründung

„Es sind in vielen Fällen Nicht-Adelige, die schon früh die Dis-krepanz von Ideal und Wirklichkeit erkennen“.44 Die klassischen

Ideale der höfischen Ritterlichkeit erlebten am Ausgang des Mit-telalters ihre letzte Blüte und eine veritable Krise, die schließlich auch zu ihrem Untergang führte. Auf der einen Seite sehen wir Kaiser Maximilian mit seiner Betonung des ritterlich-höfischen Elements, seiner Sammlung hochmittelalterlicher Ritterepen im Ambraser Heldenbuch, seiner eigenen Stilisierung als Ritter im Weißkunig und im Theuerdank, seine Darstellung als universeller – quasi staufischer – Kaiser in Triumphzug und Ehrenpforte und schließlich seiner maßlosen Grablege in der Hofkirche in Inns-bruck, sowie den Monumenten Wappenturm und Goldenes Dachl ebendort.45

43 DWB 24, 1951-1956, ‚untreu‘: Die Grundbedeutung ist ‚ein

Pflicht-verhältnis verletzend.‘

44 Weinacht: „Hürnen Seyfrid“, S. 172f.

45 Vgl. dazu: Wiesflecker, Hermann: Maximilian I. Die Fundamente des habsburgischen Weltreiches. Wien, München 1991; Palme, Rudolf: „Frühe

Neuzeit (1490-1665)“. In: Geschichte des Landes Tirol. Hg. von Josef Fontana, Peter W. Haider u.a. Bd. 2: Die Zeit von 1490 bis 1848. Bearb. von Rudolf Palme, Georg Mühlberger und Josef Fontana. Bolzano / Bozen 1986, S. 3-287; Amann, Klaus: „Kaiser Maximilians erfolgreiches alter ego im Kampf um weltliche und geistliche Macht. Zum Priesterkönig Johannes im Ambraser

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Andererseits hat für den Historiker Hermann Wopfner, der die Situation in Tirol am Ausgang des Mittelalters schon 1908 unter-sucht hat, der Adel „seine alte Bedeutung für das Kriegswesen verloren, die Ritterheere waren den Schweizerbauern unterlegen. […] War demnach die Bedeutung des ritterlichen Adels auf der ganzen Linie im Schwinden begriffen, so mußte auch seine privi-legierte Stellung ungerechtfertigt erscheinen.“46

Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass das Reckenspiel nicht in Tirol entstanden ist, was sogar eher unwahrscheinlich ist: Im Rest Deutschlands sah es nicht besser aus. Heinz Dopsch sieht im Raubrittertum den „letzte[n] Ausweg“ des niederen Adels, seinen Verlust der Schutzfunktion für die Bauern (und Bürger) zu kom-pensieren.47 Dass die Zustände tatsächlich von Willkür und Gewalt

geprägt waren, ist mehr als nur ein Klischee. Gerade für die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert sind sich die Historiker offenbar darin einig, dass in weiten Teilen Deutschlands oft das Faustrecht herrschte und dieses wurde gewohnheitsmäßig von herunterge-kommenen Rittern und adligen Condottieri ausgeübt, gegen die kaiserliche oder landesherrliche Macht oft nur wenig auszurichten wussten. Im Gegenteil: auch die Fürsten hielten sich „Banden rit-terlichen Standes, abgedankte Landsknechte, Gewalttäter, Wegela-gerer und Erpresser“,48 die sie für ihre Zwecke einsetzten. Und

selbst Kaiser Maximilian bediente sich mehr als einmal der Dienste so berüchtigter Söldnerführer wie die – historisch gesehen – zu Unrecht zu hohen literarischen Ehren gekommenen Götz von Berlichingen oder Franz von Sickingen, der von Hermann Wiesflecker als „militärischer Großunternehmer“49 bezeichnet

wird. Weiters führt er aus: „Wilde Fehden, Mord und Straßenraub, Unfriede und Unrecht waren die Geißeln dieser Zeit.“50 Fälle, die

vor Gericht gehört hätten, wurden „als Fehden oder Kleinkriege

Heldenbuch“. In: cristallîn wort. Rahmenthema Das ‚Ambraser Heldenbuch‘.

Hg. von Waltraud Fritsch-Rößler. Berlin, Wien etc. 2007, S. 129-148.

46 Wopfner, Hermann: Lage Tirols, S. 81.

47 Dopsch, Heinz: „Epoche – sozialgeschichtlicher Abriß“. In: Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Hg. von Horst Albert Glaser. Bd. 2: Von der Handschrift zum Buchdruck: Spätmittelalter, Reformation, Humanismus. Hg.

von Ingrid Bennewitz und Ulrich Müller. Reinbek bei Hamburg 1991, S. 9-31, Zitat S. 19.

48 Wiesflecker: Maximilian I., S. 247f. 49 Ebd., S. 249.

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ausgefochten“ und das auf dem Rücken der Bauern aber auch der Städte, die, je reicher sie waren, sich in besonderem Maße der Raubritter zu erwehren hatten: „Um die reichen Städte und großen Handelsstraßen kreisten ganz Rudel solcher Raubtiere. Das reiche Nürnberg war ein besonders beliebtes Opfer“.51

Bezeichnenderweise wird im Rosengarten A, also schon im 13. Jahrhundert, extra darauf hingewiesen, dass die Berner Helden, als sie nach Worms reiten, den Bauern nichts wegnehmen, sondern ihre eigenen Vorräte aufzehren, sich also so verhalten, wie es auch den höfischen Normen entsprechen würde.

Dô riten gein dem Rine die sehzec tûsent man. sie sâhen manegen bûren neben in ze acker gân. dirre herren site was guot und wol geriht: keime armen manne nâmen sie des sînen niht. Die vürsten und die herren dô hêten rehten muot:

swâ sie hin reisten, dâ zerten sie ir eigen guot. (RG A, Str. 165– 166)

250 Jahre später war die wirtschaftliche, militärische und kultu-relle Dominanz des Adels endgültig gebrochen. Das städtische Pa-triziat war „[a]n Macht und Besitz dem Landadel oft weit überle-gen“. Die Stadtkultur trat „in Wettstreit mit der bis dahin allein dominierenden Kultur der Kirche und des Adels“52 und aus dieser

Haltung heraus konnten selbst strahlende Helden wie Siegfried als klobige und unbeholfene Tolpatsche verlacht werden und anderer-seits mutieren altgermanische Recken wie Hildebrand zu Vor-kämpfern frühbürgerlicher moralischer Normen.

51 Wiesflecker: Maximilian I., S. 247f. 52 Dopsch: „Epoche“, S. 22.

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FULVIO FERRARI

DIE NIBELUNGEN NACH DEM STURM: MAX MELLS CHRISTLICHE INTERPRETATION DES NIBELUNGENLIEDES Schon seit dem Anfang der modernen Rezeptionsgeschichte des Nibelungenstoffs scheint das Theater eine entscheidende Rolle darin gespielt zu haben. Auch wenn wir hier die frühneuzeitliche dramatische Bearbeitung von Hans Sachs nicht berücksichtigen wollen, sind die ersten, bedeutenden Werke, in denen die alte Sage für ein modernes Publikum bearbeitet wird, für die Bühne oder zumindest in dramatischer Form geschrieben. In drei Heldenspiele unterteilt ist nämlich Friedrich de la Motte Fouqués Der Held des Nordens, 1810 herausgegeben: der Text, der gewöhnlich als Aus-gangspunkt der modernen Rezeption der Sage betrachtet wird. Theatralische Texte sind auch Ernst Raupachs Der Nibelungen-hort, 1828 uraufgeführt, und Emmanuel Geibels Brünhild, von 1857. Beide sind jetzt fast vollkommen vergessen, erreichten aber großen Erfolg zur Zeit ihrer Komposition. Für die Bühne bestimmt sind auch die berühmtesten Nibelungenbearbeitungen des 19. Jahr-hunderts: Wagners Tetralogie Der Ring des Nibelungen und Fried-rich Hebbels Trauerspiel Die Nibelungen. Diese Tradition ist übri-gens noch stets lebendig und produktiv, wie die neuen Bearbeitun-gen von Moritz Rinke und John von Düffel beweisen.

Wenn ich das Drama in zwei Teilen Der Nibelunge Not von Max Mell für meine Überlegungen im Rahmen unserer heutigen Diskussion über literarische Bearbeitungen gewählt habe, ist das darauf zurückzuführen, dass dieses Werk in einer Übergangsphase zwischen zwei verschiedenen Epochen der Rezeptionsgeschichte des Nibelungenstoffs geschrieben und aufgeführt wurde, eine Übergangsphase die darüber hinaus von tragischen historischen Er-eignissen verursacht und gekennzeichnet wurde. Der erste Teil wurde nämlich am Wiener Burgtheater am 23. Januar 1944 urauf-geführt, während der zweite Teil erst nach dem Ende des Krieges

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am selben Theater, aber in einem vollständig veränderten histori-schen Zusammenhang, am 8. Januar 1951, seine Premiere hatte. Die Uraufführung des ersten Teils fand also fast genau ein Jahr nach der berühmten Rede Görings am 30. Januar 1943 statt, in der der Reichsmarschall die deutschen Soldaten, die um Stalingrad kämpften, mit den kämpfenden Burgunden in Etzels Halle ver-glich.1 Görings Rede stellte eigentlich nur den Gipfel des

Miss-brauchs der Nibelungensage in der nationalsozialistischen Propa-ganda dar. Eben die nationalsozialistische Aneignung der Sage wirft aber die Frage auf, warum Max Mell, sowohl während des Krieges wie auch in der Nachkriegszeit, gerade diesen Stoff für eine dramatische Bearbeitung auswählte. Die Frage ist umso be-rechtigter, weil auch die Kritiker, die sich negativ über Mells Werk und seine politische Stellung dem Nationalsozialismus gegenüber ausgedrückt haben, in seinem Nibelungendrama keine – zumindest offene – propagandistische Intention haben erkennen können. Karl Müller, zum Beispiel, schreibt: „Bei dem 1944 uraufgeführten Ni-belungen-Drama konnte man zwar von offen nazistischer Propa-ganda nicht reden“;2 und Friedbert Aspetsberger: „Mells Drama

hat aber außer dem Stoff mit den Vorstellungen des NS-Regimes nicht viel gemein“.3

Um dieses Problem zu erörtern, glaube ich, ist es notwendig, sowohl Mells Äußerungen über den Sinn seiner Bearbeitung wie auch seine persönliche Geschichte und seine Einstellung dem Na-tionalsozialismus gegenüber in Betracht zu ziehen. In einem Brief an Katharina Kippenberg vom 3. Mai 1944 schreibt er in Bezug auf den ersten Teil des Dramas:

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1 Vgl. Krüger, Peter: „Etzels Halle und Stalingrad: Die Rede Görings vom

30.1.1943“. In: Die Nibelungen. Ein deutscher Wahn, ein deutscher Alptraum.

Studien und Dokumente zur Rezeption des Nibelungenstoffs im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. v. Joachim Heinzle u. Anneliese Waldschmidt. Frankfurt am

Main 1991, S. 151-190.

2 Müller, Karl: Zäsuren ohne Folgen. Das lange Leben der literarischen An-timoderne Österreichs seit den 30er Jahren. Salzburg 1990, S. 308.

3 Aspetsberger, Friedbert: „Versuchte Korrekturen. Ideologie und Politik im

Drama um 1945“. In: Literatur der Nachkriegszeit und der fünfziger Jahre in

Österreich. Hg. v. Friedbert Aspetsberger, Norbert Frei u. Hubert Lengauer.

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Ich glaube, ich habe die wirklich tragischen Elemente des Stoffes herausge-holt wie vor mir noch niemand und sie in die strenge Form gebracht wie sie meiner künstlerischen Anschauung entspricht.4

Und in einer Notiz in seinem Tagebuch schreibt er am 24. No-vember 1946:

Ich suche den Stoff in allem menschlich zu durchdringen und alles, wie sich die Menschen zueinander stellen, festzustellen u. deutlich zu setzen. Ich finde da manches anders notwendig als in Nib.-Lied steht. Da erträgt man das eiserne Dastehen der Gestalten, das Goethe nicht berührte u. das er nur furchtbar fand. Auf der Bühne aber sind nur menschliche Beziehungen möglich. Daher im Drama alles anders: die Schwierigkeit ist hier nun darin, diese menschlichen Bezüge ganz durchzuführen, ohne der Sage ihre Größe zu nehmen, ohne etwas heranzubringen, was wie ein Drama zwischen Privatleuten aussieht.5

Die (bewusste) Absicht scheint also zu sein, einerseits die Ge-schichte des Nibelungenliedes im Theater darstellbar zu machen, andererseits den Personen und ihren wechselseitigen Beziehungen Glaubwürdigkeit zu verleihen, sodass die im Epos dargestellten Ereignisse besser und vollständig motiviert werden.6 Dieser

weit-gehend psychologische, im Grund genommen realistische Ansatz entzieht sich zweifellos der vorherrschenden Nibelungen-Rhetorik des Regimes, und in diesem Sinn ist Werner Hoffmanns Ansicht berechtigt, Max Mell habe sich den Verzerrungen der nationalso-zialistischen Propaganda entgegengesetzt: „It is clear that the conservative author Max Mell intended to counter the distorsions of the Nibelungenlied by the Nazis with a more faithful reading of the text, as he understood it.“7

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4 Binder, Christoph Heinrich: Max Mell. Beiträge zu seinem Leben und Werk. Graz 1978, S. 72.

5 Ebenda.

6 Stahel, Renée Liliane: Max Mells Tragödien. Zürich 1967, S. 44. Über die

Dramatisierungstechnik Max Mells vgl. auch Brinkmann, Hennig: „Das Nibe-lungenlied als Tragödie. Bemerkungen zu der Nibelunge Not von Max Mell“. In: Wirkendes Wort, 3 (1952-1953), S. 224-227, und Guder, G.: „Der Ni-belunge Not. A New Drama by Max Mell“. In: German Life & Letters, 8 (1954-1955), S. 285-292.

7 Hoffmann, Werner: „The Reception of the Nibelungenlied in the

Twentieth Century“. In: A Companion to the Nibelungenlied. Hg. v. Winder McConnell. Columbia S. C. 1998, S. 127-152, Zitat S. 136.

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