Einleitung
Überschreitet oder erreicht das Harnblasenkarzinom die Grenze der Blasenmuskulatur, steigt die Wahr- scheinlichkeit einer weiteren lokalen Progression und/oder Metastasierung rapide an. Im Gegensatz zu den oberflächlichen Tumoren der Harnblase gilt die radikale Zystektomie in diesen Fällen heutzutage als Goldstandard. Die lokale Effektivität bei auf das Organ begrenzten Tumoren ist hoch, wie zahlreiche Serien weltweit eindrucksvoll belegen. Wird das Sta- dium pT3a überschritten, zeigen sich jedoch schlech- tere Überlebensraten (Gschwend 2002). Da einerseits für einen Teil der Patienten dieses Verfahren nicht in Frage kommt oder der Eingriff abgelehnt wird und andererseits 50% aller zystektomierten Patienten im weiteren Verlauf an einer hämatogenen Metasta- sierung versterben (Gschwend 2002; Mameghan et al. 1992; Lerner et al. 1992; Kulkarni 2003), ist die Frage nach Alternativverfahren gerechtfertigt. Im Folgenden werden die heute zur Verfügung stehen- den Techniken kritisch bewertet.
Radikale Zystektomie
Die radikale Zystektomie in Kombination mit einer pelvinen Lymphadenektomie ist ein hocheffektives Verfahren in der Therapie des muskelinvasiven, kli- nisch organbegrenzten Blasenkarzinoms. Dies wur- de in zahlreichen Serien belegt (Bassi 2000; Blandy
et al. 1984; Bollack et al. 1989; Bosl et al. 1994; Chang et al. 2001; Frazier et al. 1992; Gschwend 2002; Gsch- wend et al. 2000; Lebret et al. 2000; Mathur et al. 1981;
Montie et al. 1984; Roehrborn et al. 1991; Skinner et al. 1984; Stein et al. 2001). Liegt ein nur oberfläch- lich infiltrierender Tumor (pT2a) ohne Lymphkno- tenmetastasierung vor, besteht eine ausgesprochen gute Prognose (mittlere Fünfjahresüberlebensra- te ca. 75%). Zeigt der pathologische Befund ein organüberschreitendes Wachstum, so verschlech- tert sich die Prognose für den Patienten deutlich.
Gleiches gilt für das Vorliegen einer Lymphknoten- metastasierung (Amling et al. 1994; Gschwend 2002;
Gschwend et al. 2000; Lebret et al. 2000; Stein et al. 2001; Stein 2000; Takashi et al. 1989, 1992). Die Optimierung der operativen Technik, verbunden auch mit dem Einsatz neuerer Instrumente (Stapler, Elektrische Schere, Ligasure-Gerät u. a.; Dubuc-Lis- soir 2003; Landman et al. 2003; Matthews et al. 2001;
Heniford et al. 2001) sowie ein verändertes Anästhe- sie-Management (Ahlering et al. 1983; Parekh et al.
2002; Ryan 1982; Whalley u. Berrigan 2000) haben dazu beigetragen, dass die perioperative Mortalität heutzutage nur noch bei 1–4% liegt und die Morbi- dität akzeptable Werte erreicht hat (Gschwend 2002;
Gschwend et al. 2000; Finlayson u. Birkmeyer 2001;
Chang et al. 2002a,b). Finlayson zeigte dabei, dass die Mortalität eine Altersabhängigkeit zeigt (Finlay- son u. Birkmeyer 2001; ⊡ Tabelle 7.1).
Akute Komplikationen können dabei durch die Komorbidität, durch die Zystektomie bzw. die Ex-
Therapie des muskelinvasiven und des lokal fortgeschrittenen Blasenkarzinoms im Jahr 2004
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enteration im kleinen Becken oder durch die Ver- wendung des Darmsegmentes für die Harnablei- tung bedingt sein. Spätkomplikationen betreffen in den meisten Fällen die Harnableitung (Bassi 2000;
Chang et al. 2001; Lerner et al. 1992; Parekh et la.
2002; Cancrini et al. 1996; Game et al. 2001).
Erste Berichte über eine radikale Zystektomie in laparoskopischer Technik, z. T. mit Anlage der Harnableitung ebenfalls in laparoskopischer oder roboterassistierter Technik, zeigen vielversprechen-
de Ergebnisse. In Anbetracht der kurzen Nachbeo- bachtungszeit und der geringen Patientenzahl kann dieses Verfahren jedoch noch nicht als ebenbürtig zum Standard der offenen radikalen Zystektomie eingestuft werden (Turk et al. 2001a,b; Beecken et al.
2003; Menon et al. 2003; Simonato et al. 2003; Smith 2003; Peterson et al. 2002; Abdel-Hakim et al. 2002;
Matin u. Gill 2002).
Durch die heute übliche, sehr frühzeitige Mobi- lisation ist die Wahrscheinlichkeit der Ausbildung einer tiefen Beinvenenthrombose ebenso wie die der Ausbildung einer Atelektase und/oder Pneumonie deutlich gesunken. Das Risiko einer Lungenarterie- nembolie liegt bei 2%.
Analog zum heutigen Vorgehen bei der radi- kalen Prostatektomie kann die radikale Zystekto- mie bei Männern mit erhaltener Potenz inzwischen ebenfalls nach den von Shlegel, Walsh und Marshall veröffentlichten Modifikationen nerverhaltend ope- riert werden (Schlegel u. Walsh 1987; Walsh 1987;
Marshall et al. 1991). Dies führt über die o. g. Fak- toren hinaus zu einer verbesserten Akzeptanz des Eingriffs. Analog zu den Daten nach Durchführung einer radikalen Prostatektomie ist dabei der ent- scheidende Faktor für den erfolgreichen Erhalt der Potenz das Alter des Patienten. Bei Patienten unter 60 Jahren sind die Ergebnisse deutlich besser, bei Patienten über 70 Jahre deutlich schlechter (Schoen- berg et al. 1996; ⊡ Tabelle 7.2).
⊡ Tabelle 7.1. Altersabhängige Mortalität bei der Zys- tektomie. (Mod. nach Finlayson et al. 2001)
Alter [Jahre] Prozent 65–69 2,3
70–74 3,7
75–79 5,5
80–84 7,5
85–99 9,3
Gesamt 4,4
⊡ Tabelle 7.2. Potenz nach nerverhaltender radikaler Zystektomie. (Mod. nach Schoenberg et al. 1986)
Pathologisches 20–29 Jahre 40–49 Jahre 50–59 Jahre 60–68 Jahre 70–79 Jahre Gesamt Stadium
pT0 – 2/2 5/7 2/4 – 9/13 (69%)
pTa – 1/2 – 1/3 – 2/5 (40%)
pTis – – 0/2 2/6 – 2/8 ( 25%)
pT1 – 2/3 0/2 2/4 – 4/9 (44%)
pT2 – 2/2 1/2 1/1 – 4/5 (80%)
pT3a – 1/2 1/1 – 0/1 2/4 (50%)
pT3b – 0/2 1/4 1/3 1/4 4/14 (29%)
pT4 1/1 – 1/1 – – 1/1 (100%)
Gesamt 1/1 (100%) 8/13 (62%) 9/19 (47%) 9/21 (43%) 1/5 (20%) 28/59 (48%)
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Operative Technik der radikalen Zystektomie beim Mann
Um die Dauer des transperitonealen Vorgehens auf das Ausschalten des ilealen Darmsegments zu begrenzen, bevorzugen wir ein primär extraperitone- ales Vorgehen analog zur radikalen Prostatektomie.
Oft gelingt es, das Peritoneum bis zur endgültigen Entnahme des Präparates inklusive der Lymphaden- ektomie geschlossen zu halten (Kulkarni et al. 1999;
Serel et al. 2003). Zunächst wird eine pelvine Lymph- adenektomie im Bereich der externen und internen Iliakalgefäße sowie der Fossa obturatoria durch- geführt. Anschließend werden die Harnleiter beid- seits aufgesucht und bis zum Trigonum präpariert.
Danach wird die endopelvine Faszie eröffnet und die Prostata analog zur radikalen Prostatektomie prä- pariert. Nun werden die lateralen Blasenpfeiler zwi- schen Ligaturen, Clips oder LigaSure-Schweißstellen durchtrennt und das Präparat entnommen. Liegt präoperativ keine Probe der prostatischen Harnröh- re vor, so sollte die Tumorfreiheit der Urethra intra- operativ mittels Schnellschnitt untersucht werden.
Ist sie befallen, so muss eine Urethrektomie durch- geführt werden (Lebret et al. 1998; Wood et al. 1989;
Freeman et al. 1994; Ahlering et al. 1984), vorzugs- weise über den präpubischen Zugangsweg (Zhang 1997; Hiebl et al. 1999). Dies erspart eine Umlagerung des Patienten und eine weitere Operationswunde im Perineum. Nach Anlage der Harnableitung kann in vielen Fällen das Peritoneum wieder verschlossen werden. Diese Rekonstruktion der Kompartimente trägt dazu bei, die Morbidität zu senken. Kommt es zu einer Urinleckage, einer Hämatom- oder Abszess- bildung im Verlauf, so handelt es sich um ein rein extraperitoneales Problem, das in vielen Fällen ohne operative Intervention z. B. durch eine Pigtail-Einla- ge erfolgreich behandelt werden kann.
Operative Technik der radikalen Zystektomie bei der Frau
Im Gegensatz zur Operation beim Mann wird pri- mär transperitoneal vorgegangen. Eine Ovarektomie sowie Hysterektomie werden routinemäßig durch- geführt. Bei jüngeren Frauen können jedoch ohne Erhöhung des onkochirurgischen Risikos die Ova- rien erhalten werden (Chang et al. 2002c; Horenblas et al. 2001). Zusätzlich wird das vordere Vaginaldach reseziert. Nach Eröffnung der Vagina im Fundus werden die Blasenpfeiler zwischen Ligaturen, Clips oder LigaSure-Schweißstellen schrittweise durch-
trennt. Das Vaginaldach wird nun nach distal bis zum Meatus urethrae, der umschnitten wird, rese- ziert (⊡ Abb. 7.1). Nach Entfernung des Präparates wird die Vaginalwand mit einer quer verlaufenden Naht fortlaufend wieder verschlossen (⊡ Abb. 7.2).
⊡ Abb. 7.2. Vaginalrekonstruktion durch Vernähen des umge- schlagenen kranialen Abschnitts der Vaginalwand mit den Resektionsrändern. (Mit freundl. Genehmigung aus Wammack 1997)
⊡ Abb. 7.1. Situs nach Entnahme des Operationspräparates mit Resektion der Vaginalvorderwand. (Mit freundl. Genehmi- gung aus Wammack 1997)
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Ist ein orthotoper Blasenersatz geplant, so sollte allerdings nicht nur die Urethra, sondern auch die Vaginalwand erhalten bleiben. Dies erhöht die Wahr- scheinlichkeit einer suffizienten Miktion (Stenzl u.
Holtl 2003; Chang et al. 2002d). Ein Wachstum des Karzinoms im Bereich des Blasenhalses geht mit der erhöhten Wahrscheinlichkeit eines Befalls der Ureth- ra einher. Eine Metaanalyse zeigte allerdings jüngst, dass der Befall der weiblichen Urethra mit 3,6%
wesentlich unwahrscheinlicher ist als bei Männern mit 6,2% (Stenzl et al. 2002). Die Tumorfreiheit des Blasenhalses als proximalem Absetzungsrand und der verbleibenden Urethra sollte intraoperativ mit Hilfe eines Kryoschnittes gesichert werden (Stenzl u.
Holtl 2003; Darson et al. 2002).
Pelvine Lymphadeneketomie
Die pelvine Lymphadenektomie ist ein integraler Bestandteil der radikalen Zystektomie. Sie ermög- licht einerseits ein exaktes Staging (Herr 2003), andererseits führt die Entfernung gering tumorbe- fallener Lymphknoten zu höheren Überlebensraten (Gschwend 2002; Roehrborn et al. 1991; Skinner u.Lieskovsky 1984; Mills et al. 2001 )1,15,63–65. Die Wahrscheinlichkeit einer Lymphknotenmetas- tasierung steigt mit dem lokalen Fortschritt der Erkrankung (pT2a 10,5%, pT2b 26,7%, pT3b 58%, pT4 90%) (Leissner et al. 2000). Smith zeigte, dass bei Patienten, die eine radikale Zystektomie erhiel- ten, vor allem die Lymphknoten der Obturatori- us-Loge und der Iliaca-externa-Region betroffen sein können. Die Gruppe der Lymphknoten entlang der A. iliaca communis und die präsakrale Gruppe sind nur selten involviert. Aus diesem Grund kann auf die Entfernung der Lymphknoten in diesen Bereichen verzichtet werden (Smith u. Whitmore 1981). Sherif berichtete erstmals von der Möglich- keit, Metastasen in Sentinellokalisationen nachzu- weisen. Die geringe Patientenzahl der Studie lässt jedoch noch keine weitergehende Beurteilung zu (Sherif et al. 2001).
Transurethrale Resektion
Wenngleich einige Autoren bis in die späten 90er- Jahre des letzten Jahrhunderts große Serien prä- sentieren, in denen Patienten durch eine alleinige
»radikale« transurethrale Resektion Fünfjahresü- berlebensraten erreichten, die mit der offenen Chir- urgie vergleichbar sind (Solsona et al. 1998; Roosen
et al. 1997; Henry et al. 1988; Herr 1987), so muss diese Technik dennoch als verlassen bezeichnet wer- den. Prinzipiell erlaubt die primäre transurethrale Operation bei pT2-Tumoren in 47% eine Resektion ins Gesunde, weitere 30% sind durch bis zu drei Nachresektionen zu entfernen. Liegt ein organüber- schreitendes Wachstum vor, so kann nur noch in 40% Tumorfreiheit erzielt werden. Die erhebliche Gefahr eines Understagings von 50% bedingt eine komplizierte Selektion. Zudem hat sich gezeigt, dass das Auftreten eines schlecht differenzierten Rezi- divs die Fünfjahresüberlebenswahrscheinlichkeit um mindestens 20% senkt. Als alleinige Maßnah- me kann die TUR daher nur bei kleinen, gut dif- ferenzierten, jedoch muskelinvasiven Tumoren in Betracht gezogen werden (Herr 2001). Diese Tumor- konstellation ist jedoch höchst selten. Wird eine Radiochemotherapie (s. unten) geplant, ist in jedem Fall eine transurethrale R0-Resektion anzustreben (Dunst et al. 2001; Rodel et al. 2002).
Harnblasenteilresektion
Eine Harnblasenteilresektion hat heute nur noch in ausgewählten Einzelfällen ihren Platz: Divertikel- karzinome, kleine Tumore der Vorderwand oder des Blasendaches bei Patienten in grenzwertigem Allgemeinzustand oder hohem Alter sowie Tumo- re, die ausschließlich das Ostium betreffen, sodass eine Harnleiterneuimplantation notwendig wird.
Weiterhin kann sie eine Therapievariante bieten, wenn eine TUR, z. B. wegen Koxarthose o. Ä. nicht möglich ist. Die Indikationsstellung beschränkt sich heute jedoch auf weniger als 5% der Fälle. Größere Serien stammen aus den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts und zeigen schlechtere Fünfjahres- überlebensraten als nach radikaler Zystektomie (25–
60%) (Pontes u. Lopez 1984; Resnick u. O’Conor 1973; Sweeney et al. 1992; Utz et al. 1073). In jedem Fall sollte die Einhaltung eines Sicherheitsabstan- des von ca. 1 cm möglich sein. Die Tumorfreiheit der Absetzungsränder sollte intraoperativ mittels Schnellschnitt bewiesen werden.
Neoadjuvante Chemotherapie
Ob eine neoadjuvante Chemotherapie vor geplan- ter radikaler Zystektomie Vorteile bringt, wird kontrovers diskutiert. Einerseits könnte sie eine Operation durch die Verkleinerung eines grenz- wertig operablen Tumors überhaupt erst ermögli-
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chen und zudem die Chemosensitivität des Tumors demonstrieren. Andererseits wird das Gesamtüber- leben wahrscheinlich nur minimal beeinflusst. Es gibt Hinweise, dass eine Mikrometastasierung mit kleinem Tumorvolumen durch eine neoadjuvante Behandlung kontrolliert werden kann (Raghavan et al. 1984; Fagg et al. 1984; Soloway et al. 1981). Die mit Abstand besten Resultate wurden jüngst von Grossman et al. beschrieben. In der prospektiven, randomisierten Studie an 317 Patienten wurde eine neoadjuvante Therapie mit MVAC mit konsekutiver Zystektomie gegen eine alleinige Zystektomie ver- glichen. Die Ergebnisse dieser Studie müssen aller- dings erheblich in Frage gestellt werden, da nur ein einseitiges Testverfahren angewendet wurde. Die Autoren beschreiben eine signifikante Verlängerung des medianen Überlebens von 46 auf 77 Monate.
Die Fünfjahresüberlebensrate lag bei 57% gegenüber 43% in der Kontrollgruppe. Besonders erfolgreich war die Therapie bei den Patienten, bei denen im Zystektomiepräparat ein Stadium pT0 bestand. In dieser Subgruppe wurde sogar ein medianes Fünf- jahresüberleben von 85% erreicht. Die Applikati- on der MVAC-Chemotherapie senkte das Risiko, an der Tumorerkrankung zu versterben, um 33%
(Grossmann et al. 2003). Eine aktuelle Metaanalyse zeigte hingegen schlechtere Ergebnisse: Randomi- sierte Studien mit einer platinhaltigen neoadjuvan- ten Chemotherapie an insgesamt 2688 Patienten wurden auf ihren Effekt hin untersucht. Es ergab sich ein Fünjahresüberlebensvorteil von nur 5% bei Patienten, die eine medikamentöse Kombination mit Cisplatin erhalten hatten. Wird Cisplatin als Monotherapie eingesetzt, besteht kein signifikanter Überlebensvorteil (Anonymus 2003). Die Toxizität der Therapie und damit die Lebensqualität wird im Rahmen der Analyse jedoch nicht beurteilt. Im Übrigen muss bedacht werden, dass die histopatho- logische Beurteilung und damit das exakte Staging durch eine neoadjuvante Therapie beeinträchtigt wird. Es bleibt daher weiterhin unklar, welcher Pati- ent einen Vorteil von einer Vorbehandlung haben könnte (Stadler u. Lerner 2003). Junge Patienten ohne Komorbidität profitieren wahrscheinlich von dieser Therapie, allerdings sind die Vorteile einer primären Operation, eines genauen Stagings und gegebenenfalls einer adjuvanten Therapie mög- licherweise noch höher. Ältere, schon wegen der Komorbidität nicht operable Patienten erleiden unter Umständen eine Einschränkung der Lebens- qualität durch die Therapie selbst als Preis für einen minimalen Überlebensvorteil. Kritisch muss wei- terhin bemerkt werden, dass es in o. g. Metaanalyse
scheint, der Vorteil der medikamentösen Therapie sei unabhängig von der Art der lokalen Therapie (Radiatio oder Operation). Unbestritten ist jedoch, dass die lokale Tumorkontrolle bei einer Zystekto- mie höher ist als bei einer Bestrahlung. Das Risiko eines Lokalrezidivs ist entsprechend geringer (Sta- dler u. Lerner 2003; Lerner u. Skinner 2000).
Radiotherapie
Das Urothelkarzinom der Harnblase ist prinzipiell strahlensensibel (Dunst et al. 2001; Rodel et al. 2002;
Wijnmaalen et al. 1997). Ob eine alleinige Strahlen- therapie jedoch vergleichbare Ergebnisse wie eine radikale Zystektomie erwarten lässt, kann nicht abschließend beurteilt werden. Es gibt keinerlei direkte Vergleiche, in denen moderne Methoden der Radiotherapie (primäre 3D-Feld-Bestrahlung) mit der Operation verglichen wurden. Aus älteren Studi- en sind enttäuschende Ergebnisse bekannt (Blandy et al. 1988; Wallace u. Bloom 1976; Jenkins et al. 1988;
Fossa et al. 1988; Hayter et al. 2000). Dies lag jedoch sicherlich zum einen an der ungünstigen Selekti- on, da nur Patienten der Radiotherapie zugeführt wurden, für die keine operative Maßnahme mehr in Frage kam, zum anderen an der gegenüber dem heutigen Standard veralteten Technologie. Heutzu- tage ist durch den Einsatz von Hochvoltgeräten und computergestützter 3D-Planung die Wahrschein- lichkeit von Akut- und Spätreaktionen, vor allem am Dünndarm, zwar gesunken (Mohiuddin et al.
1985), jedoch besteht nach wie vor ein ungünstiges Verhältnis der Nebenwirkungen einer Radiomono- therapie gegenüber der onkotherapeutischen Wirk- samkeit (Shipley et al. 1999). Die alleinige Radiothe- rapie sollte Indikationen rein palliativer Zielsetzung bei inkurablen Tumoren vorbehalten sein.
Radiochemotherapie
Liegen schwerwiegende Faktoren vor, die gegen die Durchführung einer Zystektomie sprechen (erhebli- che Komorbidität, hohes Lebensalter oder der aus- drückliche Wunsch nach Blasenerhalt), müssen bla- senerhaltende Verfahren diskutiert werden. Im Falle eines muskelinvasiven oder lokal fortgeschrittenen Tumors sind Radiotherapie, TUR oder Chemothe- rapie als Monotherapie der radikalen Zystektomie in der Frage der lokalen Tumorkontrolle deutlich unterlegen (Shipley et al. 1999). Bestehen zwar wenig oder keine lokalen Symptome, aber eine Mikrome-
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tastasierung, so kann der Vorsprung der Operation jedoch in den Hintergrund treten. Diese Konstella- tion würde ohnehin den adjuvanten Einsatz einer Chemotherapie implizieren. Weiterhin können Chemotherapeutika synergistisch die Wirkung der Strahlentherapie erhöhen.
Der kombinierte Einsatz der Verfahren (TUR mit Nachresektion, nach Möglichkeit bis zum Sta- tus R0, adjuvante Radiochemotherapie) zeigte eine Fünfjahresüberlebensrate zwischen 49 und 93%. Die besten Ergebnisse wurden dabei von Eapen durch eine intraarterielle Gabe von Cisplatin erzielt. Die Toxizität sei dabei gering (Dunst et al. 2001; Rodel et al. 2002; Shipley et al. 1999; Hussain et al. 2001; Eapen et al. 1998; Rotman et al. 1990). In einigen dieser Stu- dien wurde jedoch im Falle eines Nichtansprechens nach TUR und Radiochemotherapie eine Salvage- Zystektomie durchgeführt. Die Wahrscheinlichkeit eines definitiven Blasenerhaltes lag schließlich nur bei 38–43%. Bei Patienten, die auf die Therapie an- sprachen, war die Prognose gut. ⊡ Tabelle 7.3 zeigt die Ergebnisse der wichtigsten Studien.
Die Toxizität des kombinierten blasenerhal- tenden Vorgehens entspricht den zu erwartenden
Risiken und Nebenwirkungen nach Radiatio und systemischer Chemotherapie (Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Fatigue-Syndrom, Neutropenie, radioge- ne Zystitis, erektile Dysfunktion u. a.). Insbeson- dere die cisplatinhaltigen Schemata weisen hohe emetische Potenz auf. Neuere Chemotherapeutika, eventuell in Kombination mit den bewährten Sub- stanzen, könnten die Aussicht auf eine effektive Therapie bei gleichzeitiger Reduktion der mögli- chen Nebenwirkungen verbessern (Hussain et al.
2002; Hussain u. James 2002).
Es gibt bis dato keine prospektiv randomisier- ten direkten Vergleiche zwischen dem Goldstandard der radikalen Zystektomie und dem o. g. blasener- haltenden, trimodalen Vorgehen. Das ungünstige Verhältnis zwischen unklarer lokaler Tumorkon- trolle und erheblicher Toxizität spricht jedoch ge- gen die blasenerhaltende Kombination. Wegen des schlechten Ansprechens auf die Therapie sollte die trimodale Therapie nicht bei Vorliegen eines Carci- noma in situ angewandt werden. ⊡ Tabelle 7.4 stellt klare Indikationen zur radikalen Zystektomie und Konstellationen, die einen Blasenerhalt prinzipiell erlauben, gegenüber.
⊡ Tabelle 7.3. Erfolg verschiedener Radiochemotherapieregimes
Autor (Jahr) Patienten [n] Therapieregime Ergebnisse [%] CR
Sauer (1990) 67 Cisplatin + RTX 76
Hussain (2001) 53 Cisplatin + 5Fu + RTX 51
Eapen (1998) 24 Cisplatin i.a. + RTX 93
Rotman (1990) 19 5Fu +/– Mito + RTX 74
⊡ Tabelle 7.4. Indikationsstellung für bzw. gegen einen Blasenerhalt
Zystektomie Blasenerhaltende Strategie
Pathologisches Stadium T3/T4 T2
Ausdehnung Multifokaler Tumor oder CIS Monolokulär und kleiner Tumor
Status oberer Harntrakt Harnstauung Keine Harnstauung
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Palliative Maßnahmen bei lokal fortgeschrittenem Tumor
Liegen systemische Metastasen oder ein lokal weit fortgeschrittenes Stadium vor, so ist die Prognose quo ad vitam stark eingeschränkt. Zusätzlich kann eine Reihe von Symptomen auftreten, die eine palli- ative Therapie notwendig machen.
Blutende Tumorblase
Besteht eine Makrohämaturie bei Vorliegen eines metastasierten oder organüberschreitenden Tumors, sollten zunächst alle konservativen Maßnahmen ausgeschöpft werden. Nach instrumenteller Aus- räumung einer evtl. vorliegenden Tamponade und Anlage einer Dauerspülung sollten die Gerinnungs- situation und der Hämoglobinwert überprüft und ggf. korrigiert werden. In vielen Fällen ist bereits zum Ausräumen der Tamponade ein Eingriff in Narkose notwendig. In gleicher Narkose sollte eine transurethrale Resektion, jedoch nur bis in das ober- flächliche Niveau durchgeführt werden. Führen diese Maßnahmen nicht zu einer deutlichen Besserung, sollte als nächstes eine Instillation mit Alaun 1%
(Aluminiumkaliumsulfat) oder bei Versagen mit 1–5% (–10%) Formalinlösung erfolgen. Ein vesikore- naler Reflux muss jedoch im Vorfeld ausgeschlossen werden. Bleibt es trotz aller o.g. Maßnahmen bei der schweren Makrohämaturie, so müssen eine transar- terielle Embolisation des Tumors und als operative Ultima Ratio eine Salvage-Zystektomie in Betracht gezogen werden.
Harnstauung
Eine Harnstauung in der palliativen Situation sollte nur behoben werden, wenn dadurch Symptome ver- schwinden oder der Patient es ausdrücklich wünscht.
Insbesondere im Falle einer ansonsten asymptomati- schen Urämie kann diese Entscheidung sehr schwie- rig sein. Liegen Koliken, eine Infektion vor oder ist eine Chemotherapie in weiterer Folge geplant, so sollte zunächst ein perkutaner Nierenfistelkatheter und/oder ein Doppel-J-Katheter eingelegt werden, s.g. »Tumor-Stents« mit einer möglichen Liegezeit bis zu 35 Monaten bieten dabei die meisten Vor- teil bezüglich der Lebensqualität (Weissbach 2001;
Kulkarni u. Bellamy 2001).
Schmerztherapie
Eine medikamentöse Schmerztherapie sollte groß- zügig nach dem 3-Stufen-Eskalationsschema der WHO verabreicht werden. Die Gabe von Acetylsa- licylsäure oder andere Thrombozytenaggregations- hemmern ist dabei jedoch zu vermeiden.
Palliative Strahlentherapie
Besonders effektiv ist eine Strahlentherapie, die sich gegen durch Knochenmetastasen ausgelöste Schmer- zen richtet. Eine fraktionierte Bestrahlung in hoher Gesamtdosis (z. B. 12-mal 3 Gy) führt schnell zum Erfolg. Mittelfristig kann im betroffenen Bereich auch die Frakturgefahr günstig beeinflusst werden.
Metastasenchirurgie
Können durch begrenzte operative Eingriffe schwe- re Folgeerscheinungen wie Frakturen usw. vermie- den werden, so sollten diese durchgeführt werden.
Die Resektion chemotherapierefraktärer Metasta- sen bietet jedoch insbesondere bei asymptoma- tischen Patienten keinerlei Überlebensvorteil und beschränkt sich daher auf Einzelfälle (Otto et al.
2001).
Chemotherapie mit palliativem Ansatz
In sorgfältiger Abwägung möglicher Risiken und Nebenwirkungen mit der zu erwartenden Symp- tomminderung kann der Einsatz moderner Chemo- therapeutika mit geringer Toxizität (Gemcitabine, Taxane usw.) erwogen werden (Kaufman et al. 2000;
Garcia del Muro et al. 2002).
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