• Non ci sono risultati.

Therapie und Prognose des lymphogen metastasierten Urothelkarzinoms – Stellenwert der Lymphknotenchirurgie und der perioperativen systemischen Chemotherapie. 10

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Condividi "Therapie und Prognose des lymphogen metastasierten Urothelkarzinoms – Stellenwert der Lymphknotenchirurgie und der perioperativen systemischen Chemotherapie. 10"

Copied!
15
0
0

Testo completo

(1)

Im Jahre 1950 beschrieben Leadbetter und Cooper die Technik der regionären Lymphknotenausräu- mung (»pelvine Lymphadenektomie«) als Ergän- zung zur totalen Zystektomie (Leadbetter und Coo- per, 1950). Die Kombination aus pelviner Lymph- adenektomie und totaler Zystektomie wird heute üblicherweise als radikale Zystektomie bezeichnet.

Die Einführung der pelvinen Lymphadenektomie markiert dementsprechend auch den Beginn einer systematischen Auseinandersetzung mit dem The- ma Lymphknotenbefall, denn eine zuverlässige Diagnose von Lymphknotenmetastasen setzt die operative Entfernung der relevanten Lymphknoten- gruppen und die damit verbundene Möglichkeit der histopathologischen Begutachtung voraus. Es brauchte in der Folgezeit aber mehr als drei Jahr- zehnte, bis sich allmählich herauszukristallisieren begann, dass die regionäre Lymphknotenausräu- mung nicht nur eine exaktere Stadieneinteilung des Blasenkarzinoms erlaubt, sondern für den betroffe- nen Patienten vielleicht auch einen therapeutischen Nutzen hat. Bis in die frühen 80er-Jahre hinein lagen die Heilungsraten radikal operierter Patienten mit tumorbefallenen Lymphknoten kaum über 10%

(

⊡ Tabelle 10.1

; Gschwend et al. 2000). Die aussage- kräftigste Arbeit über die Heilungswahrscheinlich- keiten von Patienten aus jener Behandlungsepoche wurde von Smith und Whitmore 1981 veröffentlicht (Smith und Whitmore, 1981): Berichtet wurde über eine Gesamtzahl von 135 radikal zystektomierten Patienten mit Lymphknotenbefall. Von insgesamt

30 Patienten mit dem Tumorstadium pN1 hatten fünf (17%) überlebt, von 104 Patienten mit dem Tumorstadien pN2 bis pN4 (das Tumorstadium pN4 charakterisierte damals den juxtaregionären Lymphknotenbefall und wird in der derzeit gültigen TNM-Klassifikation schon unter der Rubrik M+ als Fernmetastase klassifiziert) überlebten 4 von 104 Patienten (3,8%). Damit lag die Operationssterblich- keit der Zystektomie damals wahrscheinlich höher als die eventuelle Heilungswahrscheinlichkeit der Patienten mit Lymphknotenbefall. Folgerichtig hat sich aus dieser Beobachtung heraus das Konzept etabliert, die pelvine Lymphadenektomie nur als diagnostischen Akt anzusehen. Erwiesen sich im Rahmen einer geplanten radikalen Zystektomie die Lymphknoten in der intraoperativen Schnellschnitt- diagnostik als tumorbefallen, wurde die Operation abgebrochen, weil man das potentielle Risiko für den Patienten höher einstufte als den potentiellen Nutzen.

Bereits ein Jahr nach Smith und Whitmore publizierte Skinner aber eine Serie von 36 Patienten mit tumorbefallenen Lymphknoten, von denen 13 (35%) überlebt hatten (Skinner 1982). Diese Publi- kation markiert den Beginn einer kontroversen Auseinandersetzung über das Thema Lymphkno- tenmetastase, die im Grunde bis auf den heutigen Tag anhält. Skinner interpretierte seine damals als erstaunlich empfundene Heilungsrate als Ergebnis einer besonders sorgfältigen, »metikulösen« Tech- nik der Lymphknotenausräumung. Die meisten Kli-

Therapie und Prognose des lymphogen

metastasierten Urothelkarzinoms – Stellenwert der Lymphknotenchirurgie und der perioperativen systemischen Chemotherapie.

M. Stöckle, J. Lehmann

Lehmann_S1F_2sp.indd 109

Lehmann_S1F_2sp.indd 109 03.09.2004 14:15:1203.09.2004 14:15:12

(2)

10

niken hielten die Arbeit von Skinner im Jahre 1982 aber für nicht reproduzierbar und hielten dem- entsprechend am Konzept des Operationsabbruchs beim Nachweis von Lymphknotenmetastasen fest, einige Kliniken sogar bis zum heutigen Tag. Kriti- scherweise muss man tatsächlich auch einräumen, dass Skinner im Jahre 1982 den therapeutischen Einfluss der Lymphadenektomie sicherlich etwas überschätzt hat: Dies mag z. T. daran gelegen haben, dass nicht alle seine 36 Patienten bereits eine Nach- beobachtungszeit von 5 Jahren hatten, teilweise mag es auch daran gelegen haben, dass ein Teil dieser Patienten bereits frühe und experimentelle For- men der adjuvanten Chemotherapie erhalten hatte.

Die Grenze dessen, was man operativ bei Patienten mit tumorbefallenen Lymphknoten erreichen kann, lässt sich am besten aus einer aktualisierten Arbeit der Skinner-Arbeitsgruppe ablesen: Patienten mit Lymphknotenbefall, die nur operiert, aber nicht adjuvant chemotherapiert waren, hatten »nur«

eine Überlebenswahrscheinlichkeit von 29%, mit adjuvanter Chemotherapie hingegen lag die Überle- benswahrscheinlichkeit bei 39% (Stein et al. 2003).

Es beginnt sich aber allmählich abzuzeichnen, dass eine Salvage-Therapie, bestehend aus Sekundäro- perationen und unter Umständen auch sekundärer Chemotherapie bei Nachweis einer Tumorprogres- sion, diese Grenzen möglicherweise weiter wird verschieben können. Die genannten drei Säulen der Behandlung beim lymphogen metastasierten Tumorstadium (Lymphadenektomie – periopera- tive Chemotherapie – Salvage-Therapie) sollen im Folgenden genauer beleuchtet werden.

Therapeutisches Potential der Lymphadenektomie

Wie bereits erläutert, hat sich der Stellenwert der Lymphknotenausräumung im Rahmen der radika- len Zystektomie während der letzten Jahre allmäh- lich gewandelt. Bis in die frühen 80er-Jahre bestand Konsens, dass ein Lymphknotenbefall beim Blasen- karzinom eine so schlechte Prognose bedeutet, dass eine Radikaloperation nicht mehr gerechtfertigt war, weil die Heilungswahrscheinlichkeit des betroffe- nen Patienten niedriger lag als das Risiko, schon an den Operationsfolgen zu sterben. Die 1982 von Skinner formulierte Hypothese, dass man mit einer

»metikulösen« Lymphadenektomie deutlich besse- re Resultate erzielen könne und dass sich dadurch die radikale Zystektomie auch beim Patienten mit tumorbefallenen Lymphknoten lohne, stieß über Jahre hinweg allenfalls auf verhaltene Akzeptanz. Es dauerte bis in die späten 80er-Jahre, bis einige weite- re Kliniken zumindest das Konzept des Operations- abbruchs beim Lymphknotenbefall aufgaben, was aber im Regelfall nicht damit einherging, dass man auch gleichzeitig der Philosophie Skinners einer aus- gedehnten und sehr sorgfältigen Lymphadenektomie folgte. Der Stellenwert der ausgedehnten Lymphade- nektomie wurde nach wie vor von der Mehrzahl der Autoren skeptisch beurteilt, zumal damit natürlich auch eine Verlängerung der Operationszeit, mög- licherweise auch des Komplikationsrisikos einher- ging. Im Wesentlichen waren es andere Gesichts- punkte, die schrittweise dazu führten, dass man das Konzept des Operationsabbruchs aufgab:

⊡ Tabelle 10.1. Überlebensraten zystektomierter Patienten mit tumorbefallenen Lymphknoten vor 1980

Autoren Periode Patienten pN+ [%] Strata Überleben bei

pN+ >5 Jahre [%]

Whitmore u. Marshal 1962 1940–55 230 55 (24%) Gesamt 4

Dretler et al. 1973 1955–67 302 54 (13%) Gesamt 17

Reid et al. 1976 1966–74 135 24 (18%) Gesamt 26

Bredael et al. 1980 1964–73 174 26 Gesamt 4

Smith u. Whitmore 1981 1966–77 662 134 (20%) pN1 17

pN2 5

pN3 5

pN4 0

Lehmann_S1F_2sp.indd 110

Lehmann_S1F_2sp.indd 110 03.09.2004 14:15:1203.09.2004 14:15:12

(3)

Zum einen lag die Operationssterblichkeit Ende der 80er-Jahre bereits deutlich unterhalb von 10%.

Damit hatte sich, selbst wenn sich an der Prog- nose des lymphknotenpositiven Patienten seit den frühen Arbeiten von Smith und Whitmore nichts geändert haben sollte, zumindest das Schaden-Nut- zen-Verhältnis zum Nutzen gewandelt, selbst wenn die Heilungswahrscheinlichkeit in der Zwischenzeit nicht besser geworden wäre als die dort gezeigten 9 von 134 überlebenden Patienten. Vor diesem Hin- tergrund gewann dann auch der palliative Nutzen der Zystektomie an Bedeutung: Nach einem Opera- tionsabbruch stand den betroffenen Patienten nicht selten ein schmerzhaftes Siechtum bevor, geprägt durch die Komplikationen des lokal fortschreiten- den Primärtumors. Blutungskomplikationen mit Blasentamponaden konfrontierten die Patienten häufig mit unerträglichen Schmerzen. Darüber hi- naus war gelegentlich der Gestank durch nekroti- sche Tumoranteile, die sich teilweise spontan über die Harnröhre entleerten und teilweise auch über Katheter ausgeräumt werden mussten, derart uner- träglich, dass selbst nahe Angehörige Probleme im Umgang mit den betroffenen Patienten hatten.

Demgegenüber genossen zystektomierte Patien- ten, selbst wenn sie durch die Zystektomie nicht geheilt waren, in der Regel einen beschwerdefreien Zeitabschnitt von durchschnittlich 18 Monaten, be- vor es zu Symptomen des Tumorprogresses kam.

Die durchschnittliche weitere Lebenserwartung be- trug dann in der Regel nicht mehr als vier Monate.

Die Beschwerden dieses letzten Lebensabschnittes, zumeist metastasenbedingte Schmerzen, ließen sich durch die morphingestützte Schmerztherapie im Regelfall soweit beherrschen, dass auch eine häus- liche Pflege ohne ständige Hospitalisation möglich war. Es dürfte nicht zuletzt dieser palliative Ge- sichtspunkt gewesen sein, der fast alle deutschen und amerikanischen urologischen Kliniken nach und nach bewogen hat, vom Konzept des Operati- onsabbruches beim Tumorbefall der Lymphknoten Abstand zu nehmen.

Zum zweiten keimte nach dem Aufkommen der systemischen Chemotherapie natürlich auch eine gewisse Hoffnung, die schlechte Ausgangsprognose der Patienten mit tumorbefallenen Lymphknoten vielleicht durch eine perioperative Chemotherapie verbessern zu können. Auch wenn – wie im nach- folgend zu zeigen sein wird – die Geschichte der pe- rioperativen Chemotherapie sicherlich mehr durch Ernüchterung und Zweifel und weniger durch moti- vierende Erfolgserlebnisse geprägt war, genügte im Grunde schon die Hoffnung auf eine zusätzliche Be-

handlungsmöglichkeit, um zu verhindern, dass Pa- tienten mit tumorbefallenen Lymphknoten, wie bis dato üblich, von vornherein aufgegeben wurden.

Die frühen 90er-Jahre waren dann zunächst geprägt durch die Ernüchterung bezüglich der of- fenkundig zu hoch gesteckten Erwartungen an die systemische Chemotherapie. Insbesondere die Er- gebnisse mit der neoadjuvanten Chemotherapie, also der Vorbehandlung der Zystektomiepatien- ten, die von vielen Pionieren der Chemotherapie während der späten 80er-Jahre favorisiert worden war, wurden als enttäuschend empfunden: Ein Teil der Studien zeigte keinerlei Prognoseverbesserung durch die Vorbehandlung, ein anderer Teil nur so geringe Fortschritte, dass dieses Konzept mehr und mehr als perspektivlos empfunden wurde. Auf diese Problematik wird im nächsten Abschnitt genauer einzugehen sein. Hinzu kam weiterhin, dass man schmerzhaft zu begreifen hatte, dass die Chemothe- rapie bei Vorliegen von Fernmetastasen, also bei ih- rer eigentlichen Standardindikation, kein kuratives Potential besaß, sieht man vielleicht von vereinzel- ten Patienten mit Solitärmetastasen oder einem nur minimalen Befall retroperitonealer Lymphknoten ab. Die mit diesen Erkenntnissen einhergehende Ernüchterung bezüglich der Chemotherapie führte dazu, dass die Frage nach der generellen Sinnhaftig- keit dieser Behandlungsmodalität plötzlich durch- aus wieder legitim wurde und man wieder über die Frage nachzudenken begann, ob nicht von einer weiteren Verbesserung des operativen Standards vielleicht sogar ein größerer therapeutischer Nutzen als von der Chemotherapie zu erwarten sein könnte, zumal in der Zwischenzeit für eine Reihe anderer Tumoren wesentlich präzisere Leitlinien und Stan- dards über Technik, Ausdehnung und Stellenwert der Lymphknotenausräumung existieren.

Die dänische Arbeitsgruppe um Poulsen griff als erste diesen alten Gedanken einer Prognosever- besserung durch eine Erweiterung der Lymphkno- tenausräumung wieder auf (Poulsen et al. 1998).

Die Autoren stellten eine persönliche Serie des Er- stautors vor, der von Januar 1990 bis September 1997 bei 194 Patienten eine radikale Zystektomie durchgeführt hatte. Die ersten 68 Patienten, ope- riert bis März 1993, hatten eine Standardlymphade- nektomie erhalten, deszendierend beginnend an der Iliakabifurkation. Bei den anschließend operierten 126 Patienten war eine erweiterte Lymphadenekto- mie durchgeführt worden, an der Aortenbifurka- tion beginnend. Die Fünfjahresüberlebensrate lag bei der Patientengruppe mit ausgedehnter Lymph- adenektomie bei 62%, bei der Patientengruppe mit

Lehmann_S1F_2sp.indd 111

Lehmann_S1F_2sp.indd 111 03.09.2004 14:15:1203.09.2004 14:15:12

(4)

10

Standardlymphadenektomie bei 56%. Dieser Un- terschied war statistisch insignifikant und erlaubt sicherlich in keiner Weise die Schlussfolgerung auf eine verbesserte Heilungswahrscheinlichkeit durch eine Erweiterung der Lymphadenektomie, zumal es einer allgemeinen Erfahrung entspricht, dass bei Vergleichsgruppen aus unterschiedlichen histori- schen Behandlungsjahren immer die Patienten aus der kürzer zurückliegenden Epoche die bessere Hei- lungsrate zu haben scheinen.

Trotzdem sprechen die Autoren bereits im Ti- tel ihrer Veröffentlichung von einem verbesserten Überleben durch die ausgedehnte Lymphadenekto- mie. Als Begründung für diese These verweisen sie auf eine Verbesserung des rezidivfreien Überlebens in der Subgruppe der Patienten mit organbegrenzten Primärtumoren. Innerhalb dieser Patientengruppe lag die Fünfjahresrezidivfreiheitsrate bei 72 Patien- ten nach ausgedehnter Lymphadenektomie bei 85%

im Vergleich zu 64% bei 45 Patienten nach begrenz- ter Lymphknotenausräumung. Dieser Unterschied war statistisch signifikant (p <0,02). Trotzdem er- scheint es aus verschiedenen Gründen mehr als ge- wagt, aus diesem Unterschied die Schlussfolgerung auf eine signifikante Verbesserung des Überlebens durch eine ausgedehnte Lymphadenektomie abzu- leiten: Zum einen waren beide Vergleichsgruppen, da sie ja historische Kollektive repräsentieren, durch extrem unterschiedliche Nachbeobachtungszeiten charakterisiert (median 1,96 Jahre für die Patien- ten nach ausgedehnter Lymphadenektomie versus 5,14 Jahre für die Patienten nach begrenzter Lymph- adenektomie). Die längste Nachbeobachtungszeit bei einem Patienten nach ausgedehnter Lymphadenek- tomie lag bei 4,73 Jahren, sodass sich die Frage auf- drängt, ob es technisch überhaupt möglich ist, eine Fünfjahresrezidivfreiheitsrate zu berechnen, wenn bei keinem einzigen Patienten ein Nachbeobach- tungsintervall von fünf Jahren dokumentiert ist. Die genauere Analyse der Daten zeigt darüber hinaus, dass von den 72 Patienten, die bei organbegrenztem Primärtumor ausgedehnt lymphadenektomiert wor- den waren, 34,4% im Zystektomiepräparat keinen nachweisbaren invasiven Tumor (histopathologi- sches Stadium pT0, pTa oder pTis) hatten. In der Patientengruppe mit begrenzter Lymphadenektomie hingegen lag der Prozentsatz ohne Nachweis von in- vasivem Tumor hingegen nur bei 17,7%. Die Patien- tengruppe mit einer ausgedehnten Lymphadenekto- mie umfasste also fast 17% mehr Patienten mit einer a priori fast bei Null liegenden Metastasierungs- wahrscheinlichkeit als die Vergleichsgruppe. Dieser ausgeprägte Bias dürfte zwar sicherlich nicht allein

für die Überlebensdifferenz von 21% (85% versus 64%) verantwortlich sein. Der Bias lässt aber bereits erkennen, wie zurückhaltend man bei der Bewertung der gezeigten Unterschiede sein sollte und dass die Schlussfolgerung der Autoren, dass die ausgedehnte Lymphadenektomie die Überlebenswahrscheinlich- keit eines Patienten mit organbegrenztem Blasenkar- zinom verbessert, sicherlich mit dieser Arbeit nicht als bewiesen gelten kann. Darüber hinaus muss man aus rein mathematischen Gründen postulieren, dass die von den Autoren nicht gezeigten Überlebens- kurven für Patienten mit organüberschreitenden Tumoren sogar eine schlechtere Prognose nach aus- gedehnter Lymphadenektomie zeigen müssen, weil sich die Prognoseverbesserung bei den Patienten mit organbegrenzten Tumoren ansonsten sehr viel stärker auch im Sinne einer Prognoseverbesserung der Gesamtgruppe niederschlagen müsste (konkre- tes Rechenexempel: Verbessere ich durch eine neue Therapiemaßnahme die Überlebenswahrscheinlich- keit bei 2/3 meiner Patienten um 21%, und bleibt die Überlebenswahrscheinlichkeit beim verbleibenden Drittel unbeeinflusst, dann muss die Überlebens- wahrscheinlichkeit in der Gesamtgruppe um unge- fähr 14% [2/3 von 21%] ansteigen. Steigt sie aber, wie im vorliegenden Fall, nur um 6% an, dann geht die Gleichung nur dann auf, wenn die Überlebenswahr- scheinlichkeit im Patientendrittel mit organüber- schreitendem Primärtumor nach der ausgedehnten Lymphadenektomie sogar schlechter geworden ist).

Die Herleitung weitgehender Schlussfolgerun- gen aus Subgruppenanalysen ist selbst im Rahmen prospektiver Studien als problematisch anzusehen (Sylvester u. Collette 2001) und wird daher bei retrospektiven Studien, noch dazu auf der Grund- lage historischer Vergleichsgruppen, doppelt frag- würdig. Noch problematischer wird eine Subgrup- penanalyse im vorliegenden Fall, wenn zusätzlich das pN-Stadium für die Definition von Subgruppen herangezogen wird, wie die Autoren das bei der weiteren Analyse ihrer Daten getan haben: Poulsen und Mitarbeiter haben bei den Patienten mit organ- begrenzten Tumoren in dieser weiteren Analyse alle Patienten herausgerechnet, bei denen ein Lymph- knotenbefall nachgewiesen worden war. Dies be- traf 4 von 45 (8%) der Patienten nach begrenzter Lymphknotenausräumung und 9 von 72 (12,5%) der Patienten nach ausgedehnter Lymphknoten- ausräumung. Es verbleiben somit 63 bzw. 41 Patien- ten ohne nachgewiesenen Lymphknotenbefall. Der Überlebensunterschied steigt in dieser Analyse nun auf 29% (90% versus 71%). Eine derartige Analyse ist als Hinweis auf eine verbesserte therapeutische

Lehmann_S1F_2sp.indd 112

Lehmann_S1F_2sp.indd 112 03.09.2004 14:15:1203.09.2004 14:15:12

(5)

Effizienz der erweiterten Lymphadenektomie aber unbrauchbar und somit unstatthaft, wie im Folgen- den gezeigt werden soll: Die erweiterte Lympha- denektomie stellt im Kontext einer solche Analyse nämlich nicht nur einen therapeutischen Akt dar, sondern führt auch zu einer Stadienverschiebung, sodass Vergleichsgruppen entstehen, die man nicht mehr miteinander vergleichen kann. Im vorliegen- den Beispiel ergibt sich das ja auch zwanglos dar- aus, dass in der Patientengruppe mit ausgedehnter Lymphadenektomie der Prozentsatz nachgewiese- ner Lymphknotenmetastasen bei 12,5%, in der Pa- tientengruppe mit begrenzter Lymphadenektomie aber nur bei 8% lag. Da die Patienten mit tumor- befallenen Lymphknoten im Zweifelsfall diejeni- gen sind, die schlussendlich am Tumor versterben werden, wird man selbstverständlich in der Gruppe der verbleibenden Patienten ohne nachgewiesene Lymphknotenmetastasen ein um so besseres Über- leben nachweisen könne, je subtiler man zuvor Lymphknotenmetastasen ausgeschlossen hat. Der subtilere Nachweis von Lymphknotenmetastasen wird also in der verbliebenen Patientengruppe ohne nachgewiesene Lymphknotenmetastasen auch dann zu einer Verbesserung der Überlebenskurve füh- ren, wenn die erweiterte Lymphadenektomie kei- nen einzigen zusätzlichen individuellen Patienten geheilt hat (

⊡ Abb. 10.1

). Dieses Phänomen (vor- getäuschte Überlebensverbesserung in Subgruppen durch Stadienverschiebung) ist in der wissenschaft- lichen Literatur schon seit längerer Zeit als »Will- Rogers-Phänomen« beschrieben (Feinstein et al.

1985; Wishnow u. Tenney 1991). Wenn man durch die geänderten Staging-Methoden die schlechtesten Patienten aus einer Subgruppe mit im Prinzip güns- tiger Prognose in eine andere Subgruppe mit sehr viel schlechterer Prognose verschiebt, kann dies im

Extremfall sogar dazu führen, dass sich die Prog- nose in beiden Subgruppen zu verbessern scheint, auch wenn man keinen einzigen zusätzlichen Pati- enten geheilt hat. Betrachtet man dementsprechend in einem solchen Fall die Überlebenskurve des Ge- samtkollektivs, wird man im Vergleich zu einer Vergleichsgruppe, bei der die Stadienzuordnung auf herkömmliche Weise erfolgt war (im vorlie- genden Beispiel also per begrenzter Lymphknoten- ausräumung), überhaupt keine Prognoseverbesse- rung feststellen, obwohl beide Subgruppenanalysen dies unter Umständen in dramatischer Weise zu suggerieren scheinen (s.

⊡ Abb. 10.1

). Will Rogers (1879–1935), US-amerikanischer Entertainer des letzten Jahrhunderts, hat dieses auf den ersten Blick paradox anmutende Phänomen mit einem völker- kundlichen Beispiel auf humoristische Art plausibel gemacht: »Als die Okies in den Jahren der »Großen Depression« (1930er Jahre) von Oklahoma nach Kalifornien übersiedelten, ist der durchschnittliche Intelligenzquotient in beiden Bundesstaaten ange- stiegen«. Das Beispiel soll deutlich machen, dass die erweiterte Lymphadenektomie also nicht nur ein neues Therapieverfahren darstellt, sondern auch eine neue Staging-Methode. Analysen von Subgrup- pen hinischtlich einer höheren Therapieeffizienz werden daher in dem Moment unzulässig, wo die neue Operationstechnik zugleich eine Stadienver- schiebung nach sich zieht und damit Einfluss auf die Zuordnung des einzelnen Patienten zu einer dieser Subgruppen bekommt (

⊡ Abb. 10.2

).

Zusammenfassend erlaubt die Arbeit von Poul- sen also keine wesentlichen Rückschlüsse auf den therapeutischen Nutzen einer erweiterten Lymph- knotenausräumung. Die kritische Analyse der Daten erweckt im Gegenteil sogar den Eindruck, dass die Erweiterung der Lymphknotenausräumung allen-

1 1

2 2

3 2 2

3

6 6

6 5

4 5

3

pN0 (Mittelwert=2) pN+ (Mittelwert=5)

Standard Lymphadenektomie

1 1

2 2

2

6 6 2

6 5

4 5 3

3 3

pN0 (Mittelwert =1,6) pN+ (Mittelwert=4,3) Extensive

Lymphadenektomie (2,3,3)

⊡ Abb. 10.1. Veranschaulichung des Will- Rogers-Phänomens: Die jeweilige Prognose der Gruppen pN0 (»Mittelwert 1,6 vs 2,0«) und pN+ (»Mittelwert 4,3 vs 5,0«) verbessert sich durch die ausgedehntere Lymphadenektomie im Rahmen der Zystektomie, ohne dass sich notwendigerweise die individuelle Prognose des einzelnen Patienten verbessert. Individu- elle Patienten sind in Form von Schulnoten dargestellt, wobei »1« Patienten mit einer sehr guten Prognose bis »6« einer sehr schlechten Prognose entsprechen.

Lehmann_S1F_2sp.indd 113

Lehmann_S1F_2sp.indd 113 03.09.2004 14:15:1203.09.2004 14:15:12

(6)

10

falls einen marginalen Effekt auf die Prognose eines Zystektomiepatienten hat. Die Arbeit von Poulsen ist nichtsdestoweniger von besonderem Interesse, weil sie die einzige ist, und wahrscheinlich auch die einzige bleiben wird, die – wenn auch mit den gezeigten methodischen Schwächen – den Einfluss der erweiterten Lymphadenektomie studiert hat, ohne dass die Patienten mit schlechter Prognose eine zusätzliche adjuvante Chemotherapie erhalten haben. Genau dies war aber bei den anderen drei im Folgenden zu diskutierenden Arbeiten der Fall, sodass es dort natürlich noch schwieriger wird, den therapeutischen Nutzen, der von der erweiterten Lymphadenektomie als operativem Akt ausgeht, zu trennen von dem therapeutischen Nutzen, der unter Umständen erst dadurch entsteht, dass man tumor- befallene Lymphknoten erst durch die Erweiterung der Lymphknotenausräumung entdeckt und Pati- enten erst dadurch der adjuvanten Chemotherapie zuführt.

Die kürzlich erschienene Arbeit von H. W.

Herr (2003) erläutert diese Problematik in der Dis- kussion in gut verständlicher Form, unternimmt andererseits aber keinen Versuch, den eventuel- len Nutzen durch die zusätzliche Chemotherapie zu quantifizieren. Zahlen bezüglich der Indikation und der Frequenz einer adjuvanten Chemotherapie werden nicht genannt, obwohl in der Diskussion darauf hingewiesen wird, dass den Patienten mit einem hohen Rezidivrisiko (im Regelfall also wohl den Patienten mit dem Nachweis tumorbefallener Lymphknoten) die adjuvante Chemotherapie routi- nemäßig angeboten wird. Diesen wesentlichen Un- terschied im Vergleich zur Arbeit von Poulsen und Mitarbeitern muss man berücksichtigen, wenn man

die wesentlich eindrucksvolleren Überlebensunter- schiede interpretiert: In der Arbeit von Herr zeigen sich signifikante Unterschiede nämlich nicht nur in Subgruppen, sondern auch im Gesamtkollektiv von insgesamt 637 Patienten, die der Autor persönlich im Zeitraum von 1979 bis 1995 operiert hat: Die Fünfjahresüberlebensrate bei Patienten, bei denen der Pathologe nur 0 bis 5 eingesandte Lymphknoten dokumentiert hat, lag bei 33%. Bei 6 bis 10 doku- mentierten Lymphknoten stieg sie auf 44%, bei 11 bis 14 auf 73% und bei mehr als 14 schlussendlich auf 79%. Zusätzlich werden auch in dieser Arbeit Sub- gruppenanalysen für die lymphknotenpositiven und für die -negativen Patienten in Abhängigkeit von der Zahl der operativ entfernten Lymphknoten gezeigt.

Eine solche Analyse ist aus bereits genannten Grün- den (»Will-Rogers-Phänomen«, s. oben) im Grunde unzulässig. Es erstaunt von daher nicht, dass die ge- zeigten Unterschiede in beiden Subgruppen die der Gesamtgruppe noch zu übertreffen scheinen. Die drastischen Prognoseunterschiede in der Gesamt- gruppe belegen aber eher als bei Poulsen, dass hier nicht nur statistische Artefakte gemessen wurden und dass es sich von daher lohnt, über diese Er- gebnisse genau nachzudenken. Nichtsdestoweniger hat diese Arbeit ebenfalls methodische Schwächen, die die Interpretation der Ergebnisse erheblich er- schweren:

Das Ausmaß der Prognoseverbesserung über- trifft das in der Arbeit von Poulsen et al. gezeigte erheblich. Es ist zum einen nicht unwahrschein- lich, dass bei den von Herr behandelten Patienten die adjuvante Chemotherapie wesentlich zu diesen Unterschied beigetragen hat. Es wäre von daher von erheblichem Interesse, wie viele Patienten unter

Standard Lymphadenektomie

pN0

Extensive Lymphadenektomie

pN+

pN0 pN+

Vergleich pN0 Subgruppe unzulässig

Vergleich pN+ Subgruppe

unzulässig Vergleich

Gesamtgruppe zulässig

⊡ Abb. 10.2. Vergleichbarkeit von Gesamt- und Subgruppen nach radikaler Zystektomie und unterschiedlicher Ausdehnung der regio- nalen Lymphadenektomie

Lehmann_S1F_2sp.indd 114

Lehmann_S1F_2sp.indd 114 03.09.2004 14:15:1203.09.2004 14:15:12

(7)

welcher Indikationsstellung die adjuvante Chemo- therapie tatsächlich erhalten haben, was aber leider nicht mitgeteilt wird.

Zum zweiten erstreckt sich der Beobachtungs- zeitraum dieser retrospektiven Studie zurück bis in das Jahr 1979. Bei der Studie werden also Patienten aus extrem unterschiedlichen Behandlungsepochen analysiert. Vor 1982 wurden wahrscheinlich kei- ne ausgedehnten Lymphadenektomien durchge- führt, weil die Lymphknotenausräumung damals noch als diagnostischer Akt galt, um den Patienten mit tumorbefallenen Lymphknoten prinzipiell die Operation zu ersparen. Von daher ist davon aus- zugehen, dass die Patienten aus dieser ganz frü- hen Behandlungsepoche durchweg eine begrenzte Lymphknotenausräumung erhalten hatten und dass sich unter diesen Patienten aus Gründen der dama- ligen Patientenselektion auch nur wenige mit tu- morbefallenen Lymphknoten finden. Die adjuvante Chemotherapie wiederum wurde wahrscheinlich überwiegend bei Patienten aus der zweiten Hälfte des Beobachtungszeitraumes durchgeführt, da sie früher auch nicht zur Verfügung stand. Aus den genannten Gründen wäre es interessant zu wissen, wie sich das Ausmaß der Lymphknotenausräumung während des Beobachtungszeitraumes von immer- hin 17 Jahren verändert hat. Es würde keineswegs erstaunen, wenn sich dabei zeigen würde, dass die Zahl der ausgeräumten Lymphknoten im Be- obachtungszeitraum stetig zugenommen hat, dass die Patienten, bei denen eine große Zahl befalle- ner Knoten entfernt und dokumentiert worden ist, also überwiegend aus dem letzten Beobachtungs- zeitraum stammen, wo sie aufgrund eines natürlich stetig verbesserten Behandlungskonzeptes ohnehin eine bessere Prognose hatten. Man kann also nicht ausschließen, dass in dieser retrospektiven Analy- se ungleiche Verteilungen wesentlich zur gezeigten Prognoseverbesserung von überragenden 46% in der Überlebensrate (beim Vergleich der Patienten mit 0–5 ausgeräumten Lymphknoten versus Pati- enten mit mehr als 14 ausgeräumten Lymphknoten) beigetragen haben.

Ähnlich wie die Arbeit von Herr ist auch die im Jahre 2000 von Leissner et al. publizierte Arbeit konzipiert. Diese Arbeitsgruppe hatte eine Gesamt- zahl von 302 Zystektomiepatienten nachbeobachtet und operiert im Zeitraum von 1986 bis 1997. Dabei wurde die Zahl der im Rahmen der Lymphknoten- ausräumung dokumentierten Lymphknoten mit der Prognose der Patienten assoziiert. Auch an dieser Klinik war es üblich, den Patienten mit organüber- schreitenden Primärtumoren und/oder tumorbefal-

lenen Lymphknoten eine adjuvante Chemotherapie zu empfehlen, ohne dass in der Arbeit aber exakt quantifiziert wird, wie viele der betroffenen Patien- ten diese Chemotherapie tatsächlich erhalten haben.

Die Autoren haben ihre Patienten zwei Vergleichs- gruppen zugeteilt, nämlich die, bei denen mehr als 15 Lymphknoten entfernt worden waren, im Vergleich zu der übrigen Gruppe mit weniger als 15 entfern- ten Lymphknoten. In der Gesamtgruppe zeigt sich zwischen beiden Gruppen ein Unterschied von 14%

im tumorspezifischen Überleben (65% versus 51%).

Auch in dieser Arbeit werden Subgruppenanalysen durchgeführt, die aufgrund des Will-Rogers-Phä- nomens zumindest problematisch sind: So bleiben bei der Analyse der Patienten mit organbegrenzten Primärtumoren alle Patienten mit gleichzeitigem Lymphknotenbefall unberücksichtigt, das Ausmaß der Lymphknotenausräumung entscheidet also mit darüber, welche Patienten Berücksichtigung finden und welche nicht. Bei den so definierten Patienten mit organbegrenzten Primärtumoren ohne tumor- befallene Lymphknoten zeigt sich dann nicht ganz überraschend mit 20% erneut ein größerer Überle- bensvorteil, als er für die Gesamtgruppe berechnet wurde (rezidivfreies Überleben 85% versus 65% in Abhängigkeit davon, ob mehr oder weniger als 15 Lymphknoten bei der Operation entfernt worden waren). Gleichermaßen problematisch ist auch die Analyse der Patienten mit 1 bis 5 tumorbefallenen Lymphknoten, wo sich neuerlich und nicht ganz überraschend eine eindrucksvolle Überlebensdiffe- renz von 12% (35% versus 23% zu Gunsten der Patienten mit einer größeren Zahl ausgeräumter Lymphknoten) zeigt. Auch diese Arbeit konfron- tiert den Leser mit dem Problem der retrospektiven Analyse, der Berücksichtigung der Patienten aus unterschiedlichen Behandlungsepochen und der Empfehlung einer adjuvanten Chemotherapie auf der Grundlage des durch die erweiterte Lymphkno- tenausräumung veränderten Stagings. Dies macht es erneut unmöglich, aus dieser Arbeit den direkten therapeutischen Nutzen der erweiterten Lympha- denektomie herauszurechnen. Hinzu kommt, dass die drei bisher analysierten Arbeiten auch unterei- nander deutlich heterogene Ergebnisse zeigen: Die Ergebnisse von Leissner et al. sind sicherlich eher als die von Poulsen geeignet, einen Überlebensvorteil durch die erweiterte Lymphknotenausräumung zu belegen, da nicht nur in den problematischen Sub- gruppen, sondern auch in der Gesamtgruppe eine um 14% verbesserte Überlebensrate gezeigt wird.

Auf der anderen Seite sind die Überlebensunter- schiede in der Arbeit von Leissner et al. deutlich

Lehmann_S1F_2sp.indd 115

Lehmann_S1F_2sp.indd 115 03.09.2004 14:15:1303.09.2004 14:15:13

(8)

10

geringer als in der von Herr, trotz einer ähnlichen Behandlungsphilosophie.

Die vierte Veröffentlichung, die in diesem Kon- text von Interesse ist, wurde kürzlich von Stein et al. aus der Arbeitsgruppe von Skinner veröffentlicht (Stein et al. 2003). Bei dieser Analyse hat man aus der Gesamtzahl von 1054 Patienten, die sich im Zeit- raum von 1971 bis 1998 einer Zystektomie unterzo- gen hatten, die 244 herausgesucht, bei denen tumor- befallene Lymphknoten nachgewiesen wurden. Von diesen Patienten hatten 139 (57%) irgendeine Form einer adjuvanten Chemotherapie erhalten. Bei der Analyse dieser 244 Patienten ist man dann neuerlich der Frage nachgegangen, ob die Gesamtzahl der bei der Operation entfernten Lymphknoten die Progno- se beeinflusst. Diese Analyse unterscheidet sich aber in Patientenauswahl und Methodik in vielerlei Hin- sicht von den drei anderen vorgestellten Arbeiten:

Man hat hier also nicht versucht, das Ausmaß der Lymphknotenausräumung zu vergrößern, vielmehr hatten sich alle Patienten von Anfang an einer standardisierten ausgedehnten Lymphaden- ektomie unterzogen, denn Skinner propagierte als einziger bereits seit den 70er-Jahren gleichbleibend eine standardisierte ausgedehnte und »metikulö- se« Lymphadenektomie, deszendierend beginnend knapp oberhalb der Aortenbifurkation. Die ver- schiedenen Behandlungsepochen, die in den an- deren analysierten Serien sicherlich nachhaltigen Einfluss auf das Ausmaß und die Konsequenz der Lymphknotenausräumung hatten, dürften bei den von Stein et al. beschriebenen Patienten also in geringerem Umfang Einfluss auf die anatomischen Felder und die Sorgfalt der Lymphknotenausräu- mung gehabt haben, denn es wurde ja nicht, wie in der Arbeit von Poulsen beschrieben, das Ausmaß der Lymphknotenausräumung während des Unter- suchungszeitraumes verändert. Die konsequente Ausräumung eines erweiterten Feldes kommt u. a.

im Median von 30 entnommenen Lymphknoten zum Ausdruck. Zum Vergleich: In der Serie von Leissner et al. waren durchschnittlich 14,6 Lymphknoten ent- fernt worden, in der Arbeit von Herr schwankte die mediane Zahl entnommener Lymphknoten je nach Untersuchungsjahr zwischen 9 und 13 und in der Serie von Poulson et al. lag die mediane Zahl ent- nommener Lymphknoten bei ausgedehnter Lymph- knotenausräumung bei 25 im Vergleich zu 14 bei begrenzter Lymphknotenausräumung. Die Skinner- Gruppe hat also zu einem wesentlich früheren Zeit- punkt als andere Gruppen damit begonnen, größere Lymphknotenfelder auszuräumen. Dies resultiert in einer ungefähr doppelt so hohen Zahl entnomme-

ner Lymphknoten als in den anderen analysierten Serien. Die Autoren gehen also der Frage nach, wie unterschiedlich die Lymphknotenzahl ist, die sich in dem so definierten, aber gleichbleibend einheit- lichen Feld findet und ob diese Unterschiede, die also eher anatomisch angeboren und weniger durch die Qualität der Operation bedingt sein müssten, Einfluss auf die Prognose haben.

Zum zweiten wurden hier nur Patienten be- rücksichtigt mit dokumentiertermaßen befallenen Lymphknoten, also auch wieder eine Subgruppe, die aber insofern unproblematischer ist, da alle Lymph- knoten aus einem einheitlich ausgedehnten Opera- tionsfeld stammen. Alle Patienten hatten also die gleiche Operation. Das rezidivfreie Überleben nach fünf Jahren bei diesen 244 Patienten mit tumorbe- fallenen Lymphknoten lag bei 35%, wobei die relativ große Zahl betroffener Patienten die Möglichkeit bot, weitere Subgruppen mit besserer oder schlech- terer Prognose zu definieren. Solche zusätzlichen Prognosefaktoren waren beispielsweise organbe- grenzte versus organüberschreitende Primärtumo- ren bei Vorliegen von Lymphknotenmetastasen (Überlebensraten 44% versus 30%), die Zahl befal- lener Lymphknoten (Überlebenswahrscheinlichkeit bei weniger als 8 betroffenen Lymphknoten 40% im Vergleich zu 10% bei mehr als 8 befallenen Lymph- knoten) oder die adjuvante Chemotherapie (Überle- benswahrscheinlichkeit mit Chemotherapie 39% im Vergleich zu 29% ohne Chemotherapie).

Wie erwähnt, stand aber die Zahl der im Ope- rationsfeld vorgefundenen und entnommenen Lymphknoten im Mittelpunkt der Arbeit: Patienten mit 15 oder weniger entnommenen Lymphknoten hatten eine Wahrscheinlichkeit von 25%, nach 10 Jahren rezidivfrei zu leben, im Vergleich zu 36% bei Patienten mit mehr als 15 entnommenen Lymph- knoten. Wie erwähnt, ist dieses Ergebnis insofern erstaunlich, als bei dieser Arbeitsgruppe mehr als bei allen anderen davon ausgegangen werden kann, dass die anatomischen Felder, die man vom Lymph- gewebe befreit hat, während des gesamten Untersu- chungszeitraumes wohl sehr gleichförmig gewesen sein dürften. Von daher müsste man bei so deutli- chen Unterschieden in der Zahl der entnommenen Lymphknoten tatsächlich davon ausgehen, dass sich offenkundig die Patienten in der Zahl vorhandener Lymphknoten voneinander unterscheiden. Dement- sprechend würde eine geringere Zahl vorhandener Lymphknoten mit einer schlechteren Heilungswahr- scheinlichkeit einhergehen.

Als neues Prognosekriterium haben die Auto- ren den Begriff der »Lymphknotendichte« (»lymph

Lehmann_S1F_2sp.indd 116

Lehmann_S1F_2sp.indd 116 03.09.2004 14:15:1303.09.2004 14:15:13

(9)

node density«) eingeführt. Dieses Kriterium wird dergestalt berechnet, dass man die Zahl der tumor- befallenen Lymphknoten durch die Zahl der ent- nommenen Lymphknoten teilt. Auch diese Lymph- knotendichte erwies sich in dieser Analyse als sta- tistisch signifikantes Prognosekriterium: Bei einer Lymphknotendichte von 20% oder weniger betrug die Zehnjahresüberlebensrate 43% im Vergleich zu 17% bei einer Lymphknotendichte größer als 20%.

Die Arbeit von Stein markiert für den Patienten mit nachgewiesenem Lymphknotenbefall sicherlich die Grenze des mit der derzeitigen Therapie Erreich- baren: Das Ausmaß der Lymphknotenausräumung übertrifft zumindest im langjährigen Durchschnitt alle vergleichbaren Serien um den Faktor 2. Der Anteil an zusätzlich chemotherapierten Patienten lag bei Beachtung des historischen Gesamtzeitrau- mes relativ hoch, das damit erzielte Ergebnis ist klar definiert. Bei Betrachtung dieser Ergebnisse fällt auf, dass es mit den so definierten Behandlungsmodali- täten offenkundig schwierig, wenn nicht unmöglich ist, die Heilungswahrscheinlichkeit eines Patienten mit tumorbefallenen Lymphknoten wesentlich über 40% zu steigern.

Zusammenfassend kann im Prinzip also zwar kein Zweifel daran bestehen, dass die Lymphkno- tenausräumung per se einen therapeutischen Ef- fekt hat, denn auch ohne adjuvante Chemotherapie überlebt ein Teil der Patienten, bei denen tumorbe- fallene Lymphknoten ausgeräumt worden sind. In der Arbeit von Stein et al. erreicht diese Heilungsra- te immerhin 29% (Stein et al. 2003). Auf der anderen Seite erscheint es aber nicht unwahrscheinlich, dass sich eine Ausweitung der Lymphknotenausräumung über die Iliakabifurkation hinweg nach kranial nur in Verbindung mit einer adjuvanten Chemotherapie heilungsverbessernd auswirkt. Für diese Annahme sprechen im Wesentlichen drei Gründe:

1. Die einzige Veröffentlichung, in der die begrenz- te mit der erweiterten Lymphknotenausräumung verglichen worden ist, ohne dass die Patienten eine adjuvante Chemotherapie erhalten haben (Poulsen et al. 1998) lässt in der Gesamtgruppe keine signifikante Verbesserung der Prognose erkennen. Ob der gezeigte Unterschied in der Subgruppe der Patienten mit organbegrenzten Tumoren reproduzierbar und von Relevanz ist, muss zumindest bezweifelt werden.

2. In den zwei Serien, die auch in der Gesamt- gruppe eine Prognoseverbesserung durch eine Ausweitung der Lymphknotenausräumung zei- gen (Leissner et al. 2000; Herr 2003) wurde ein erheblicher, aber nicht genau spezifizierter Teil

der Patienten mit fortgeschrittenen Tumoren adjuvant chemotherapiert.

3. Eine zur Veröffentlichung eingereichte mul- tizentrische Studie aus Deutschland, in deren Rahmen allen Patienten mit organüberschrei- tenden und/oder lymphknotenpositiven Tumo- ren zwei verschiedene Formen der adjuvanten Chemotherapie vorgeschlagen wurden, zeigt für die lymphknotenpositiven Patienten eine rezi- divfreie Überlebensrate nach 5 Jahren von 41%

und Gesamtüberlebensraten um 35%. Damit liegt die Heilungswahrscheinlichkeit dieser Patienten nahezu deckungsgleich mit denen von Stein et al., obwohl in der deutschen Studie nur eine be- grenzte Lymphknotenausräumung vorgeschrie- ben war (Lehmann et al. 2003). Aufgrund des multizentrischen Charakters dieser Studie muss man bei 40 teilnehmenden Zentren davon aus- gehen, dass die Qualität der Lymphknotenaus- räumung selbst innerhalb des vorgeschriebenen begrenzten Feldes sicherlich weitaus heterogener war als in den hier analysierten unizentrischen Serien. Wenn man in dieser Serie dann trotzdem gleiche Überlebensraten findet, liegt die Vermu- tung nahe, dass die adjuvante Chemotherapie ein höheres therapeutisches Potential besitzt als die Ausweitung der Lymphadenektomie, auch wenn man natürlich sehr vorsichtig sein sollte, aus dem Vergleich verschiedener Behandlungsserien zu weitgehende Schlussfolgerungen zu ziehen.

Perioperative Chemotherapie vor und nach Zystektomie

Das Jahr 1985 markiert sicherlich eine ganz wichtige Zäsur in der Entwicklung der systemischen Chemo- therapie des Urothelkarzinoms: In den Jahren zuvor war die Wahrscheinlichkeit, dass ein Blasenkarzi- nompatient mit einem solchen Behandlungskonzept in Kontakt kommen würde, äußerst gering: Nur wenige, meist universitäre Einrichtungen hatten damit begonnen, die Chemotherapie des Urothel- karzinoms in Form früher und experimenteller Stu- dien zu testen. Das änderte sich schlagartig, als 1985 Sternberg et al. ihre ersten und präliminären Ergeb- nisse mit der neuen Viererkombination M-VAC (Methotrexat, Vinblastin, Adriblastin und Cisplatin) veröffentlichten (Sternberg et al. 1985): Auch wenn in dieser Veröffentlichung nur über 24 Patienten mit noch dazu sehr kurzer Nachbeobachtungszeit berichtet wurde, beflügelte die Gesamtansprechrate von 71% und die komplette Remissionsrate von 50%

Lehmann_S1F_2sp.indd 117

Lehmann_S1F_2sp.indd 117 03.09.2004 14:15:1303.09.2004 14:15:13

(10)

10

die Phantasie der Leser: Die Uro-Onkologie war zu diesem Zeitpunkt noch sehr stark geprägt durch die von der Chemotherapie induzierten dramatischen Fortschritte bei der Behandlung des Hodentumors, die man gut ein Jahrzehnt früher erlebt hatte. Dem- entsprechend war man in sicherlich etwas unkri- tischer Weise empfindsam für alle Nachrichten, die eine Wiederholung dieser »Erfolgsgeschichte«

für andere Tumoren des Urogenitaltraktes ankün- digten. Das mag verständlich machen, warum die Publikation von Sternberg et al. trotz kleiner Fall- zahl und kurzer Nachbeobachtungszeiten fast über Nacht dazu geführt hat, dass sich die Behandlungs- konzepte beim Blasenkarzinom nachhaltig geän- dert haben: Lag vor 1985 die Wahrscheinlichkeit für einen Blasenkarzinompatienten fast bei null, dass er im Verlauf seiner Erkrankung eine Chemotherapie erhalten würde, so drehten die Dinge anschließend fast diametral: Nach 1985 lag die Wahrscheinlichkeit fast bei null, keine Chemotherapie zu erhalten. Es gibt in der Geschichte der Medizin wahrscheinlich nur wenige vergleichbare Beispiele, dass so weni- ge Daten ausgereicht haben, eine völlig neue und darüber hinaus durchaus toxische Therapie sofort unter den verschiedensten Indikationen einzuset- zen. Spöttisch könnte man formulieren, dass es Spe- kulationsblasen nicht nur an der Börse gibt.

Inzwischen ist allgemein akzeptiert, dass die systemische Chemotherapie einen Patienten mit Fernmetastasen im Regelfall nicht heilen kann. Die mediane Lebenserwartung eines solchen Patien- ten dürfte derzeit bei 12 Monaten liegen, wobei es Gegenstand kontroverser Diskussion ist, ob diese Verdoppelung der Überlebenszeit gegenüber der Vorchemotherapieära tatsächlich eine Folge der Chemotherapie oder vielleicht auch nur eine Folge verbesserter Diagnoseverfahren ist: Insbesondere die bildgebenden Methoden sind in den letzten Jah- ren deutlich empfindlicher geworden, sodass eine im Entstehen begriffene Tumormetastasierung heu- te sicherlich früher nachweisbar ist als in früheren Jahren. Dies führt ganz zwangsläufig dazu, dass die Lebenserwartung eines Patienten mit nachge- wiesenen Fernmetastasen selbst dann länger ist als in früheren Jahren, wenn überhaupt keine weitere Therapie durchgeführt wird (»Lead time bias«)

Ein populäres Konzept in der Frühphase der Chemotherapieeuphorie war der des Organerhalts.

Man versprach sich von der Chemotherapie so nachhaltige Effekte, dass man die Hoffnung hegte, die Chemotherapie könnte zukünftig vielleicht die von vielen als problematisch und verstümmelnd empfundene Zystektomie ersetzen. Dieses Konzept

hat sich im Laufe der folgenden Jahre nie als Stan- dard etablieren können, wurde aber gerade von vielen Pionieren der Chemotherapie, insbesondere auch von Frau Sternberg selbst nachdrücklich un- terstützt. Die Vision des Organerhalts war sicherlich einer der Hauptgründe dafür, warum in der Früh- phase der perioperativen Chemotherapie, die ja im Mittelpunkt dieses Kapitels steht, die neoadjuvante Konzeption (also die Vorbehandlung der Zystek- tomiepatienten vor der Operation) weitaus mehr Popularität genoss und deswegen auch in wesentlich größeren und auch wesentlich zahlreicheren Studi- en untersucht wurde ist als die adjuvante Therapie (Nachbehandlung des Zystektomiepatienten nach der Operation), obwohl die adjuvante Chemothera- pie aus noch zu erläuternden Gründen wahrschein- lich die erfolgversprechendere Konzeption gewesen wäre. Die neoadjuvante Philosophie wurde als denk- barer Einstieg in Richtung Organerhalt empfunden, mit der adjuvanten Philosophie hingegen bestand die »Gefahr«, den Stellenwert der Zystektomie zu festigen.

Rückblickend erstaunt es daher möglicherwei- se nicht, dass sich in praktisch allen neoadjuvan- ten Studien gar kein oder allenfalls ein marginaler prognostischer Unterschied zwischen chemothe- rapeutisch vorbehandelten und sofort operierten Patienten zeigte. Da man heute trotzdem davon ausgehen kann, dass die Chemotherapie sehr wohl die Überlebenswahrscheinlichkeit einzelner Patien- ten verbessern kann, muss man die Ursache für die Negativergebnisse vieler neoadjuvanter Studien vielleicht eher im Studienkonzept selbst und einer nicht optimalen Patientenselektion und weniger in der Ineffizienz der Therapie selbst suchen. Die nega- tiven oder marginalen Ergebnisse reflektieren also vielleicht eher die Schwächen im Studienkonzept und in der Patientenauswahl, die sich im Wesentli- chen mit zwei Schlagworten erläutern lassen:

»Non-responder Effect«

Das Konzept einer Vorbehandlung vor einer geplan- ten Tumoroperation ist um so erfolgversprechender, je größer die voraussichtliche Ansprechrate auf den Tumor ist. Beispiele für eine sehr erfolgreiche Imple- mentierung eines neoadjuvanten Konzepts sind der kindliche Wilms-Tumor oder der lymphogen meta- stasierte Keimzelltumor des Mannes. Beides sind Tumoren, bei denen man mit fast 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit mit einem Ansprechen auf die Chemotherapie rechnen kann. Dementsprechend

Lehmann_S1F_2sp.indd 118

Lehmann_S1F_2sp.indd 118 03.09.2004 14:15:1303.09.2004 14:15:13

(11)

kann man eben auch davon ausgehen, dass man bei kaum einem Patienten durch das behandlungs- bedingte Hinauszögern der Operation eine Ver- schlechterung der Überlebenswahrscheinlichkeit in Kauf nehmen muss. Genau diese Voraussetzung war beim Blasenkarzinom aber nicht gegeben. Realisti- scherweise dürfte die Ansprechwahrscheinlichkeit des Blasenkarzinoms auf M-VAC oder vergleichba- re Kombinationen bei maximal 50% liegen. Dieses wiederum bedeutet zwanglos, dass man mit dem Konzept der neoadjuvanten Therapie bei einem Teil der Patienten die Prognose vielleicht verbessern kann, bei dem anderen Teil mit Chemotherapie- unempfindlichen Tumoren wird man sie hingegen eher verschlechtern, denn der Vorbehandlungszeit- raum, um den man die Zystektomie zugunsten einer evtl. unwirksamen Vorbehandlung hinauszögert, liegt (bei 4 Zyklen M-VAC) immerhin bei etwa fünf Monaten. In der Endkonsequenz bedeutet dies, dass auch eine für einen Teil der untersuchten Patienten segensreiche Vorbehandlung beim gewählten Studi- endesign im untersuchten Gesamtkollektiv sogar zu einer Prognoseverschlechterung führen kann, was aber trotzdem keineswegs die prinzipielle Unwirk- samkeit der Therapie beweist. Dieser Non-respon- der-Effekt wirkt sich um so nachhaltiger aus, je günstiger die Ausgangsprognose des untersuchten Patientenkollektivs ist, weil hier das Risiko der Pro- gnoseverschlechterung eine viel höhere Verwirk- lichungswahrscheinlichkeit hat als die Chance der Prognoseverbesserung. Dies erklärt auch, dass es durchaus kein Zufallsphänomen sein muss, wenn sich in ein und derselben Studie unter der neoad- juvanten Therapie die Prognose der Patienten mit T2-Tumoren zu verschlechtern, bei T3-Tumoren hingegen zu verbessern scheint.

Beim adjuvanten Therapieansatz hingegen wird die Zystektomie nicht hinausgezögert, da die Chemotherapie anschließend verabreicht wird. Bei diesem Szenario riskiert man also zumindest bei keinem Patienten eine Prognoseverschlechterung durch Verschieben der definitiven Therapie

»Verdünnungseffekt«

Geht man von der Hypothese aus, dass eine zusätz- liche perioperative Chemotherapie die Wahr- scheinlichkeit der Tumorprogression um ein Drit- tel reduzieren kann, dann ist die Ausgangswahr- scheinlichkeit, mit der eine solche Progression ohne zusätzliche Therapie auftreten wird, wahrscheinlich die wichtigste Variable für die Planung einer kli-

nischen Studie, mit der man den Effekt oder den Nichteffekt einer zusätzlichen Therapie beweisen will. Wählt man dementsprechend eine Patienten- gruppe mit einem Progressionsrisiko von 20% für eine solche Studie aus, dann kann man im besten Falle (keine tumorunabhängigen Todesfälle, keine Patienten, die die Teilnahme an der Studie nach- träglich verweigern usw., also Faktoren, die die Daten weiter verwässern) damit rechnen, dass man die Prognose der behandelten Patientengruppe um 6–7% (ein Drittel von 20%) verbessern kann. Um darüber hinaus die statistische Signifikanz eines sol- chen Überlebensvorteils belegen zu können, bedarf es bei einem so geringen Überlebensvorteil eines Studienkollektivs von ungefähr 1000 Patienten, von denen 500 die zusätzliche Chemotherapie erhalten müssten und deren überlebensverbessernder Effekt bewiesen werden soll. Im günstigsten Falle, näm- lich dann, wenn das angestrebte Ziel einer Über- lebensverbesserung von 6–7% tatsächlich erreicht wird, sieht die Bilanz bei den 500 Patienten mit der zusätzlichen Behandlung folgendermaßen aus:

400 Patienten wären auch ohne die zusätzliche Chemotherapie geheilt worden, sie haben also eine zusätzliche Therapie erhalten, aus der sie keinerlei Nutzen, möglicherweise aber eine nicht unerhebli- che Toxizität als Negativeffekt gezogen haben (das unter I) beschriebene Non-responder-Problem ist dabei nicht einmal mitberücksichtigt, denn dieses gilt nur für die neoadjuvante Situation, während der hier beschriebene Verdünnungseffekt für die adju- vante wie die neoadjuvante Situation gleichermaßen gilt). Die verbliebenen 100 Patienten wären ohne die zusätzliche Chemotherapie gestorben. Da die zusätzliche Chemotherapie aber nur jeden dritten dieser Todesfälle verhindert, werden 67 Patienten trotz der zusätzlichen Chemotherapie versterben, so dass auch diese sich einer Zusatzbehandlung un- terzogen haben, die ihnen keinen Nutzen gebracht hat. Bei diesem Rechenbeispiel muss man also 500 Patienten chemotherapieren, von denen nur 33 tat- sächlich davon profitieren.

Führt man die gleiche Studie hingegen bei einer Patientengruppe durch, bei der man von einem Progressionsrisiko von 90% ausgeht, dann hat man bei gleichem Studiendesign und gleicher vermute- ter Wirksamkeit der Chemotherapie die Chance, die Heilungswahrscheinlichkeit um ein Drittel von 90%, also um 30% zu verbessern. Im konkreten Fall würde dies bedeuten, von 10% auf 40%. Um hier den Nachweis einer statistischen Signifikanz führen zu können, würde ein Kollektiv von 160 Patienten wahrscheinlich mehr als ausreichen. Der

Lehmann_S1F_2sp.indd 119

Lehmann_S1F_2sp.indd 119 03.09.2004 14:15:1303.09.2004 14:15:13

(12)

10

Einfachheit halber soll das Beispiel aber im Folgen- den mit 200 Patienten »durchgerechnet« werden. Im Behandlungsarm müssten 100 Patienten die zusätz- liche Chemotherapie erhalten. Von diesen 100 Pa- tienten wären 10 ohnehin geheilt worden. Von den verbleibenden 90 Patienten würden bei Erreichen des erhofften Studienziels ein Drittel, also 30 weitere Patienten geheilt werden, die verbleibenden 60 Pati- enten würden mit und ohne zusätzliche Therapie an ihrer Erkrankung versterben. Bei diesem Szenario beträgt für den individuellen Patienten die Wahr- scheinlichkeit, sich einer zusätzlichen Behandlung zu unterziehen, von der man keinen Nutzen zieht, also 70%, die Wahrscheinlichkeit, davon zu profitie- ren, beträgt 30%. Das letztere Szenario ist von daher als klinische Studie sicherlich wesentlich sinnhafter als das zuerst genannte und zwar aus zwei Gründen:

Zum einen ist die statistische Wahrscheinlichkeit, die erhoffte Prognoseverbesserung tatsächlich auch beweisen zu können, bei dem Patientenkollektiv mit ungünstiger Ausgangsprognose weitaus größer als beim Patientenkollektiv mit günstiger Ausgangs- prognose. Darüber hinaus ist der Aufwand weitaus geringer und die Studie kann im Zweifelsfall wesent- lich schneller durchgeführt werden. Zum zweiten scheint eine Studie ethisch schwer zu rechtfertigen, bei der man im günstigsten Fall eine nutzlose, im Fall einer systemischen Polychemotherapie darüber hinaus aber auch erheblich toxische Therapie in 94% der Fälle in Kauf nehmen muss, um die Hei- lungswahrscheinlichkeit vielleicht um 6% zu stei- gern. Das Szenario bei schlechter Ausgangsprogno- se erscheint mit 70:30 weitaus akzeptabler.

Genau an diesem Punkt liegt aber die zwei- te konzeptionelle Schwäche praktisch aller derzeit publizierten neoadjuvanten Therapiestudien: Die Einschlusskriterien waren durchweg muskelinvasi- ve Blasenkarzinome, wobei sowohl klinisch organ- begrenzte (T2) als auch klinisch organüberschrei- tende Tumoren (T3) akzeptiert wurden. Der Anteil der T2-Tumoren lag teilweise bei über 50%. Da man davon ausgehen kann, dass das klinische T2- Karzinom auch mit der alleinigen Zystektomie in bis zu 80% der Fälle geheilt werden kann, wird offensichtlich, in welch erheblichem Ausmaß hier der beschriebene Verdünnungseffekt zum Tragen kommt. Man hat also Studien konzipiert, bei denen man von vorneherein im besten Falle mit einer Ver- besserung der Überlebenswahrscheinlichkeit um 10% rechnen konnte. Darüber hinaus war der Fall- zahlbedarf natürlich erheblich. Bis zum Jahre 2003 wurden schlussendlich mehr als 10 neoadjuvante Therapiestudien mit zusammen mehr als 3000 Pa-

tienten publiziert, von denen 8 keinen eindeutigen Nutzen der neoadjuvanten Chemotherapie zu bele- gen schienen, während sich in zwei, die aber zu den zahlenmäßig größten zählten, eine Prognoseverbes- serung der Größenordnung von 5–6% abzeichnete, die von statistisch grenzwertiger Signifikanz war.

Erst eine im Juni 2003 publizierte Metaanalyse, die sich auf individuelle Datensätze von mehr als 2000 Patienten aus insgesamt 10 publizierten und teil- weise auch unpublizierten Studien stützen konn- te, förderte ein klares Ergebnis zutage (Advanced Bladder Cancer Meta-analysis Collaboration 2003).

Lediglich die 317 Patienten aus der Studie der ameri- kanischen SWOG- (South-West-Oncology-Group-) Studie 8710 konnten bei dieser Metaanalyse nicht auf der Grundlage individueller Datensätze mita- nalysiert werden (Grossman et al. 2003). Die riesige Fallzahl dieser Metaanalyse zeigte nun im Behand- lungsrahmen tatsächlich eine Reduktion des To- desfallrisikos um 13% gegenüber dem Kontrollarm, woraus eine Überlebensverbesserung von 5% nach 5 Jahren resultiert. Aufgrund der Größe der Fallzahl ist der gezeigte Unterschied allerdings hoch signifi- kant, womit zumindest eine wesentliche Kernfrage als beantwortet gelten kann, nämlich die Frage, ob es überhaupt möglich ist, die Heilungswahrschein- lichkeit mit einer perioperativen Chemotherapie zu verbessern. Die Antwortet lautet nun eindeutig: Es ist möglich.

Gemeinsam mit dieser Metaanalyse wurde auch ein sehr differenzierter Kommentar von Stadler und Lerner abgedruckt, die das aus dieser Arbeit resul- tierende Hauptdilemma klar ansprechen: Würde man aus dieser Arbeit die Schlussfolgerung ableiten, dass jeder Patient, der mindestens einen muskelin- vasiven Blasentumor hat, eine präoperative Chemo- therapie erhalten soll, würden von 100 behandelten Patienten nur 5 einen Nutzen ziehen (Stadler und Lerner 2003). Es ist offensichtlich, dass eine solche generelle Empfehlung unsinnig wäre, auch wenn heute Chemotherapiekombinationen zur Verfügung stehen, die weniger toxisch sind als M-VAC. Leider zeichnet sich auch nicht ab, dass man Tumorcha- rakteristika definieren könnte, die das Ansprech- verhalten auf die Chemotherapie vielleicht exakter voraussagen könnten. Es bleibt im Grunde also nur der Ausweg, die Entscheidung für oder gegen die zusätzliche Chemotherapie vor allem von der Wahr- scheinlichkeit der Tumorprogression abhängig zu machen, die sich derzeit natürlich im Wesentlichen auf der Grundlage des histopathologischen Tumor- stadiums beurteilen lässt. Nur so ist es im Regelfall gewährleistet, dass die zusätzliche Chemotherapie

Lehmann_S1F_2sp.indd 120

Lehmann_S1F_2sp.indd 120 03.09.2004 14:15:1303.09.2004 14:15:13

(13)

auf die Patienten beschränkt bleibt, bei denen eine sinnvolle Relation von potentiellem Nutzen und potentieller Übertherapie gegeben ist. Da die In- formation des histopathologischen Tumorstadiums aber nur nach der Zystektomie zur Verfügung steht, bleibt natürlich nur noch die Option der adjuvanten Chemotherapie. Wir sind also mit dem paradoxen Ergebnis konfrontiert, das es nach mehr als 15 Jah- ren zwar gelungen ist, einen Überlebensvorteil durch die neoadjuvante Chemotherapie zu beweisen, dass dieser Beweis aber im Regelfall eher die Empfehlung einer adjuvanten Therapie nach sich ziehen wird.

Eine klare Indikation zur primären Chemotherapie besteht aber sicherlich beim klinisch inoperablen oder nur fraglich operablen Primärtumor, weil hier die Vorbehandlung die Wahrscheinlichkeit eines Operationsabbruchs oder einer Operation mit in- kompletter Tumorresektion deutlich reduzieren kann. Diese Situation ist aber in Deutschland relativ selten geworden. Man sollte in diesem Fall wohl auch eher von einer induktiven, weniger von einer neoadjuvanten Therapie sprechen, weil hier sicher- lich die Wiedergewinnung der Operabilität erstran- giges Behandlungsziel ist.

Adjuvante Chemotherapie

Die bisherigen Erfahrungen mit der adjuvanten Chemotherapie stellen sozusagen den Negativab- druck der neoadjuvanten Erfahrung dar. Vieles lässt sich zwanglos aus dem ableiten, was bereits zur neoadjuvanten Therapie ausgeführt worden ist. Die Favorisierung der neoadjuvanten Strategie durch die Meinungsbildner der nationalen und interna- tionalen Studienverbände, wie SWOG (South West Oncology Group) in den USA oder EORTC (Euro- pean Organisation for Treatment and Research of Cancer) in Europa ließ über Jahre hinweg keinen Raum für die Testung der adjuvanten Chemothera- pie auf multizentrischer Basis.

Aus diesem Grunde wurden bis 2003 zum The- ma »Adjuvante Polychemotherapie« nur einige unizentrische Studien publiziert, die wegen ihrer methodischen Schwächen und ihrer kleinen Fall- zahl kritisiert oder zumindest kontrovers diskutiert wurden. Drei dieser Studien (Skinner et al. 1991;

Stöckle et al. 1992; Freiha et al. 1996) zeigten jedoch eine signifikante Verbesserung im progressionsfrei- en Überleben für die Patienten, die eine adjuvante Chemotherapie erhalten hatten, im Vergleich zu den Patienten nach alleiniger operativer Therapie. Die drei genannten Studien hatten bei der Patientenaus-

wahl eine wichtige Gemeinsamkeit: es wurden nur Zystektomiepatienten mit organüberschreitendem Tumorwachstum (organüberschreitender Primär- tumor und/oder Lymphknotenbefall) in die Studie aufgenommen. Ungefähr 50% der rekrutierten Pati- enten hatten tumorbefallene Lymphknoten. Bei die- sen Studien bestand somit aufgrund des relativ ho- hen Progressionsrisikos der analysierten Patienten von vornherein eine deutlich höhere Wahrschein- lichkeit, eine evtl. erreichbare Prognoseverbesse- rung auch nachweisen zu können als bei den oben beschriebenen neoadjuvanten Studien. Da aufgrund der beschriebenen neoadjuvanten Metaanalyse als prinzipiell bewiesen gelten kann, dass man mit einer perioperativen Chemotherapie die Prognose ver- bessern kann, erscheint es rückblickend betrachtet auch konsistent, dass man bei diesen drei adjuvan- ten Studien deutlichere Unterschiede zugunsten der chemotherapierten Patienten findet als in den zitier- ten neoadjuvanten Serien. Wahrscheinlich konnte in allen drei Serien eine statistische Signifikanz des gezeigten Prognoseunterschiedes auch nur aufgrund des hohen Anteils lymphknotenpositiver Patienten gezeigt werden. Bei den lymphknotennegativen Pa- tienten wird die Ausgangsprognose bereits wieder so günstig, dass aufgrund des oben beschriebenen

»Verdünnungseffektes« deutlich geringere Effekte erreicht werden, deren statistische Signifikanz nur bei wesentlich größerer Fallzahl nachzuweisen wäre.

Einige andere publizierte adjuvante Therapiestudi- en, die keinen signifikanten Prognoseunterschied zeigen, unterscheiden sich bezüglich der Patien- tenselektion vor allem dadurch, dass man nur einen geringeren Anteil lymphknotenpositiver Patienten oder gar keine lymphknotenpositiven Patienten ein- geschlossen hat.

Auch in der derzeit wohl bestdokumentierten unizentrischen Zystektomieserie, nämlich der der Skinner’schen Arbeitsgruppe, fand sich bei mehr als 1000 Patienten nur in der Subgruppe der Patienten mit tumorbefallenen Lymphknoten ein statistisch signifikanter Unterschied zu Gunsten der Patien- ten mit adjuvanter Chemotherapie: Die Überlebens- wahrscheinlichkeit bei dieser Patientengruppe lag bei 39% und damit um 10% besser als ohne Chemo- therapie (Stein et al. 2003).

Ergebnisse der ersten zu Ende geführten mul- tizentrischen adjuvanten Polychemotherapiestudie wurden kürzlich vorgestellt (Lehmann et al. 2003):

In dieser Studie waren insgesamt mehr als 320 Pa- tienten in knapp 40 deutschen Kliniken rekrutiert worden, wobei allerdings unter Verzicht auf einen unbehandelten Kontrollarm zwei verschiedene For-

Lehmann_S1F_2sp.indd 121

Lehmann_S1F_2sp.indd 121 03.09.2004 14:15:1303.09.2004 14:15:13

(14)

10

men der Chemotherapie (M-VAC versus Cisplatin/

Methotrexat) miteinander verglichen worden wa- ren. In dieser Studie lag die progressionsfreie Fünf- jahresüberlebensrate der lymphknotenpositiven Patienten bei ca. 41% und damit sogar eher etwas günstiger als in der Serie von Skinner, obwohl man bei sicherlich weniger sorgfältiger Lymphknoten- ausräumung und bei heterogenem Standard der un- terschiedlichen teilnehmenden Kliniken eher mit einem etwas schlechteren Ergebnis gerechnet hätte.

Die Urologische Universitätsklinik Ulm ließ im glei- chen Behandlungszeitraum auch die Patienten mit Lymphknotenbefall ohne adjuvante Chemotherapie.

Die Überlebensraten von 118 Patienten mit Lymph- knotenbefall, die mit einer Ileumneoblase versorgt waren, wurden zuletzt publiziert (Gschwend et al.

2004): Das progressionsfreie Überleben nach 5 Jah- ren lag bei 22,5%, also etwa 18% schlechter als in der multizentrischen Serie von Lehmann et al. Er- neut sollte man vorsichtig mit dem Vergleich unter- schiedlicher Behandlungsserien sein: Bedenkt man aber, dass die Ulmer Patienten in einem überregio- nalen Überweisungszentrum behandelt wurden und dass innerhalb dieser Serie auch nur die Patienten mit einer Neoblase, also im Zweifel die fittesten und die motiviertesten, analysiert wurden, so wür- de man aufgrund der mehrfachen Positivselektion eigentlich bei den Ulmer Patienten im Zweifel die besseren Überlebensraten erwarten. Dass es umge- kehrt ist, ist zumindest als deutlicher Hinweis auf die Wirksamkeit der adjuvanten Chemotherapie zu interpretieren.

Salvage-Lymphadenektomie bei lymphogenem Tumorprogress

Die cisplatingestützte Chemotherapie des Uro- thelkarzinoms allein scheint im Regelfall also die betroffenen Patienten nicht heilen zu können. Ein überlebensverbessernder Effekt konnte bislang im Wesentlichen also für die Patientengruppe gezeigt werden, bei der zum Zeitpunkt der Operation mit dem Vorliegen von Mikrometastasen zu rechnen war. Es scheint also, dass die Chemotherapie die soliden Tumoranteile zwar häufig verkleinern, im Regelfalle aber nicht vollständig sterilisieren kann.

Bei Mikrometastasen und/oder zirkulierenden Tumorzellen scheint dies hingegen in einem Teil der Fälle zu gelingen. Dies eröffnet natürlich umge- kehrt auch die Perspektive, Tumorstadien, die man bislang operativ als inoperabel oder als inkurabel eingestuft hat, durch die Kombination aus primärer

Chemotherapie und sekundärer Operation zu thera- pieren. Erste veröffentliche Serien lassen erkennen, dass auch solche Patienten im Sinne einer defini- tiven Heilung von solchen sekundären Operatio- nen profitieren können, auch wenn im Operations- präparat noch vitale Tumorreste gefunden werden (Herr et al. 2001). Mit diesen Ergebnissen wird auch die Frage relevant, ob die Ausräumung tumorbefal- lener retroperitonealer Lymphknoten oder zahlen- mäßig begrenzter Fernmetastasen in Kombination mit der Chemotherapie oder nach dem Anspre- chen auf eine Chemotherapie als zusätzliches neues Therapieprinzip mit kurativem Anspruch etabliert werden kann. Eine erste kleine Serie von 11 derart behandelten Patienten wurde kürzlich veröffentlicht (Sweeney et al. 2003), wobei sich aber die Perspek- tive einer langfristigen Heilung nur für vier Patien- ten zu zeigen scheint, bei denen histopathologisch keine Tumorreste mehr (n=2) oder maximal zwei befallene Lymphknoten mit vitalem Tumornach- weis (n=2) fanden. Die 11 beschriebenen Patienten wurden im Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York und im M.D. Anderson Cancer Center in Houston, also in zwei der größten uro-onkolo- gischen Zentren der Welt behandelt. Wenn zwei so große Zentren sich zusammenschließen müs- sen, um auf eine Serie von 11 Patienten zu kom- men, dann erweckt dies natürlich den Eindruck, dass Patienten, die für eine solche Behandlung in Betracht kommen, extrem selten sind. Berücksich- tigt man dann noch eine Überlebenswahrschein- lichkeit von maximal 40%, dann mag der Eindruck entstehen, dass mit dem Konzept einer sekundären retroperitonealen Lymphknotenausräumung nach Chemotherapie eine Kuriosität, aber kein wirklich für den klinischen Alltag relevantes Behandlungs- konzept beschrieben wird. Der Eindruck mag aber täuschen: Mit einem etwas anderen chemothera- peutischen Grundkonzept wurden in der eigenen Klinik innerhalb relativ kurzer Zeit inzwischen acht derartige Patienten sekundär operiert. Es deutet sich an, dass mit dieser Konzeption, die derzeit auf einer Gemcitabine-gestützten Vorbehandlung fußt, auch Patienten mit deutlich mehr als zwei tumor- befallenen Lymphknoten noch eine kurative Chance haben. Sollte es mittelfristig also doch gelingen, das Konzept einer solchen Salvage-Therapie zu etablie- ren, dann hätte das natürlich wahrscheinlich auch Rückwirkung auf die Diskussion über das sinnvolle Ausmaß der Lymphknotenausräumung im Rahmen der Primärtumoroperation. Erste Ergebnisse der eigenen Salvage-Operationen wurden 2004 publi- ziert (Hack et al. 2004).

Lehmann_S1F_2sp.indd 122

Lehmann_S1F_2sp.indd 122 03.09.2004 14:15:1403.09.2004 14:15:14

(15)

Literatur

Advanced Bladder Cancer Meta-analysis Collaboration (2003) Neoadjuvant chemotherapy in invasive bladder cancer: a systematic review and meta-analysis. Lancet 361: 1927–

1934

Bredael JJ, Croker BP, Glenn JF (1980) The curability if invasive bladder cancer treated by radical cystectomy. Eur Urol 6:

206–210

Dretler SP, Ragsdale BD, Leadbetter WF (1973) The value of pelvic lymphadenectomy in the surgical treatment of bladder cancer. J Urol 109: 414–416

Feinstein AR, Sosin DM, Wells CK (1985) The Will Rogers phenomenon. Stage migration and new diagnostic tech- niques as a source of misleading statistics for survival in cancer. N Engl J Med 312: 1604–1608

Freiha F, Reese J, Torti FM (1996) A randomized trial of radi- cal cystectomy versus radical cystectomy plus cisplatin, vinblastine and methotrexate chemotherapy for muscle invasive bladder cancer. J Urol 155: 495-499

Grossman HB, Natale RB, Tangen CM, Speights VO, Vogelzang NJ, Trump DL, deVere White RW, Sarosdy MF, Wood DP, Jr., Raghavan D, Crawford ED (2003) Neoadjuvant che- motherapy plus cystectomy compared with cystectomy alone for locally advanced bladder cancer. N Engl J Med 349: 859–866

Gschwend JE, Fair WR, Vieweg J (2000) Radical cystectomy for invasive bladder cancer: contemporary results and remaining controversies. Eur Urol 38: 121–130

Gschwend JE, Volkmer BG, Hautmann RE (2004) Radical cys- tectomy for bladder cancer in the neobladder era – pro- gression and survival in 674 consecutive patients. J Urol 171 (suppl): 80

Hack M, Gerber M, Dilk O, Albers P, Fechner G, Wülfing C, Piechota H, Loch T, Lehmann T, Stöckle M (2004) Long- term survival of patients with metastatic transitional cell carcinoma treated with a combined-modality approach of chemotherapy and metastasectomy. J Urol 171(suppl):

82

Herr HW (2003) Superiority of ratio based lymph node staging for bladder cancer. J Urol 169: 943–945

Herr HW, Donat SM, Bajorin DF (2001) Post-chemotherapy surgery in patients with unresectable or regionally meta- static bladder cancer. J Urol 165: 811–814

Leadbetter WF, Cooper JF (1950) Regional gland dissection for carcinoma of the bladder: a technique for one-stage cystectomy, gland dissection and bilateral uretero-enter- ostomy. J Urol 63: 242–247

Lehmann J, Retz M, Weining C, Albers P, Frohneberg D, Becker T, Funke P, Sternberg D, Wellek S, Stöckle M, members of the AUO AB 05/95 trial group (2003) Adjuvant cisplatin, methotrexate (CM) versus methotrexate, vinblastine, epi- rubicin, and cisplatin (MVEC) for locally advanced bladder

cancer: A large, randomized, multicenter trial. Proc Am Soc Clin Oncol 22: 391

Leissner J, Hohenfellner R, Thuroff JW, Wolf HK (2000) Lymph- adenectomy in patients with transitional cell carcinoma of the urinary bladder; significance for staging and prog- nosis. BJU Int 85: 817–823

Poulsen AL, Horn T, Steven K (1998) Radical cystectomy:

extending the limits of pelvic lymph node dissection improves survival for patients with bladder cancer con- fined to the bladder wall. J Urol 160: 2015–2019 Reid EC, Oliver JA, Fishman IJ (1976) Preoperative irradiation

and cystectomy in 135 cases of bladder cancer. Urology 8: 247–250

Skinner DG (1982) Management of invasive bladder cancer: a meticulous pelvic node dissection can make a difference.

J Urol 128: 34–36

Skinner DG, Daniels JR, Russell CA, Lieskovsky G, Boyd SD, Nichols P, Kern W, Sakamoto J, Krailo M, Groshen S (1991) The role of adjuvant chemotherapy following cystectomy for invasive bladder cancer: a prospective comparative trial. J Urol 145: 459–464

Smith JA, Whitmore WF (1981) Regional lymph node metasta- sis from bladder cancer. J Urol 126: 591–593

Stadler WM, Lerner SP (2003) Perioperative chemotherapy in locally advanced bladder cancer. Lancet 361: 1922–1923 Stein JP, Cai J, Groshen S, Skinner DG (2003) Risk factors for

patients with pelvic lymph node metastases following radical cystectomy with en bloc pelvic lymphadenec- tomy: concept of lymph node density. J Urol 170: 35–41 Sternberg CN, Yagoda A, Scher HI, Watson RC, Ahmed T,

Weiselberg LR, Geller N, Hollander PS, Herr HW, Sogani PC (1985) Preliminary results of M-VAC (methotrexate, vinblastine, doxorubicin and cisplatin) for transitional cell carcinoma of the urothelium. J Urol 133: 403–407 Stöckle M, Meyenburg W, Wellek S, Voges G, Gertenbach U,

Thuroff JW, Huber C, Hohenfellner R (1992) Advanced bladder cancer (stages pT3b, pT4a, pN1 and pN2):

improved survival after radical cystectomy and 3 adjuvant cycles of chemotherapy. Results of a controlled prospec- tive study. J Urol 148: 302–306

Sweeney P, Millikan R, Donat M, Wood CG, Radtke AS, Pettaway CA, Grossman HB, Dinney CP, Swanson DA, Pisters LL (2003) Is there a therapeutic role for post-chemothera- py retroperitoneal lymph node dissection in metastatic transitional cell carcinoma of the bladder? J Urol 169:

2113–2117

Sylvester R, Collette L (2001) When do statistics lie? UroOncol 1: 185–194

Whitmore WF, Marshal V (1962) Radical total cystectomy for cancer of the bladder: 230 consecutive cases five years later. J Urol 87: 853–862

Wishnow KI, Tenney DM (1991) Will Rogers and the results of radical cystectomy for invasive bladder cancer. Urol Clin North Am 18: 529–537

Lehmann_S1F_2sp.indd 123

Lehmann_S1F_2sp.indd 123 03.09.2004 14:15:1403.09.2004 14:15:14

Riferimenti

Documenti correlati

in precedenza, e almeno altrettanto importante: la ritroviamo al di qua e al di là delle Alpi, nel balivato di Savoia, culla della dinastia umbertina, come in quelli di

angesichts dieser ausgangslage besteht mein Beitrag in zwei Schrit- ten: 1) ich rekonstruiere den Emotional turn in den Kultur- und Sozial- wissenschaften – weitgehend ohne Scheler -

Menschen gerettet werden, langfristig aber umso mehr ihr Leben verlieren, weil die Zahl der Migranten steigt?.. Diesem Dilemma könne man nur entfliehen, so Mastrobuoni, wenn

La nuova piattaforma na- zionale IdroGEO (https:// idrogeo.isprambiente.it) è un sistema informativo integra- to che consente la gestione e la consultazione di dati, mappe,

Wirkungen eines Brandes in wirtschaftlicher Hinsicht, die Gefähr- dung von Menschen und Tieren ist um so größer, ein je umfang- reicheres Objekt in Flammen aufgeht, auf ein

S i e Söetteuerung ber SebenSmittet in ¡Berlin im Saufe bet leisten 30 3n()te. SBrauereigctoerbe Ungelernte Strbeiter uflo. @ejd)äftÄtutfd)er, ¡Patfer, Strbeiter

Die Kosten der öffentlichen Verkehrsmittel sind ziemlich teuer und es gibt nicht so viele Investitionen für Touristen, aber eine gute Investition kann die Würzburg

Dieses Recht wirkt auf die Verfassung im formellen Sinn, aber noch viel mehr auf die Verfassung im materiellen Sinn mit dem Ziel, die nationalen Verfassungen an die Erfordernisse