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Palliative Pflege bei Kindern
Susanne Kränzle
15.1 Beobachtung des Kindes –246
15.2 Umgang mit einem sterbenden Kind –247 15.3 Umgang mit Eltern und Geschwistern –247 15.4 Abschied nehmen –247
15.5 Das betreuende Team –247 Literatur –247
246 Kapitel 15 · Palliative Pfl ege bei Kindern
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Susanne Kränzle
In Kürze
Die Pfl ege eines sterbenden Kindes ist für alle Beteiligten eine besonde- re Herausforderung. Es ist nicht »normal«, dass Kinder sterben, es ist im Lebensentwurf von Eltern nicht vorgesehen, dass sie ihr eigenes Kind zu Grabe tragen müssen. Somit befi nden sich nicht nur das sterbende Kind, sondern auch die Eltern, Geschwister, Großeltern und der Freundeskreis aller Familienmitglieder in einer außergewöhnlich belastenden Situaton.
täglich den Blutdruck oder die Körpertemperatur zu messen, nur um einen Eintrag in die Patientenakte vornehmen zu können. Möglicherweise ist es pro- fessioneller, sich gegen eine Messung zu entschei- den. Die Hautfarbe, die Regelmäßigkeit, Tiefe und Frequenz der Atmung, das Beobachten der Atmung auf das eventuelle Vorliegen typischer Atemmuster von Sterbenden, die Herzfrequenz, die Menge und Beschaffenheit des Urins und die Bewusstseinslage des Kindes sind in der Regel ausreichende Parame- ter zur Beurteilung des aktuellen Zustandes. Wenn ein Kind keine Fieberschübe hat, die einer medika- mentösen Behandlung bedürfen, ist auch hier die regelmäßige, gewohnheitsmäßige Ermittlung der Körpertemperatur in Frage zu stellen.
Unerlässlich hingegen ist die ständige Beobach- tung des Kindes auf
4 Schmerzen
4 Atemnot, Verschleimung 4 Übelkeit, Erbrechen 4 Durst
4 Unruhe, Angst 4 Ausscheidungen 4 Schwitzen oder Frieren 4 Versuche, sich zu äußern
Diese Symptome und Ereignisse machen ra- sches Handeln erforderlich und sollten so geklärt sein, dass auch in Abwesenheit eines Arztes von Pflegekräften oder im häuslichen Bereich von Eltern ausreichend interveniert werden kann.
Eine mindestens genauso wichtige Rolle in der Beobachtung eines sterbenden Kindes spielen Aussehen, Körpersprache, Gestik, Mimik und der Blick des Kindes, der ruhig, angsterfüllt, präsent oder auch »weit weg« wirken kann. Möglicherwei- se wünscht sich ein Kind mehr Nähe ‒ oder auch mehr Distanz, mehr »Freiheit«, mehr Raum für sich Je nach Alter des Kindes ist es mehr oder weni-
ger in der Lage, seine Bedürfnisse in dieser letzten Lebensphase verständlich zu machen, d. h. Kran- kenbeobachtung und das Kennen der Gewohnhei- ten, Vorlieben und Abneigungen sind von größter Bedeutung. Ebenso ist in dieser Situation auch den Eltern, Geschwistern und Angehörigen Aufmerk- samkeit zu schenken. Diese brauchen freundliches, geduldiges Entgegenkommen in einer der vermut- lich schwierigsten Phasen ihres Lebens, in der sie sich mit Sicherheit nicht immer so verhalten kön- nen, wie sie es für gewöhnlich tun ‒ gelegentlich liegen die Nerven blank, suchen sie einen »Schuldi- gen« oder geht die Kraft zu Ende ‒ das bekommen am ehesten die Pflegenden zu spüren.
! Es ist als Pfl egeperson gut, in dieser Zeit nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen, groß- zügig und nachsichtig zu sein, um nicht selber sich verletzbarer zu machen als es nötig und angemessen ist. Sicherlich kann sich niemand in letzter Konsequenz vorstellen, was Eltern erleben und durchstehen müssen, die am Bett ihres sterbenden Kindes wachen und hoff en und bangen.
15.1 Beobachtung des Kindes
Um beurteilen zu können, wie weit fortgeschritten der Sterbeprozess eines Kindes ist, können die regel- mäßige Beobachtung und Dokumentation der Vi- talzeichen eines Kindes hilfreich sein. Körpertem- peratur, Atmung, Kreislaufsituation mit Puls und Blutdruck sowie Ausscheidungen sind so zu kontrol- lieren, dass das Kind dadurch nicht zusätzliche Er- schwernisse erleidet. Bei allem, was wir tun, sollten wir überlegen, ob und welche Konsequenzen sich daraus ergeben und ob es sinnvoll ist, z. B. mehrfach
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15.6 · Empfehlungen zum Weiterlesen
alleine ‒ oftmals kann nur aus der Beobachtung und Intuition heraus gehandelt werden.
15.2 Umgang mit einem sterbenden Kind
Wie bei einem erwachsenen Patienten sind alle Pfle- gemaßnahmen abzuwägen und mit größter Sorgfalt durchzuführen: regelmäßige Mundpflege (s. dort), Anbieten von Getränken und Nahrung, Lagerung, Wechsel von Windeln und Unterlagen, das Auf- schütteln des Bettes. Vor jeder Pflegemaßnahme ist das Kind ungeachtet der Bewusstseinslage altersge- recht über die bevorstehende Maßnahme zu infor- mieren.
15.3 Umgang mit Eltern und Geschwistern
Eltern und Geschwister des sterbenden Kindes brauchen eine besondere Form der Begleitung, die nur im interdisziplinären Rahmen und als Team- arbeit verstanden glücken kann (Kinderhospiz:
7 Kap. 9.4).
15.4 Abschied nehmen
Grundlegend wichtig für das Weiterleben von El- tern und Geschwistern sind die Möglichkeit und die Form des Abschiednehmens. Abschied wird genommen vom lebenden Kind, das sich wiederum auch selber verabschieden möchte, Abschied wird aber auch genommen vom verstorbenen Kind, um danach einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen, in dem nichts mehr so sein wird wie zuvor (Kinder- hospiz: 7 Kap. 9.4 und Abschiedsrituale: 7 Kap. 17).
15.5 Das betreuende Team
An das Team, das eine Familie mit einem sterbenden Kind und das sterbende Kind betreut, stellt eine sol- che Begleitung eine hohe Herausforderung dar. Das Team bedarf wiederum selber einer fachlich kom- petenten Unterstützung durch Supervision, Seelsor- ge und auch durch eigene Rituale und Traditionen.
Jede einzelne Person trägt für sich Verantwortung und sorgt für sich in individueller und angemesse- ner Weise, wissend, wohin sie sich wenden könnte, wenn sie mit dem Erlebten nicht zurecht kommt (Selbstpflege: 7 Kap. 12).
Literatur
Buckingham R (1989) Mit Liebe begleiten. Knaur, München Kübler-Ross E (1998) Kinder und Tod. Kreuz, Stuttgart