Karotisstenosenoperationen
15.1. Zerebrale Durchblutungsstörungen – 422 15.1.1 Risikofaktoren – 422
15.1.2 Pathogenese und Pathophysiologie – 422
15.2 Karotisstenose – 423 15.2.1 Klinik – 423
15.2.2 Diagnostik – 424 15.2.3 Therapie – 424
15.3 Anästhesiologisches Vorgehen – 427 15.3.1 Narkoserisiko – 427
15.3.2 Zerebraler Perfusionsdruck – 427
15.3.3 Arterieller CO
2-Partialdruck (p
aCO
2) – 427 15.3.4 Wahl des Anästhesieverfahrens – 428 15.3.5 Intraoperative Überwachung – 429 15.3.6 Hirnprotektion – 430
15.3.7 Postoperative Besonderheiten und Komplikationen – 431
15.4 Karotisstenose und koronare Herzkrankheit – 432
Literatur – 433
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15.1. Zerebrale Durch- blutungsstörungen
Zerebrale Durchblutungsstörungen gehören zu den dritthäufi gsten Todesursachen in Deutsch- land. Etwa 85 % der zerebralen Insulte beruhen auf einer Ischämie, ausgelöst durch thromboembo li- sche Komplikationen von Herz- und/oder Gefäß- erkrankungen; nur 15 % der Insulte sind primär hämorrhagisch bedingt. 90 % der Ischämien be- treffen das Stromgebiet der A. carotis. Danach tre- ten in Deutschland pro Jahr ca. 30.000 karotisas- soziierte Schlaganfälle auf.
Zu den häufi gsten Ursachen zerebraler Embo- lien gehören die extrakraniellen Karotisstenosen (ca. 20 %) und Herzerkrankungen, v. a. das Vorhof- fl immern sowie kardiale Embolien bei strukturel- len Herzkrankheiten; atherosklerotische Verän- derungen intrakranieller Gefäße spielen hingegen eine geringe Rolle.
15.1.1 Risikofaktoren
Die wichtigsten Risikofaktoren für zerebrale is- chämische Insulte sind:
5
Arterielle Hypertonie: ca. 4fach erhöhtes Ri- siko.
5
Diabetes mellitus/metabolisches Syndrom: ca.
2- bis 6faches Risiko.
5
Lebensalter: Verdopplung des Risikos ab dem 55. Lebensjahr mit jedem Lebensjahrzehnt.
5
Nikotinabusus: 2faches Risiko; nach 5 Jahren Nikotinabstinenz wie Nichtraucher.
5
Genetische Belastung: 2,4fach bei positiver Anamnese des Vaters, 1,4fach bei positiver Anamnese der Mutter.
5
Hyperlipidämie/Dyslipoproteinämie.
15.1.2 Pathogenese und Pathophysiologie
Die Durchblutung des Gehirns erfolgt über die Aa. carotis und Aa. vertebralis; diese Arterien kom munizieren über den Ciculus arteriosus Wil- lisi miteinander. Aufgrund des Kollateralsystems werden chronisch sich entwickelnde Gefäßveren-
gungen über einen langen Zeitraum kompensiert, ohne dass klinische Symptome auftreten.
Bei der
zerebrovaskulären Insuffi zienzbesteht ein Missverhältnis zwischen dem metabolischen Bedarf des Gehirns und dem Angebot an Sauer- stoff und Substraten, und zwar bedingt durch ei- ne unzureichende Durchblutung oder vollständi- ge Unterbrechung der Blutzufuhr.
Eine Abnahme der Durchblutung in den befal- lenen zervikokranialen Ästen ist jedoch erst dann zu erwarten, wenn der Querschnitt des Gefäßlu- mens um nahezu 90 % eingeengt worden ist. Auch wird die O
2- und Substratversorgung des Gehirns über eine lange Latenzzeit durch bestimmte Kom- pensationsmechanismen wie poststenotische Di- latation, vermehrte Kollateraldurchblutung, stär- kere O
2-Ausschöpfung des Blutes usw. aufrecht- erhalten. Meist werden die zerebralen Durchblu- tungsstörungen, auf der Basis der zugrundelie- genden Gefäßveränderungen, durch bestimmte Faktoren ausgelöst.
Auslöser der zerebralen Ischämie:
5 Blutdruckabfall in Ruhe, bei Belastung, nach Belastung,
5 exzessiver Blutdruckanstieg,
5 Myokardinfarkt, Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffi zienz,
5 Mikroembolien durch Plättchenthromben, 5 Embolien bei Herzklappenfehlern, 5 Kompression oder Abknickung von Hals-
arterien,
5 extreme Anämie bzw. Hämodilution, Polyglobulie, Thrombozythämie.
Die zerebralen Durchblutungsstörungen führen meist zu schlagartigen neurologischen Störungen, die sich entweder innerhalb von Stunden (tran- sitorische ischämische Attacken) bzw. etwa einer Woche (reversibles ischämisches neurologisches Defi zit) wieder vollständig zurückbilden oder aber zu irreversiblen Ausfällen führen.
Zur Behandlung der intermittierenden zere-
bralen Durchblutungsstörungen werden häufi g
gefäßchirurgische Verfahren eingesetzt. Hierbei
ergeben sich einige pathophysiologische Beson-
derheiten, die während der Operation und Nar- kose sowie in der unmittelbaren postoperativen Phase beachtet werden müssen.
15.2 Karotisstenose
Bei 1–3 % aller Erwachsenen besteht eine signi- fi kante (mehr als 50 %ige) Karotisstenose; bei den über 65-Jährigen steigt die Prävalenz auf 8 % an. Danach weisen mehr als 1 Mio. Menschen in Deutschland eine signifi kante Karotisstenose auf.
Bei mehr als 90 % der Patienten beruht die Steno- se auf einer Atherosklerose. Häufi gste Lokalisa- tionen sind der Karotisbulbus und der Abgangs- bereich der A. carotis interna (
.Abb.15-1). Wich- tigster Pathomechanismus einer karotisbezoge- nen zerebralen Ischämie ist die arterielle Embolie (Plaquesbestandteile, Thromben, Debris) aus dem stenotischen Bereich.
Stenosegrad.
Der Stenosegrad beschreibt das Aus- maß der Lumeneinengung der A. carotis. Am häu- fi gsten werden hierfür die sog.
NASCET-Kriterien(Bernett et al. 2002) angewandt. Hierbei wird der noch durchströmte Querdurchmesser der Steno- se bestimmt und mit dem Durchmesser der dista-
len, nicht erkrankten A. carotis interna oberhalb der Stenose verglichen (sog. distaler Stenosegrad).
Bei den
ECST-Kriterien(Anonymous 1998) wird dagegen der geringste noch durchströmte Quer- durchmesser der Stenose mit dem geschätzten ur- sprünglichen Durchmesser verglichen.
Subtotale Stenosen der A. carotis interna wer- den als
Pseudookklusionenbezeichnet, nachge- schaltete extra- oder intrakranielle Stenosen als
Tandemstenosen.
Die Bestimmung des Stenosegrads ist ein wichtiges Kriterium für die operative Indikations- stellung.
15.2.1 Klinik
Stenosen der A. carotis entwickeln sich oft über mehrere Jahre und bleiben symptomlos, so lange die Durchblutung im nachgeschalteten Gebiet auf- recht erhalten wird. Die Symptomatik hängt vom betroffenen Versorgungsgebiet der A. carotis com- munis und bestehender Kollateralisierung ab:
5
A. ophthalmica:
– Amaurosis fugax (uniokuläre gleichseitige Visusstörungen),
5
A. cerebri anterior:
– kontralaterale, brachifazial betone Halbsei- tensymptomatik,
– passagere bis bleibende Aphasie bei Beteili- gung der dominanten Hirnhälfte,
5
A. cerebri posterior:
– Hemianopsien und Hemihypästhesien.
Klinisch werden 4 Stadien der Karotisstenose un- terschieden (
.Tabelle 15-1).
Schlaganfallrisiko der > 75 %igen Karotisstenose:
5 Stadium I: spontane Apoplexrate 5 % pro Jahr, unter maximaler konservativer Therapie 1–3 % pro Jahr.
5 Stadium II: spontane Apoplexrate 15 % pro Jahr (NASCET) unter maximaler kon- servativer Therapie.
.Abb. 15-1. Typische Lokalisation atheromatöser Plaques an der Karotisbifurkation
15.2 · Karotisstenose
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15.2.2 Diagnostik
Die Verdachtsdiagnose ergibt sich aus der Anam- nese und dem körperlichen Befund. Da es sich bei der Atherosklerose um eine generalisierte Ge- fäßerkrankung mit bestimmten Prädilektions- stellen handelt, sollten bei Patienten mit Karot- isstenose immer ein angiologischer Status erho- ben und außerdem die kardiovaskulären Risiko- faktoren erfasst werden.
Stenosegrad, Plaquemorphologie und evtl ze- rebrale Läsionen werden mit folgenden apparati- ven Verfahren bestimmt:
5
Sonographie: bidirektionale continuous- wave-(CW)-Dopplersonographie, hochaufl ö- sende farbkodierte Duplexsonographie, tran- skranielle Dopplersonographie,
5
Angiographie: DAS, MR-Angiographie,
5kraniale Computertomographie.
15.2.3 Therapie
Die Behandlung der Karotisstenose hängt vom klinischen Stadium ab. Grundstein der medika- mentösen Therapie ist die Zufuhr von Acetylsali- cylsäure (ASS). Diese antithrombotische Substanz reduziert das Risiko für einen zerebralen Insult
nach TIA oder nicht kardiogenem Schlaganfall um 11–15 %, das kombinierte Risiko für Schlagan- fall, Herzinfarkt oder vaskulären Tod um 15–22 %.
Die stentgestützte, endoluminale Angioplastie der Karotisstenose gehört derzeit noch in den Bereich der experimentellen Therapieverfahren.
Leitlinien der AHA (2001) für die Behand- lung von Karotisstenosen:
5 Symptomatische Stenosen:
– Antithrombotische Medikamente:
Alle Patienten sollten Thrombozytenag- gregationshemmer erhalten; keine Rou- tinezufuhr von Antikoagulanzien.
– Endovaskuläre Therapie: keine Routine- empfehlung.
– Karotisendarteriektomie:.
Patienten mit Stenosen von 70–99 %, geeignete Kandidaten für eine Opera- tion und Symptome innerhalb der letz- ten 2 Jahre.
Bei Stenosen von 50–69 % Operation er- wägen.
Nicht indiziert bei Stenosen <50 %.
5 Asymptomatische Karotisstenose:
– TEA:
Zu erwägen bei Patienten unter 80 Le- bensjahren und Stenose > 60 %, wenn erfahrener Operateur verfügbar.
Faktoren wie Fehlen oder Vorhan- densein von Begleiterkrankungen.
Lebenserwartung und Wunsch des Pati- enten sollten berücksichtigt werden.
Operative Behandlung
Wichtigstes chirurgisches Behandlungsverfahren der Karotisstenose ist die
Thrombendarteriekto- miemit oder ohne Patchplastik der A. carotis in- terna. Durch die Operation kann bei symptoma- tischen 70- bis 99 %igen Karotisstenosen (Stadi- um II) das Risiko des gleichseitigen Schlaganfalls hochsignifi kant (um 16 %) und dauerhaft gesenkt werden.
Bei asymptomatischen Stenosen von > 60 % bzw. von 70–80 % sollte die Karotis-TEA erwogen werden, wenn eine niedrige perioperative Kompli- kationsrate gewährleistet ist. Der Vorteil der Ope-
.Tabelle 15-1. Klinische Stadien der Karotisstenose
Stadium Merkmale
I Asymptomatische Stenose
II Reversible zerebrale Ischämie
< 6 Monate
IIA Amaurosis fugax
IIB Transitorisch ischämische Attacke (TIA), Symptomatik bis zu 24 h III Akuter zerebraler Insult bzw.
progredienter Insult
IIIA Crescendo-TIA
IIIB Akuter/progredienter Schlaganfall IV Chronischer Insult mit bleibendem
neurologischem Defi zit
ration im Vergleich mit der medikamentösen The- rapie ist allerdings gering, sodass individuell ent- schieden werden muss.
Zeitpunkt der Operation
In den ersten Wochen nach einer zerebralen Isch- ämie beträgt das Risiko einer erneuten Ischämie bis zu 10 %. Darum sollte die Karotis-TEA so rasch wie möglich nach dem Ereignis durchgeführt wer- den. Dies gilt v. a. für Patienten mit einem neurolo- gischen Defi zit.
Notfallkarotis-TEA (Stadium III).
Bislang ist nicht abschließend geklärt, ob bei sich entwickelndem Schlaganfall (Crescendo-TIA; »stroke in evoluti- on«) eine Karotis-TEA durchgeführt werden soll.
Die bisher veröffentlichten Untersuchungergeb- nisse zeigen:
5
Bei Crescendo-TIA:
Prävention eines Schlaganfalls mit bleibender Behinderung in ca. 80 % der Fälle.
5
Bei progredientem Schlaganfall:
Präventionsrate von > 70 %.
Als Voraussetzungen für eine Notfall-TIA gelten:
5
wacher, ansprechbarer Patient,
5nachgewiesene Karotisläsion,
5
Ausschluss einer zerebralen Blutung und/
oder eines bereits etablierten akuten ischämi- schen Infarkts.
Als besondere Operationsindikation gilt der fl ot- tierende Thrombus, auch bei asymptomatischen Patienten.
Risiko der Operation
Folgende Faktoren erhöhen nachweislich das Schlag anfall-/Todesrisiko von Karotisstenosen- operation:
5
TIA (gegenüber Amaurosis fugax),
5weibliches Geschlecht,
5
Alter > 75 Jahre,
5
arterielle Hypertonie (systolischer Blutdruck
> 180 mmHg),
5
periphere arterielle Verschlusskrankheit,
5kontralateraler Karotisverschluss,
5ipsilaterale intrakranielle Karotisstenose.
Diabetes mellitus, Angina pectoris, Myokardin- farkt vor weniger als 6 Monaten, Nikotinabusus so- wie TIA (gegenüber ipsilateraler Schlaganfall) er- höhen das perioperative Schlaganfallrisiko nicht wesentlich.
Nach Empfehlungen der American Heart Asso- ciation muss die perioperative Komplikationsra- te bei symptomatischen Stenosen weniger als 6 %, bei asymptomatischen Stenosen weniger als 3 % betragen, um den prophylaktischen Nutzen der Karotis-TEA zu gewährleisten.
Operationsverfahren
Bei der Karotis-TEA wird der stenosierende athe- rosklerotische Plaque lokal desobliteriert. Ge- bräuchlich sind die konventionelle und die Ever- sions-TEA.
Praktisches Vorgehen:
7 Für die Operation wird der Patient auf den Rücken gelagert und der Kopf um 30–45°
zur Gegenseite gedreht.
7 Nach Darstellung der Karotisbifurkation wird das Gefäß ober- und unterhalb der Stenose abgeklemmt und danach eine konventionelle oder eine Eversions-TEA durchgeführt. Bei Bedarf Einlegen eines temporären Shunts während der Ab- klemmphase (s. unten).
7 Konventionelle TEA: Nach Längsarterioto- mie wird der Plaque desobliteriert, danach das Gefäß direkt vernäht oder mit einem Venen- oder Kunststoffbypass rekonstru- iert.
7 Eversions-TEA: Zunächst wird die A. ca- rotis interna am Abgang abgesetzt; dann werden die äußeren Wandschichten um den stenosierenden Plaque umgestülpt und der Plaque desobliteriert. Danach Reinsertion der A. carotis interna in die A. carotis communis.
7 Bei Rezidivstenosen, Karotisaneurysmen oder durch Bestrahlung hervorgerufe- nen Stenosen wird ein Interponat (Vene, Prothese) eingesetzt.
15.2 · Karotisstenose
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Temporärer Shunt.
In der Abklemmphase der Ope- ration wird bei Bedarf ein temporärer, heparinim- prägniert Shunt in das Gefäß eingelegt, um eine ausreichende Durchblutung der Hirngefäßgebie- te distal der Klemme zu gewährleisten. Allerdings muss auch beim Einsatz eines Shunts die Durch- blutung der A. carotis interna vorübergehend un- terbrochen werden. In dieser Phase hängt die Blut- und O
2-Versorgung der betroffenen Hemisphäre vollständig von einem ausreichenden Kollateral- kreislauf über den Circulus arteriosus ab.
Komplikationen
Die Karotis-TEA ist in den Händen des erfahrenen Operateurs ein sicheres Verfahren: Schwere lokale und allgemeine Komplikationen sind selten. Nach der NASCET-Studie traten bei 8,1 % aller Patien- ten eine oder mehrere medizinische Komplikati- onen auf, meist geringere kardiovaskuläre Ereig- nisse wie Blutdruckschwankungen oder Herz- rhythmusstörungen. Ein Myokardinfarkt trat bei 1 % der Patienten auf, respiratorische Komplikati- onen bei 0,8 %, temporäre Verwirrtheitszustände
bei 0,4 %. Aus deutschen Untersuchungen ergibt sich eine Rate schwerer kardiovaskulärer Kompli- kationen von 1,9 %; respiratorische Komplikatio- nen, Thromboembolien und renale Komplikatio- nen waren noch seltener.
Kollateralkreislauf.
Während der Abklemmphase der A. carotis vor Anlegen des temporären Shunts kann der Blutstrom zur A. cerebri media über den Circulus Willisi erfolgen; und zwar über eine oder beide Vertebralarterien oder über die A. carotis in- terna der Gegenseite (
.Abb. 15-2). Allerdings liegt bei rund 50 % aller Patienten keine A. communi- cans posterior vor, sodass die Kompensationsvor- gänge bei verminderter Karotisdurchblutung er- heblich eingeschränkt werden. Zusätzlich zum vor -her beschriebenen Kollateralkreislauf kann noch Blut über Äste der A. meningea media aus der A. carotis externa in den Versorgungsbereich der A. cerebri media einströmen. Außerdem sind noch Verbindungen zwischen A. carotis externa und A. carotis interna über Temporalarterien und die A. ophthalmica vorhanden.
.Abb. 15-2. Zerebrale Blutversorgung. Die Pfeile kennzeichnen den potenziellen Kollateralkreislauf. Links ist die Stumpf- druckmessung in der A. carotis interna distal der Klemme dargestellt
15.3 · Anästhesiologisches Vorgehen
!Besteht kein ausreichender Kollateralkreislauf oder wird die Kollateraldurchblutung durch Maßnahmen des Chirurgen und/oder Anästhe- sisten eingeschränkt, muss beim Abklemmen der A. carotis interna mit einer ischämischen Hirnschädigung gerechnet werden.
15.3 Anästhesiologisches Vorgehen
Alle anästhesiologischen Maßnahmen müssen darauf ausgerichtet sein, eine ausreichende Durch- blutung bzw. O
2-Versorgung des Gehirns aufrecht- zuerhalten.
15.3.1 Narkoserisiko
Patienten mit Karotisstenose bzw. zerebrovasku- lärer Insuffi zienz werden v. a. durch chirurgische Manipulationen und medizinische Risikofaktoren gefährdet. Inwieweit die Narkose selbst zu Morbi- dität und Mortalität beiträgt, ist gegenwärtig nicht bekannt, zumal die Häufi gkeit von postoperativen neurologischen Ausfällen 1–7,5 % beträgt – unab- hängig vom Narkoseverfahren!
Da aber bestimmte anästhesiologische Maß- nahmen die zerebrale Hämodynamik und den Hirn stoffwechsel beeinfl ussen können, besteht zu- mindest die Möglichkeit einer ischämischen Hirn- schädigung durch das Narkoseverfahren selbst.
An diesen möglichen Gefahren muss sich das an- ästhesiologische Vorgehen ausrichten.
Hochrisikopatienten.
Folgende Patienten weisen ein wesentlich erhöhtes Operationsrisiko auf und sind daher für elektive Karotisstenosenoperatio- nen nicht geeignet:
5
instabile Angina pectoris,
5hochgradige Aortenstenose,
5dekompensierte Herzinsuffi zienz,
5kürzlich erlittener Infarkt.
15.3.2 Zerebraler Perfusionsdruck
Die Hirndurchblutung wird bei Patienten mit ze- rebrovaskulärer Insuffi zienz v. a. vom zerebralen Perfusionsdruck, CPP (CCP = mittlerer Aorten- druck – intrakranieller Druck), bestimmt, weil die Autoregulation oft beeinträchtigt, in ischämi- schen Gebieten sogar aufgehoben ist. Da bei die- sen Patienten der intrakranielle Druck meist im Normbereich liegt, bestimmt v. a. der
mittlere Aor- tendruckdie Hirndurchblutung und den Blutfl uss in den Kollateralen.
!Der arterielle Blutdruck sollte im Bereich der Ausgangswerte liegen, beim Abklemmen der A. carotis interna etwa 15–20 % darüber.
Starke Blutdruckanstiege und Tachykardien erfor- dern besonders beim Koronarkranken eine umge- hende Behandlung:
5
Vertiefung der Narkose,
5
Esmolol, 50–100 mg i.v., bei Tachykardie und Hypertension,
5
Nitroglyzerin bei Hypertension.
Hypotension muss auf jeden Fall vermieden wer- den, besonders bei Hypertonikern, denn während bei intakten Gefäßen ein Blutdruckabfall inner- halb bestimmter Grenzen zu keinen Veränderun- gen der Hirndurchblutung führt, ist beim Hyper- toniker mit
Arteriosklerose der Hirngefäßedie un- tere Grenze der Autoregulationskurve nach rechts verschoben; d. h. die Hirndurchblutung folgt be- reits bei höheren arteriellen Mitteldrücken pas- siv dem Persusionsdruck. Darum ist der Hyperto- niker bei Blutdruckabfällen besonders durch eine Hirnischämie gefährdet.
15.3.3 Arterieller CO
2-Partialdruck (p
aCO
2)
Hyperkapnie steigert, Hypokapnie vermindert die
Hirndurchblutung. Hyperkapnie oder Hypokap-
nie haben, entgegen früheren Annahmen, keinen
vorhersagbaren günstigen Einfl uss auf die Durch-
blutung ischämischer Hirnareale und sollten da-
her vermieden werden.
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!Der paCO2 sollte bei Karotisoperationen im Normbereich gehalten werden. Hierfür sind regelmäßige intraoperative Kontrollen der Blut- gase erforderlich.
15.3.4 Wahl des Anästhesieverfahrens
Die Wahl des Anästhesieverfahrens bei Patienten mit zerebrovaskulärer Insuffi zienz ist umstritten.
Balancierte Anästhesie mit volatilen Anästhestika und Opioiden wird ebenso eingesetzt wie die TI- VA mit Opioiden und Propofol.
Einige Operateure bevorzugen regionale An- ästhesieverfahren am wachen Patienten, um die neurologischen Funktionen während der Opera- tion überwachen zu können.
Allgemeinanästhesie
Die Vorteile der Allgemeinnarkose mit kontrol- lierter Beatmung sind: Bessere Kontrolle von Blut- druck und Herzfrequenz (v. a. beim Koronarkran- ken) sowie der arteriellen Blutgase, ruhigeres Ope- rationsgebiet, sichere Wirkung, angenehmer für den Patienten, Möglichkeit der »Hirnprotektion«
mit Thiopental. Nützlich ist die zusätzliche Infi l- tration des Operationsgebietes mit Lokalanästhe- tika.
!Insgesamt scheint die Auswahl der Anästhetika für die neurologische Prognose des Patienten allerdings von untergeordneter Bedeutung zu sein, solange paCO2 und arterieller Mitteldruck im Normbereich liegen.
Allerdings muss beachtet werden, dass
volati- le Anästhetikadosisabhängig die Autoregulation der Hirndurchblutung beeinträchtigen. Bei hohen Konzentrationen folgt schließlich die Hirndurch- blutung passiv dem zerebralen Perfusionsdruck und kann bei abfallendem Druck abnehmen. Wird dann während der Inhalationsanästhesie ein Va- sopressor zugeführt, um den Perfusionsdruck an- zuheben, kann die Hirndurchblutung unkontrol- liert ansteigen bzw. eine unerwünschte zerebrale Hyperämie auftreten.
Wird die Narkose mit Thiopental oder Propo- fol eingeleitet, fällt die Hirndurchblutung bei den
meisten Patienten vorübergehend ab. Ob niedri- ge Thiopentaldosen (2–4 mg/kgKG), als Bolus i.v.
kurz vor Abklemmen der A. carotis zugeführt, ei- nen hirnprotektiven Effekt gegenüber einer Hirni- schämie besitzen, ist beim Menschen bisher nicht schlüssig nachgewiesen worden.
Remifentanil.
Dieses Opioid ist für Karotissteno- senoperationen geeignet, wenn die neurologische Funktion unmittelbar nach der Operation einge- schätzt werden soll. Für die Aufrechterhaltung der Narkose sind im Durchschnitt 0,25 µg/kgKG/min Remifentanil erforderlich, kombiniert mit einem Inhalationsanästhetikum in niedriger (hypnoti- scher) Konzentration, z. B. Isofl uran oder Desfl u- ran, evtl. auch mit Propofol (3–6 mg/kgKG/h). Bei älteren Patienten muss die Remifentanildosis we- gen der Gefahr des Blutdruckabfalls und der Bra- dykardie, besonders in Phasen geringer Stimula- tion, sorgfältig titriert werden. Dieses Verfahren führt in der Regel zu seinem sehr raschen Erwa- chen und hinreichender Kooperationsfähigkeit des Patienten für die postoperative neurologische Untersuchung. Ein vergleichbar rasches und voll- ständiges Erwachen ist mit anderen Verfahren der Allgemeinanästhesie gewöhnlich nicht zu errei- chen. Wie bereits wiederholt dargelegt, muss al- lerdings bei Verwendung von Remifentanil früh- zeitig, d. h. möglichst vor Operationsende, mit der Schmerztherapie begonnen werden.
Regionalanästhesie
Die Karotisendarteriektomie kann mit vergleich- barem Erfolg unter Regionalanästhesie durchge- führt werden. Hierfür stehen 2 Verfahren zur Ver- fügung: die zervikale Plexusblockade und die (vermutlich nur selten angewandte) zervikale Peri- duralanästhesie. Die Blockade des Plexus cervica- lis kann oberfl ächlich entlang dem mittleren Drit- tel des Hinterrands des M. sternocleidomastoide- us, tief oder durch subkutane Infi ltration der das Operationsgebiet versorgenden peripheren Ner- ven am lateralen Hals erfolgen.
Vorteile.
Der wesentliche Vorteil der Regionalan-
ästhesie gegenüber der Allgemeinanästhesie be-
steht in der einfachen und kostengünstigen klini-
schen Überwachung der neurologischen Funkti-
15.3 · Anästhesiologisches Vorgehen
onen während der Operation, die mit keiner der derzeit verfügbaren apparativen Überwachungs- verfahren erreicht werden kann. Vorteilhaft ist weiterhin die gute postoperative Analgesie. Wenn- gleich neurologische Komplikationen unter Re- gionalanästhesie sofort erkennbar sind, wird die neurologische und auch die kardiale Morbidität und Mortalität der Patienten nicht wesentlich be- einfl usst, sodass sich bei der gegenwärtigen Da- tenlage (Cochrande Review 2004) keine wesentli- chen Vorteile gegenüber der von vielen Patienten bevorzugten Allgemeinnarkose ergeben.
Nachteile.
Für die Operation unter Regionalanäs- thesie ist eine gute Kooperation des Patienten er- forderlich; daher muss auf eine stärkere Sedie- rung verzichtet werden. Hierdurch werden uner- wünschte Blutdruckanstiege und Tachykardien aufgrund von Angst und Aufregung begünstigt.
Bei plötzlichem Bewusstseinsverlust oder Krämp- fen ist die umgehende Kontrolle der Atemwe- ge erschwert, ebenso, wenn eine (seltene) Not- fallintubation durchgeführt werden muss. Weiter- hin müssen die (ebenfalls seltenen) Komplikati- onen der zervikalen Plexusblockade berücksich- tigt werden: Versehentliche intravasale, peridurale oder subarachnoidale Injektion des Lokalanäs- thetikums.
Für extrem ängstliche oder klaustrophobische Patienten ist die regionale Anästhesie nicht geeig- net, ebensowenig für Patienten mit starkem Hus- ten oder schwierigen Atemwegen.
15.3.5 Intraoperative Überwachung
Die intraoperative Überwachung ist beim Patien- ten mit zerebrovaskulärer Insuffi zienz von größ- ter Bedeutung. Im Mittelpunkt stehen hierbei die Herz-Kreislauf-Funktion und die Hirnfunktion.
Überwachung bei Karotisstenosen- operation
5 Standard:
– EKG-Ableitung II und V5,
– invasive arterielle Blutdruckmessung, 6
– Pulsoxymeterie, – Kapnometrie, – Stethoskop, – Temperatursonde, – arterielle Blutgase.
5 Hochrisikopatienten:
– zentraler Venenkatheter, – Pulmonalarterienkatheter,
– transösophageale Echokardiographie.
Herz-Kreislauf-Funktion
Die Überwachung der Herz-Kreislauf-Funktion ist mit relativ einfachen Methoden möglich:
5
EKG-Monitor,
5
direkte arterielle Blutdruckmessung in der A. radialis,
5
wenn erforderlich, Messung des zentralen Ve- nendrucks,
5
bei Hochrisikopatienten: Pulmonaliskatheter.
Hirnfunktion
Die Überwachung der Hirnfunktion ist in Allge- meinnarkose schwierig; dabei kommt es gerade in der Abklemmphase der A. carotis darauf an, früh- zeitig festzustellen, ob ein ausreichender Kollate- ralkreislauf vorhanden ist bzw. Zeichen der Hir- nischämie auftreten. Zur intraoperativen Über- wachung einer ausreichenden Hirnperfusion wer- den verschiedene Verfahren angegeben: Messung des Stumpfdrucks in der A. carotis, Messung der Hirndurchblutung, kontinuierliche Registrierung des EEG, somatosensorisch evozierte Potentiale, transkranielle Dopplersonographie.
Transkranielle Dopplersonographie.
Hierbei wer-
den eine Ultraschallquelle auf dem Schläfenbein
platziert und die Schallwellen auf die A. cerebri
media gerichtet. Das Gerät bestimmt die mittlere
Blutfl ussgeschwindigkeit in der A. cerebri media
und liefert damit, vorausgesetzt der Gefäßdurch-
messer bleibt konstant, Hinweise auf die Größe
der Durchblutung der Arterie: Eine starke Abnah-
me der mittleren Blutfl ussgeschwindigkeit gilt
als zuverlässiger Indikator einer drohenden Min-
derdurchblutung des von der Arterie versorgten
Hirnbereichs. Außerdem können mit dem Gerät
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
vorbeiströmende Emboli festgestellt werden, in der postoperativen Phase auch eine zerebrale Hy- perperfusion. Gegenwärtig ist die Bedeutung der transkraniellen Dopplersonographie als Überwa- chungsverfahren bei Karotisendarteriektomien nicht defi niert.
Somatosensorisch evozierte Potentiale (SSEP).
Der Nutzen des SSEP-Monitorings als Verfahren zur Aufdeckung intraoperativer Hirnischämien ist derzeit nicht geklärt. Eine Abnahme der Ampli- tuden von N1-P1 oder P1-N2 oder eine grobe Ver- formung der gesamten Wellenform gilt als Indi- kator einer fokalen zerebralen Ischämie. Die hier- zu vorliegenden Untersuchungsbefunde sind al- lerdings in hohem Maße widersprüchlich, sodass die Methode derzeit nicht als essenzielles Über- wachungsverfahren für Karotisendarteriektomi- en angesehen wird.
Kontinuierliche Registrierung eines 8- oder 16ka- näligen EEG.
Sie gilt als zuverlässiges Verfahren, um intraoperativ eine beginnende Hirnischä- mie festzustellen. Wesentliche fokale EEG-Verän- derungen treten bei 15–20 % aller Patienten wäh- rend der Endarteriektomie auf. Dabei besteht eine enge Korrelation zwischen der Schwere der EEG- Veränderungen und der Abnahme der Hirndurch- blutung. Die Veränderungen treten meist einseitig auf und sind nahezu bei allen Patienten nachweis- bar, deren
Hirndurchblutung unter 18 ml · min-1 · 100 g-1absinkt.
Nach Anlegen eines temporären Shunts ver- schwinden die ischämischen EEG-Veränderun- gen meist innerhalb weniger Minuten. Allerdings muss beachtet werden, dass
Veränderungen der Narkosetiefeund
Hyperkapnieischämische EEG- Veränderungen vortäuschen können. Auch be- steht nicht selten eine unerwünschte zeitliche Ver- zögerung zwischen der Ischämie und entspre- chenden EEG-Veränderungen. Insgesamt ist die EEG-Überwachung aufwendig und fordert für die Interpretation geschultes Personal. Darum hat sie sich nicht allgemein durchgesetzt. Der Wert leicht handhabbarer EEG-Filterprozessoren und des BIS-Monitors zur intraoperativen Überwachung ist unklar.
Messung des Stumpfdrucks.
Die Messung des Stumpfdrucks, d. h. des Blutdrucks in der A. ca- rotis interna distal der Gefäßklemme (
.Abb. 15- 2), ist umstritten. Mit gewissen Vorbehalten wird ein Stumpfdruck von etwa 60 mmHg als untere Grenze für eine ausreichende Hirndurchblutung angesehen. Eine absolute Sicherheit bietet dieser Druckwert jedoch nicht, zumal ischämisch be- dingte EEG-Veränderungen auch bei wesentlich höheren Stumpfdrücken beobachtet worden sind.
Naheinfrarotspektroskopie.
Bei diesem Verfahren werden durch die geschlossene Schädeldecke die regionale zerebrale O
2-Sättigung (rsO
2) gemes- sen und mögliche Veränderungen durch das Ab- klemmen der A. carotis registriert. Bislang liegen hierzu nur einzelne Untersuchungsergebnisse vor, die keine schlüssigen Aussagen über den Wert der Methode ermöglichen. So fand sich zwar in einer Untersuchung beim Abklemmen der A. carotis unter Regionalanästhesie ein signifi kanter Abfall der regionalen zerebralen O
2-Sättigung in der gleichseitigen Hirnhälfte bei unveränderter rsO
2der anderen Seite, jedoch variierten die O
2-Werte von + 2,6 % bis – 28,6 % im Vergleich zu den Aus- gangswerten. Neurologische Funktionsstörun- gen traten bei diesen Patienten nach der Opera- tion nicht auf.
Messung der Hirndurchblutung.
Sie ist aufwendig und umständlich und darum nur wenigen Zen- tren vorbehalten.
15.3.6 Hirnprotektion
Zu den allgemeinen Maßnahmen der Hirnprotek- tion gehören:
5
Hals für die Operation nicht zu stark über- strecken oder extrem seitwärts drehen.
5
Erkrankte A. carotis auf keinen Fall palpieren:
Emboliegefahr!
5
Blutdruck und p
aCO
2im Normbereich halten.
Die wichtigste
spezifi scheMaßnahme ist das Ein-
legen eines temporären Shunts in die A. carotis
während der Endarteriektomie. Allerdings besteht
wegen der Emboliegefahr und des Zeitaufwands
15.3 · Anästhesiologisches Vorgehen
keine Einigkeit, ob der Shunt routinemäßig ein- geführt werden soll oder nur, wenn Zeichen der Hirnischämie nachweisbar sind. Die gegenwärti- ge Datenlage erlaubt jedenfalls keine schlüssigen Aussagen darüber, ob der temporäre Shunt rou- tinemäßig oder selektiv eingesetzt werden sollte (Cochrande Review 2004).
Ob darüber hinaus auch pharmakologische Maßnahmen wie Barbiturate, Etomidat oder ähn- liche Substanzen eine hirnprotektive Wirkung ge- genüber einer Ischämie besitzen, ist nicht erwie- sen.
15.3.7 Postoperative Besonderheiten und Komplikationen
Wegen der teilweise lebensbedrohlichen Kompli- kationsmöglichkeiten nach Karotisstenosenope- rationen ist in der frühen Phase eine sorgfältige und intensive Überwachung des Patienten erfor- derlich.
Postoperative Störungen und Komplikationen:
5 Postoperative Komplikationen:
– Hypertonie, – Hypotension, – Myokardinfarkt,
– Wundhämatom und/oder glossopha- ryngeales Ödem mit Beeinträchtigung der Atemwege und Erstickungsgefahr.
5 Neurologische Funktionsstörungen:
– akute Thrombose im Operationsgebiet, – leichte neurologische Ausfälle, – Hyperperfusionssyndrom, – Hirnblutung,
– Schlaganfälle.
Normalisierung des Blutdrucks.
Hypotention und/
oder Hypertension sind typische Reaktionen bei diesen Patienten. Bereits das Öffnen der Gefäß- klemme während der Operation führt häufi g zu einem Blutdruckabfall mit oder ohne Bradykardie, bei einigen Patienten auch zum Blutdruckanstieg.
Ursache dieser Reaktionen sind vermutlich vorü- bergehende Störungen der Karotissinusfunktion
durch chirurgische Manipulationen. Bei stärke- ren Blutdruckabfällen sollte ein Vasopressor ein- gesetzt werden, allerdings muss vorsichtig dosiert werden, um einen überschießenden Blutdruckan- stieg mit der Gefahr der Nachblutung sowie der Hirn- und Myokardischämie zu vermeiden.
Mit
akuten Blutdruckanstiegenin der posto- perativen Phase muss v. a. bei Hypertonikern ge- rechnet werden. Die wichtigsten Risiken stärke- rer Blutdruckanstiege sind ein zerebrales Hyper- perfusionssyndrom, Myokardinfarkt und Wund- hämatom. Für die Behandlung werden Antihyper- tensiva, i.v. oder per Infusion, eingesetzt, z. B.
Nife dipin, aber auch kurz wirkende β-Rezepto- renblocker wie Esmolol.
Kardiale Überwachung.
Wie bereits dargelegt, ist der Myokardinfarkt die häufi gste Todesursa- che nach einer Karotisendarteriektomie. Entspre- chend ist in der postoperativen Phase eine lücken- lose Überwachung der Herzfunktion erforderlich.
Eine Tachykardie und/oder Hypertonie können zur Myokardischämie oder zum Infarkt führen und müssen daher vermieden bzw. umgehend be- handelt werden. Eine Hypotension sollte ebenfalls vermieden werden, da auch hierdurch eine Myo- kardischämie ausgelöst werden kann.
Neurologische Einschätzung.
Die Vorteile einer Remifentanilanästhesie für die klinische Beurtei- lung der neurologischen Funktion unmittelbar nach Operationsende wurden bereits hervorgeho- ben. Im Aufwachraum genügt i. Allg. eine einfache klinisch-neurologische Überwachung, um neuro- logische Komplikationen im Zusammenhang mit der Operation festzustellen. Bei entsprechender Unterweisung sollte das Pfl egepersonal in der La- ge sein, diese Überwachung durchzuführen und beim Auftreten neurologischer Störungen umge- hend den Arzt herbeizurufen. Neurologische Stö- rungen sollen bei 1–7 % aller Patienten auftreten, unabhängig vom jeweiligen Narkoseverfahren.
Nachblutung.
Blutungen im Wundgebiet sind ei-
ne typische Komplikation von Karotisstenosen-
operationen. In einer Untersuchung von Munro
(1996) trat bei 4 % der Patienten ein Wundhäma-
tom auf, das die notfallmäßige Intubation des Pa-
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
tienten erforderte, da die oberen Atemwege kom- primiert wurden. Auch in anderen Untersuchun- gen fand sich ein ausgeprägtes Ödem und Blutun- gen im Bereich der Atemwege, sodass postopera- tiv eine sorgfältige Inspektion des Wundgebietes auf Nachblutungen erforderlich ist.
! Cave
Das Wundhämatom nach Karotisstenosenopera- tionen ist ein chirurgischer Notfall, der wegen der Erstickungsgefahr die umgehende chirurgische Intervention erfordert. Bei ausgeprägtem Befund sollte der Patient sofort endotracheal intubiert werden.
Myokardinfarkt.
Nicht der Apoplex, sondern der Myokardinfarkt (Inzidenz ca. 1–2 %) ist die häu- fi gste Todesursache nach Karotisstenosenopera- tionen. Störungen des myokardialen O
2-Gleich- gewichts bei Koronarkranken durch postoperati- ve Hypertonie und/oder Tachykardie könnten ei- ne gewisse Rolle spielen.
Zerebrales Hyperperfusionssyndrom.
In dem dis- tal der Karotisstenose gelegenen Gefäßgebiet be- steht aufgrund der verminderten Durchblutung eine maximale Vasodilation mit Verlust der Auto- regulation. Mit Beseitigung der Stenose und Wie- derherstellung eines normalen Perfusionsdrucks im zugehörigen Gefäßgebiet kann es zu einer vor- übergehenden Steigerung der Durchblutung kom- men, solange die autoregulative Kapazität noch nicht wieder hergestellt ist. Die Störung kann mehrere Tage anhalten und sich durch migränear- tige Kopfschmerzen, Krämpfe oder intrakranielle Blutung manifestieren. Besonders gefährdet sind Patienten mit hochgradiger Stenose und Hyper- tonus vor der Operation. Zerebrale Krampfanfäl- le werden mit Antikonvulsiva behandelt; Antikoa- gulanzien sind wegen der Gefahr der Hirnblutung kontraindiziert, Thrombozytenaggregationshem- mer wahrscheinlich ebenfalls.
Apoplex.
Eine seltene, oft jedoch tödliche Kompli- kation, die bereits intraoperativ oder postoperativ auftreten kann. Wichtigste Ursache sind vermut- lich Emboli aus den atheromatösen Plaques, die sich während der chirurgischen Manipulationen
gelöst haben. Tritt der Apoplex nach zunächst un- auffälligem Verlauf ein, sollte umgehend chirur- gisch reexploriert werden. Die perioperative Ga- be von Protamin soll das Auftreten von Schlagan- fällen begünstigen.
Hirnblutung.
Eine parenchymatöse zerebrale Blu- tung tritt bei ca. 0,6 % der Patienten mit sympto- matischer Karotisstenose nach der Karotis-TEA auf. Besonders gefährdet sind Patienten mit hoch- gradiger Stenose und schlechten intrazerebralen Kollateralgefäßen.
Hirnnervenfunktionsstörungen.
Betroffen sind in erster Linie folgende Nerven: Hypoglossus, Vagus (N. recurrens; N. laryngeus superior), Glossopha- ryngeus, Äste des N. facialis. Die insgesamt selte- nen Störungen entstehen v. a. durch lokale Schä- digungen während der Operation. Gefährlich sind besonders Störungen des Schluckrefl exes und der Stimmbänderfunktion.
15.4 Karotisstenose und koronare Herzkrankheit
Patienten mit Karotisstenose und wesentlicher koronarer Herzkrankheit weisen ein besonders hohes Risiko auf. Das zeitliche operative Vorgehen ist hierbei umstritten. Einige Chirurgen operie- ren zunächst die Karotisstenose und danach die Koronararterienstenose. Vor allem bei gleichzei- tig sehr hohem Apoplexrisiko und instabiler KHK sollten beide Operationen simultan durchgeführt werden.
Das
anästhesiologische Vorgehenunterschei- det sich nicht wesentlich von dem bei Patien- ten mit isolierter Karotisstenose oder koronarer Herzkrankheit. Allerdings muss sorgfältig beach- tet werden: Blutdruckabfall gefährdet Gehirn und Herz, Blutdruckanstieg hingegen v. a. das Herz.
Exzessiver Blutdruckanstieg kann jedoch auch zu
Hirnblutungen führen.
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